Predigt zum 2. So. n. Trinitatis

Von Pfarrer Armin Langmann am 21.6.2020 in der Stephanuskirche in Gebersdorf

Lied 445,1+2.4+5,6+7

Zeige mir, Herr, den Weg deiner Gebote, dass ich sie bewahre bis ans Ende. Unterweise mich, dass ich dein Gesetz bewahre und halte von ganzem Herzen. Führe mich auf dem Steig deiner Gebote, denn ich habe Gefallen daran.

Ps 119,33-35

Liebe Gemeinde,

in den vergangenen Wochen drehte sich viel um das Thema Home-Office und um Fern-Unterricht mithilfe von Computern. Man musste klären: Was ist Unterricht überhaupt, für Lehrer/innen und Schüler/innen. Mir hat ein Lehrer erzählt, dass die Schüler vieles, was er sich für sie ausgedacht hat, gar nicht interessiert hat, dass sie sich einfach nicht damit beschäftigt haben und jetzt, wo sie wieder in der Schule sind, nichts davon wissen.

Wo es um Unterricht gehen soll, braucht man Motivation, Neugierde, Interesse oder mit anderen Worten, einen persönlichen, eigenen Zugang. Eine Haltung des Fragens, und schließlich Auskunft auf die Frage, wie man denn zum Ziel kommen könnte.

Dass Kirche auch so etwas wie Unterricht zu halten hat, dass es bei uns auch um eine Art Lernen geht, das wollen viele gar nicht wahrhaben. Kirche soll Orte für das Ausleben von Emotionen bereitstellen – für die Vermittlung von Kompetenz, von Wissen, von Aufklärung, sieht man sie heute nicht mehr zuständig.
Vor 50 Jahren gab es noch zusätzlich zum Gottesdienst für die junge Gemeinde nach der Konfirmation die sog. „Christenlehre“, bei der darüber gesprochen wurde, was wir glauben und darüber wissen können.
Heute sehen wir: ohne tragfähige Fundamente, ohne Wissen und Übung, ist es schwer, Krisen zu bewältigen und durchzustehen und nicht den Scharlatanen und Propaganda-Rednern – sozusagen der „geistlichen AFD“ zu verfallen.

Heinrich Albert dessen Lied wir heute singen, stammte aus Lobenstein in Thüringen, besuchte das Gymnasium in Gera und kam dann nach Dresden zu seinem Vetter Heinrich Schütz, der sein musikalischer Lehrer wurde. Die Eltern waren allerdings der Meinung, dass der Heiner nicht Musik, sondern „was Gescheites“ lernen sollte und drängten ihn zum Studium der Rechtswissenschaften. Dazu schickte man ihn nach Leipzig, wo er aber nicht nur Jura studierte, sondern bei Johann Hermann Schein auch Musik belegte. Sein Leben lang, ließ Albert die Freude an der Musik, am Vertonen von Texten und das Komponieren eigener Lieder nicht los.
Wer sich ein wenig mit der Bibel befasst, der kennt den 23. Psalm, vom guten Hirten, und zum Beispiel den Psalm 100: Jauchzet dem Herrn alle Welt, oder Psalm 103,2: Lobe den Herrn meine Seele, und vergiss nicht, was er Dir Gutes getan hat. Und man weiß auch welches der kürzeste und der längste Psalm ist: 117 und 119.

Bibel auf dem Altar der Stephanuskirche Gebersdorf
Der kürzeste Psalm 117 in unserer Altarbibel


Dem längsten Psalm, also dem 119. hat Heinrich Albert am Ende des dreißigjährigen Krieges gewisser maßen ein Denkmal gesetzt und die wichtigsten Grundgedanken zu Liedversen umgedichtet:

Führe mich, o Herr, und leite meinen Gang nach deinem Wort. Sei und bleibe du auch heute mein Beschützer und mein Hort. Nirgends als von dir allein kann ich recht bewahret sein.

Er war überzeugt, Halt und Orientierung für den Lebensweg wird der gläubige Mensch im Vertrauen auf Gott finden und gewinnen. Wirklich echten Halt und sichere Orientierung gibt es nur bei Gott, dessen starke Hand die Welt und was drinnen ist erhält.

Liebe Gemeinde,

dass es Tag und Nacht wird, dass Sonne und Mond „uns scheinen“ und dass die Welt wie von einer starken Hand zusammengehalten wird, das erscheint uns meistens ganz selbstverständlich. – Obwohl wir es eigentlich wissen sollten, sagen wir immer noch: Die Sonne geht auf und unter, oder der Mond geht auf. Wir sagen auch „er nimmt zu, oder ab. Wir kommen nicht auf die Idee, zu sagen: Schau, jetzt hat sich die Erde wieder ein Stückchen gedreht!
Woher kommt das, dass es um den 21. Juni herum besonders lange hell bleibt. Darüber macht man sich meist nicht groß Gedanken. Das ist eben so.

Ich weiß noch genau, wie ich diese Frage einmal einer Konfirmandengruppe gestellt habe. Einer meldete sich und gab die exakte Antwort. „Das liegt an der Schiefe der Ekliptik!“ Einer von 20 wusste Bescheid. Das Erschütternde war, dass es den 19 anderen gar nicht aufgefallen war, dass es in diesen Tagen länger hell ist.

Genauso selbstverständlich erscheint es uns, – solange wir gesund sind – dass man in der Früh aufsteht, dass man sich auf den Weg in Arbeit macht, dass man ein Dach über dem Kopf hat, einen Beruf, eine Familie und Frieden. Das betrachtet man weithin genauso als selbstverständlich.

Erst wenn das unterbrochen wird, wenn man am eigenen Leib erfährt, es geht nicht, wenn man jemanden pflegen muß, der Hilfe braucht, dann wird manchen deutlich, was eigentlich unser Leben ausmacht: dass wir gehen, spielen, tanzen, Auto fahren können, reden, telefonieren, in die Stadt gehen… und dass das ein Grund für viel Dankbarkeit sein kann.
Wenn es Zeit ist, Abschied zu nehmen, merkt man, wie stark die Verbindung, die Beziehung zueinander gewesen ist. Wenn es Zeit ist, Abschied zu nehmen, wird uns klar, was wir vom Leben und vom Sterben gehalten haben. Was macht das Leben aus? Was ist daran wichtig? Was passiert denn, wenn ein Mensch stirbt? Was macht das mit uns, wenn es unser Vater ist, oder unsere Mutter, unsere Frau, oder unser Mann, der gestorben ist? Ist der Tod etwas Jenseitiges, oder ein Teil unseres Lebens, etwas selbstverständliches, das jeden Tag passieren kann?

Wie denken wir als Christen über den Tod und die Ewigkeit? In der Situation des Abschieds können solche Fragen aufkommen, wenn es ganz still um uns ist und wir am Grab eines geliebten Menschen stehen.

Früher hat man sich vorgestellt, Sterben sei, wie wenn man nach einer langen Reise in die Fremde endlich ans Ziel kommt. Sterben sei Reisen in die Heimat, heimkommen.
Heute sehen viele das umgekehrt: Das Leben sei die Heimat und der Tod sei die Fremde. Wirklich und Echt sei nur das Leben hier. Die schwierigste Einsicht sei die, dass das Leben endlich ist. Das Ende gehört zum Leben dazu und jeder muss mit dieser Begrenztheit zurechtkommen und eine Einstellung dazu finden. Mancher wird davon bitter. Mancher empfindet die Auseinandersetzung mit diesem Thema als unzumutbar, will vom Glauben und von Gott nichts mehr wissen, zieht sich vielleicht sogar auf ein atheistisches Weltbild zurück und will mit seiner Kirche und ihrem Gott nichts mehr zu tun haben.
Man wendet sich ab und tritt aus. Die Kirche ist leer. Viele gute Angebote werden gemacht, aber nicht abgeholt. Studien haben gezeigt: Unsere Angebote sind prima, aber die Menschen wissen nichts davon. Nun, zu Zeiten der Corona Krise, erkennen wir, dass die Krise tiefe Spuren im Leben der Menschen und der Gesellschaft hinterlässt, dass viele sehr wohl betroffen sind, obwohl man so tut, als sei alles nicht so schlimm!

Hier in Gebersdorf kann man noch die Spuren des 30jährigen gleich unterhalb der Kirche erahnen. Auf den Informationstafeln zum Hainberg kann sich heute jeder interessierte Spaziergänger und Naturfreund ein Bild machen, warum Wallenstein als Heerführer der katholischen Seite so ein erfolgreicher Feldherr gewesen ist.
Die Einquartierung der evangelischen Armee – oder zumindest ihrer Offiziere – in den Mauern Nürnbergs war für die Bevölkerung innerhalb der Stadtmauern nicht weniger belastend, als das, was die Bauern im Umland – besonders hier im Westen für ihr Getreide, ihr Vieh und ihre Frauen und Töchter von der katholischen Armee zu befürchten hatten.
Abscheulich zugerichtet wurde, wer sich widersetzte, und wen es traf, dem drohte weit mehr als Geschlechtskrankheiten und wirtschaftlicher Ruin. So viel konnte niemand trinken, um die Traumatisierung zu verschmerzen.
Wie man in der Musik der Barockzeit die Kompositionstechnik des Kontrapunkts zur Zeit von Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach pflegte, so setzten Dichter, Philosophen und Prediger der Vergänglichkeit der Welt die Hoffnung auf eine andere positive Zeit im Jenseits entgegen.

Wo im 23. Psalm der gute Hirte durch das finstre Tal führt, wird am Ende des Weges ein gedeckter Tisch warten.
Dem in der Welt wütenden Unheil wird die unendlich große Macht Gottes im Himmel entgegengestellt. Denn der Herr der himmlischen Heerscharen wird sehr wohl in der Lage sein, ein starkes Schutzschild vorzuhalten und sichere Wege und heiles Ankommen in der Lebens- oder Todesgefahr zur ermöglichen. Doch Glaube will gerade keine Vertröstung auf ein heiles Jenseits konstruieren. Das machen besonders die Gedanken von Dietrich Bonhoeffer deutlich, der in quasi auswegloser Situation nicht Verschwörungstheorien predigte. Er, der allen Anlass gehabt hätte, nach allem, was er bis dahin erlebt hatte, zu schreiben: Wir müssen uns darauf einstellen, dass es noch viel schlimmer kommt! Also etwa so: Von Bösen Mächten Tag und Nacht umgeben, befürchten wir, dass noch viel Schlimmres kommt.“
Aber er macht es nicht so. Er weiß um die Macht des Glaubens und deshalb übt er in seinem Denken und Reden eine andere Haltung ein:
„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag!“
In diesem Sinn verstehe ich auch Heinrich Albert, wenn er dichtet:

Meinen Leib und meine Seele samt den Sinnen und Verstand, großer Gott ich Dir befehle unter deine starke Hand. Herr, mein Schild, mein Ehr und Ruhm, nimm mich auf, dein Eigentum. Deinen Engel zu mir sende, der des bösen Feindes Macht, List und Anschlag von mir wende und mich halt in guter Acht, der auch endlich mich zur Ruh trage nach dem Himmel zu.

H. Albert 1642 EG

Gebet

Wir rufen zu Dir, Schöpfer des Lebens, Schöpfer der Welt: Höre unsre Stimmen, wenn wir rufen, sei uns gnädig und erhöre uns. Unser Leben ist wie Gras, das heute grünt, wie die Blume, die heute blüht und morgen ist das Gras dürr und die Blume verblüht – und doch ist unser Leben in deiner Hand.
Wir rufen zu Dir, Christus unser Herr und Bruder: Lass die Kraft der Versöhnung hineinwirken in diese Welt, dass Menschen einander die Hände reichen und entdecken, dass sie Brüder und Schwestern sind in einem Geist und unter einem Herrn, dass sie erfahren, wie sie gemeinsam Verantwortung übernehmen und die Welt verantwortlich gestalten können.
Wir rufen zu Dir, Heiliger Geist: unsere Zuversicht, unsre Stärke und Licht, auf Dich vertraun wir und fürchten uns nicht! Du gibst uns den Odem des Lebens. Die leitest uns durch dein Wort, den Weg der Wahrheit und des wahrhaftigen Lebens.

Vater unser

Pfarrer Armin Langmann