Sei mit uns lebendig, Gott!

Vor 75 Jahren starb Wolfgang Borchert

Wolfgang Borchert (Foto um 1940).
Wolfgang Borchert (Foto um 1940).
Foto: epd bild/Rosemarie Clausen/akg-images

Noch keine zwanzig Jahre war er alt, da ereilte ihn 1941 die Einberufung zum Panzergrenadier. Bisher hatte der Hamburger Buchhändlerlehrling Wolfgang Borchert Gedichte geschrieben, bei einer Tingeltangel-Bühne debütiert und von einer Karriere als Hamlet-Darsteller geträumt. An der Ostfront, im mörderischen russischen Winter begann er das Leid anderer Menschen wahrzunehmen.
Nach dem Krieg marschiert er 600 Kilometer durch Deutschland nach Hause, ein Todgeweihter: Seine schwach ausgebildete Leber, durch jahrelange Mangelernährung geschwächt, funktioniert nicht mehr. Sterbensmatt, mit höllischen Schmerzen und quälenden Fieberanfällen kämpfend, schreibt Borchert Erzählung um Erzählung, Erinnerungen an Front und Kaserne, erschütternde Schilderungen des Nachkriegselends, bittere Liebesgeschichten und Momentaufnahmen des Seelenzustands einer verlorenen Generation. In einer einzigen Woche entsteht in einem gewaltigen Wurf das Heimkehrerdrama „Draußen vor der Tür“, die traurige Geschichte vom Soldaten Beckmann, der im Krieg ein Bein verloren hat und vergeblich nach Schuld und Sinn fragt.
Die Verantwortlichen von damals haben sich bereits wieder profitabel in der Gesellschaft eingerichtet und verdrängen, was gewesen ist. Und weder der Tod noch Gott – „Ich bin der Gott, an den keiner mehr glaubt!“ – wissen eine Antwort.
Der erklärte Atheist sehnt sich nach einem Gott, der das Leid seiner Kinder teilt und ihre Schreie hört: „Sei lebendig, sei mit uns lebendig, nachts, wenn es kalt ist, einsam und wenn der Magen knurrt in der Stille – dann sei mit uns lebendig, Gott.“
Den Glauben an den scheinbar schweigenden Gott hat er verloren, der empörte Dichter, der diesen Gott in bewusster Paradoxie gleichzeitig leugnet und für das Elend auf der Welt verantwortlich macht, aber nicht die brennende Liebe zu den Kaputtgemachten und Untergebutterten.
Einem Soldaten, der beim Ausheben von Gräbern helfen muss und sich eines Tages dem makabren Geschäft verweigert, gibt er den vielsagenden Namen Jesus. „Jesus macht nicht mehr mit“ nennt er die Geschichte. Am 20. November 1947 ist Wolfgang Borchert sechsundzwanzigjährig gestorben.

Christian Feldmann