Stürmisches Genie und demütiger Dorfmusikant – Vor 200 Jahren wurde Anton Bruckner geboren
Den „Musikanten Gottes“ nannten ihn die einfachen Leute voller Sympathie. Doch Anton Bruckner gilt mit seinen titanischen Messen und Sinfonien längst als stürmischer Wegbereiter der Moderne in Kirchen und Konzertsälen.
„Dem lieben Gott“ steht als Widmung über der unvollendeten neunten Sinfonie, mit der Bruckner vom Leben Abschied nahm: unirdische Klänge von Sehnsucht und Hoffnung. Nach dem düsteren, mit einem unentrinnbaren Schicksal beladenen Streichertremolo des Anfangs ein gewaltiger Fortissimo-Ausbruch des ganzen Orchesters, als stürze die Menschheit vor dem richtenden Gott auf die Knie. Es folgt ein wunderbar leichtes Totentanz-Scherzo jenseits aller Erdenschwere. Der Komponist strahlender Messen und inniger geistlicher Motetten, am 4. September 1824 im oberösterreichischen Ansfelden als Sohn des Dorfschulmeisters geboren, gilt als liebenswürdig-schrulliger alter Herr, demütig und ohne die üblichen Künstlerallüren, als großes Kind, das die Kraft seiner Tonsprache aus unbefangener Gläubigkeit und eisernem Gottvertrauen gewonnen haben muss. Anton Bruckner: vorwärtsdrängendes Genie und im Grunde doch ein fröhlicher Dorfmusikant bis an sein Lebensende. Doch die an barocke Liturgien erinnernden Choräle, die er in seine Sinfonien einfügt und mitten in den profanen Werken zitiert, drücken nach Bruckners eigenen Worten seine Dankbarkeit für die „Errettung vom Wahnsinn“ aus. 1867 fiel er in eine Nervenkrise, in der Klinik stufte man ihn als ernsten Fall ein. Zeitlebens litt er an quälenden Minderwertigkeitsgefühlen und Zwangsneurosen. Als musikalische Berühmtheit benahm er sich schrecklich ungeschickt, arrangierte die Uraufführungen seiner Werke am falschen Ort, mit schlecht ausgebildeten Ensembles, die von seiner Musik nichts hielten.
Als der schüchterne, sich stets verfolgt fühlende Bruckner 1868 tatsächlich eine Professur am Wiener Konservatorium bekommen hatte, hielt er 23 Jahre lang immer dieselben Vorlesungen. Und doch verbreitete sich in Europa allmählich die Kunde von einem österreichischen Professor, der in seinen Sinfonien und Kirchenmotetten Himmel und Hölle in gewaltigen Fugen durcheilte und eine Musik von völlig neuer Art schuf. Jetzt traute er sich endlich Konzertreisen zu, feierte in der Pariser Kathedrale Notre-Dame und in der Londoner Albert Hall Triumphe. Bruckner war nun auch in Wien anerkannt.
1896 starb Anton Bruckner im Alter von 72 Jahren. Während bei den anderen starken Komponisten seiner Zeit die Messen und Psalmen eher Zufallswerke darstellen, entwickelt sich Bruckners Schaffen bewusst im Raum der Kirche, und auch seine Sinfonien sind mystisch erfüllt. In seinen sakralen Kompositionen aber verschmilzt er die fugenreiche Polyphonie mittelalterlicher Prägung mit der Klangfülle des romantischen Orchesters zu einsamer Größe.
Christian Feldmann