Predigt an Epiphanias

Von Pfarrerin Eva-Maria Kaplick (Nikodemuskirche) am 06.01.2021 in der Stephanuskirche in Gebersdorf

Ein Teddybär ist in der Kindheit wohl sehr häufig ein Trost-Anker

Liebe Gemeinde,

„Botschaft voller Freude und Trost“ – so heißt eine Sammlung von Weihnachtsliedern, die ich sehr mag. Und an dem Wort „Trost“ bin ich hängengeblieben. Es gibt Wörter, die strahlen einen an, und „Trost“ ist so eines. Ja, das haben wir immer wieder nötig. Trost. Besonders wenn der Lockdown verlängert und verschärft wird. Ich möchte mit Ihnen darüber nachdenken, was die tieferen Gründe dafür sein können, warum wir Trost brauchen. Und was uns dann tröstet und was nicht. Heute am Dreikönigstag, zu dem wir Evangelischen lieber Epiphanias sagen, Erscheinungsfest, weil die Bibel weder was von Königen erzählt noch davon dass es drei waren. Aber drei Geschenke haben sie gebracht. Und das ist für mich ein zusätzlicher Aufhänger, um über Trost zu sprechen. Denn Geschenke und Trost haben etwas gemeinsam: Trost ist etwas, das wir uns nicht selbst geben können. Wir können ihn uns nur schenken lassen.
In vielen Familien wird der Christbaum heute Abend leergeräumt und aus dem Zimmer gebracht. Diese besondere Zeit mit ihren Liedern voll Freude und Trost erklingen heute meist zum letzten Mal. Was bleibt von Weihnachten?
Der Trost bleibt uns.
Ich habe mir überlegt, wann ich eigentlich Trost brauche, und solche Situationen vor meinem inneren Auge vorbeiziehen lassen. Das ist mir dabei deutlich geworden: Wenn ich mich klein fühle, brauche ich Trost. Wenn etwas anderes mir zu groß ist: eine Aufgabe, eine Verpflichtung oder andere Menschen. Wenn mich etwas bedrückt. Wenn mir etwas Angst macht. Wenn ich mich gedemütigt fühle, hilflos und allein gelassen, dann sehne ich mich nach Trost. Wenn ich das Gefühl habe, der Boden, auf dem ich vorher selbstbewusst gestanden bin, gut geerdet, wird mir unter den Füßen weggezogen, und ich falle. Dann wünsche ich mir einen, der mich hält, auf den ich mich verlassen kann.
Das Wort kommt aus der gleichen Wurzel wie das englische „trust“: Vertrauen. Dahinter steckt die Vorstellung von einem Vertrag: wie vereinbaren, sich auf einander zu verlassen. Dadurch entsteht ein Fundament. Etwas, das Halt gibt.

Psalm 23

Der Psalm 23 ist für viele Menschen so ein Halt. Er hat schon unzählig viele getröstet.
Der Dichter stellt sich vor, ein Schaf zu sein. „Dein Stecken und Stab trösten mich“ singt er. Den Trost, den Schutz, den Halt, den das hilflose, ängstliche Schäfchen im finsteren Tal braucht, umgeben von Feinden und anderen Gefahren, diesen Trost findet es in einem einfachen Stecken, den der Hirte immer dabei hat. Mit diesem Stab kann es der Hirte notfalls mit einem wilden Tier aufnehmen. So verdichtet sich eine große Wahrheit in einem kleinen Gegenstand.
Ich möchte jetzt mit Ihnen den Psalm 23 beten. Wenn Sie in den nächsten Wochen das Gefühl haben: Mir fällt die Decke auf den Kopf, mir nervt nur noch alles, tun sie das doch auch: Diese uralten Worte beten. Einmal, zweimal… und sich verbinden mit denn unzähligen Menschen, die dieser Psalm schon getröstet hat. Es wird etwas verändern.

Der HERR ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele.
Er führet mich auf rechter Straße
um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch
im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl
und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit
werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben
im Hause des HERRN immerdar.

Psalm 23

Trost-Anker

Doch zurück zu dem Stecken, von dem im Psalm die Rede ist. Ich glaube, jeder Mensch kennt solche Gegenstände, die trösten. Manchen ist das sehr bewusst. Für andere ein Aha-Effekt, wenn sie sich bewusst machen: Mein zerfledderter Teddybär aus der Kindheit ist so ein Trost-Anker oder die Sammlung von Modelleisenbahnlokomotiven oder die Schmuckdose der Tante. Es gibt ganz verschwiegene Trost-Anker, mysteriöse, faszinierende Dinge, Wert nur wir kennen. Sie gehören zu uns. Das müssen andere Menschen gar nicht verstehen. Manchmal stellen sie eine geheimnisvolle Verbindung zu unseren Vorfahren her: die Taschenuhr des Onkels, die so beruhigend tickt oder ein wärmender Muff, wie ihn die Großmutter immer trug.
Wir brauchen uns für solche Trost-Anker nicht zu schämen, so verschroben sie nach außen auch wirken mögen. Hinter den Dingen leuchtet ein wärmendes Licht. So ist Epiphanias auch das Fest der kleinen Dinge, die mild von innen strahlen wie ein ferner Stern. Gut und tröstlich sind die geliebten Dinge, so lange sie das Licht dahinter nicht vollständig bedecken, sondern noch ein wenig durchlässig sind dafür.
Manchmal ist dieser Gegenstand auch ein Musikstück. Eine Melodie, eine gesungene Textzeile, die einem nahe geht. Eine Freundin von mir ist Opernfan. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass es eher traurige Stücke waren, die sie in ihrer Trauer getröstet haben, wie zum Beispiel die Arie, die die entführte Tochter in der Gefangenschaft singt:  „Lass mich mit Tränen mein Los beklagen“ in der Oper „Rinaldo“ von Georg Friedrich Händel.
Trost scheint ähnlich zu funktionieren wie Homöopathie. Trauer wird nicht getröstet durch Lachen und Witze, sondern durch gestaltete, geklärte Trauer. In einer kläglichen Situation bringt ein Klagelied weiter, wenn es genau auf meiner Frequenz schwingt, wenn es in meinem Inneren Resonanz hervorruft. Dann bin ich nicht mehr allein, und das bewahrt mich davor, in den Fluten der Trauer zu ertrinken.

Wie tröstet man richtig?

Im Lateinischen heißt Trösten „consolatio“, wörtlich übersetzt „Mit-Einsamkeit“. Wer Trost braucht, fühlt sich allein gelassen mit seinem Schmerz und seiner Not. Ihm auf die Schulter zu klopfen und ein paar aufmunternde Worte zu sprechen – das ist da fehl am Platz. So, Ende der Einsamkeit, jetzt bin ich da! So einfach geht das nicht. Wer allein ist mit seinem Schmerz, der braucht jemanden, der mit ihm zusammen einsam ist. Der die Trauer und das Elend mit aushält. Jemand, die leise eintritt in das Haus der Trauer, ohne dort sofort zu lüften oder gar aufzuräumen.
Das kann man gut sehen, wenn man ein Kind tröstet. Man braucht es nur in den Arm zu nehmen und zu sagen: „Ich bin da“. Und darf sich nicht abweisen lassen, aber auch nicht zu sehr einlassen auf die Tränen. Wer mit in den Untiefen des Trost Suchenden untergeht, kann nicht mehr helfen. Helfen kann nur, wer selbst festen Boden unter den Füßen hat.
Vielleicht erinnern Sie sich an den Lutherfilm, der vor vielen Jahren in den Kinos kam und später im Fernsehen. Da wird das deutlich durch den Beichtvater von Staupitz. Wenn sei Schützling, der junge Mönch Martin in seiner Zelle mit dem Teufel kämpft und um Hilfe schreit, nach Trost sucht, dann ist er mitfühlend, aber ohne Mitleid dabei. Er bietet keine schnelle Lösung, keinen Sofort-Trost, aber er lässt Martin Luther auch nicht mit leeren Händen allein. Von Staupitz gibt ihm sein Kruzifix. „Schau auf Jesus Christus!“ Und das bedeutet: Schau auf den Gott, der selbst verzweifelt war, der am Kreuz nach Trost geschrien hat.
Trost ist weniger eine Handlung als vielmehr eine Haltung. Es ist nicht noch eine Aktion, sondern endlich einmal keine Aktion mehr. Wer einen anderen trösten will, der braucht einen Moment der Sammlung, des Zu-sich-selbst-Findens. Trösten heißt nicht: dem oder der anderen ein Lied vorsingen, sondern: wie ein Instrument werden, auf dem Gott seine Melodie spielt. Offen werden für die Melodie Gottes. So gesehen ist Trost eigentlich ganz einfach. Was dazu nötig ist, könnte man „Gebetsatmosphäre“ nennen. Sie entsteht, wenn ich etwas von der „Heiligen Idee“ erfasse, die Gott für diesen Trost suchenden Menschen hat. Normalerweise ist es schwierig, sie zu sehen. Aber im Augenblick der Trauer und des schmerzlichen Alleinseins ist sie leichter wahrzunehmen als sonst.
Wenn Sie in den nächsten Wochen des Lockdown einen Nachbarn, eine Freundin treffen, denen die Situation zu schaffen macht, vielleicht mögen Sie das ja mal ausprobieren, ob Sie etwas von dieser „Heiligen Idee“ spüren.
In der „Heiligen Idee“ ist der echte, wahre und tiefe Trost Gottes enthalten. In der Bibel gibt es verschiedene Worte dafür. Im Johannesevangelium sagt Jesus zu seinen Jüngern:

„Ich will den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Tröster geben, damit der bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit.“

Johannes 14,16f


Wer Trost braucht, kommt sich bruchstückhaft vor, unvollständig, in einzelne Teile zerlegt, die nicht zueinander passen. Was er im Augenblick der Trostlosigkeit vermisst, ist die Ganzheit. Die erschafft der Geist der Wahrheit. Er umhüllt uns, hebt uns aus dem Chaos der Zerrissenheit. Der Geist der Wahrheit heilt und ist echter Trost. Solcher Trost verwandelt die Trauer und den Schmerz. Getröstete Trauer lähmt nicht mehr, sondern führt einen in das Geheimnis des eigenen Seins und in das Geheimnis von Jesus Christus. Getröstete Trauer ist der Weg in die Freiheit, der Weg in eine verwandelte Welt.

Als das Land Israel von den Babyloniern dem Erdboden gleichgemacht worden war, der Tempel verbrannt, die meisten Menschen in der Gefangenschaft, in der völligen Trostlosigkeit tritt ein Prophet auf, dessen Worte aufgeschrieben sind als Anhang zum Buch Jesaja. „Trostbuch von der Erlösung Israels“ wird es genannt. Und es beginnt mit dem wohl schönsten Text, den es zum Thema Trost gibt:

„Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat…Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel werden niedrig, und was uneben ist, soll gerade werden. Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht müde werden.“

Jesaja 40,1ff

Wir werden getröstet durch kleine Dinge, kleine Gesten, durch das Mit-Alleinsein des anderen, durch kleine Stücke von Musik. Aber der volle Trost, den Gott für uns bereithält, ist alles andere als klein. Er verändert die Welt. Die Täler werden nach oben gedrückt, die Berge flach gepresst. Kein Stein bleibt auf dem anderen. Nichts muss so bleiben, wie es ist.

Ich glaube, es gibt eine Stelle, wo wir Menschen ungetröstet bleiben. Das ist die Stelle, die nur von Gott, vom unendlich Großen, ausgefüllt werden kann. Das ist gut zu wissen, damit wir von den lieben Menschen um uns herum und von den Dingen und der Musik nichts Unmögliches erwarten.
Die Untröstlichen sollte man sich deshalb genau ansehen. Unter ihnen gibt es so manch große, tapfere Seele, der Menschentrost nicht genug ist. Sie besteht darauf, dass Gott selbst sie tröstet und mit seiner Barmherzigkeit erfüllt. Martin Luther und viele andere Mystiker waren solche Menschen. In ihrer Unerbittlichkeit erkunden sie Gebiete der Seele, zu denen wir normalerweise nicht gelangen. Dabei finden sie Wahrheiten, die auch uns ernähren, so wie das wunderbare Gebet von Teresa von Avila: „Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken. Alles geht vorüber. Gott allein bleibt derselbe. Alles erreicht der Geduldige. Und wer Gott hat, der hat alles. Gott allein genügt. Ja, Gott allein genügt. Basta.

Eva-Maria Kaplick, Pfarrerin