Über vieles aus der Welt der Religion kann man sich streiten. Mit einem allgemeinen Wohlwollen aber kann man rechnen, wenn das Gespräch auf den Segen kommt. Selbst diejenigen, die ihn für wirkungslos halten, sehen nichts Schädliches in ihm. Anderen ist er das Liebste am Glauben. In der Tat, ein christlicher Gottesdienst ohne den Segen zum Ende ist nicht denkbar. Diese Worte zeigen am eindrücklichsten, was der Segen in christlichem und jüdischem Verständnis bedeutet. Sie werden in der Bibel Aaron, Moses Bruder, zugeschrieben, dürften aber uraltes Traditionsgut sein. Sie lauten:
„Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden“ (4. Mose 6,24–26).
Im Segen geht es um Schutz und Bewahrung vor Unglücksfällen, dann aber in einem viel umfassenderen Sinne um ein Leben im Frieden. In evangelischen Gottesdiensten spenden hauptsächlich Pastorinnen und Pastoren den Segen. Das Segnen ist aber keine heilige Handlung, die nur von sogenannten Geistlichen vollzogen werden dürfte. Es ist schlicht eine besondere Form des Gebets. Deshalb ist es falsch zu sagen, eine Amtsperson würde den Segen „spenden“. Vielmehr bittet sie Gott darum, dass er seinen Segen spende. Dies können im Prinzip alle tun. So wie jeder Christ selbst beten kann, kann auch jeder Christ andere segnen. Mit Aarons oder eigenen Worten, mit gefalteten Händen oder einer Geste: zum Beispiel, indem man eine Hand auflegt oder mit dem Finger ein Kreuz auf die Stirn zeichnet. In Deutschland ist man das nicht mehr gewohnt. Deshalb muss man dazu ein bisschen Mut aufbringen und es einüben. Natürlich sollte es nur im Einvernehmen geschehen. Dann aber kann es sehr schön, tröstlich und ermutigend sein – für die, die gesegnet werden, und für die, die segnen. Aber es hat eine eigene Kraft, wenn man es anderen zuspricht. In den ersten Kapiteln des Alten Testaments finden sich Geschichten, die ein vertieftes Verständnis des Segens eröffnen. Zum Beispiel über Abraham: Er war 75 Jahre alt, als Gott zu ihm sprach. Er solle seine Heimat verlassen und fortziehen in ein Land, das er nicht kannte, das Gott aber für ihn und seine Nachfahren ausersehen hatte. Dabei hatten Abraham und seine Frau Sarah gar keine Kinder. Gott rief ihn auf, gegen alle Vernunft in eine offene Zukunft zu gehen – und gab ihm diesen Segen mit auf den Weg:
„Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein“ (1. Mose 12,2).
Einen Segen behält man also nicht für sich, sondern gibt ihn weiter. Abraham und Sarah wurden die Stammeltern des Judentums, des Christentums und des Islams.
Johann Hinrich Claussen
Aus: „chrismon“, das Monatsmagazin der evangelischen Kirche. www.chrismon.de