Predigt zum Erntedankfest: „Der Segen des Gebens“

Von Pfarrerin Gabriele Edelmann-Richter am 03.10.2021 in der Stephanuskirche in Gebersdorf

Sonnenblumen am Altar der Stephanuskirche

Liebe Gemeinde,

Das Erntedankfest steht auf der Beliebtheitsskala der kirchlichen Feste ganz weit oben!
Übertroffen wird es nur vom Weihnachtsfest, bei manchen Kirchgängern evtl. noch vom Osterfest.
Diese drei Feste werfen ihre Schatten schon Wochen vorher voraus, bis sie dann am Festtag all ihre Pracht und ihren Glanz auch in den geschmückten Gotteshäusern zeigen.

Wenn wir uns heute hier umschauen, so können wir staunen über die wunderbaren Früchte der Felder und die leuchtenden Blumen der Gärten.

Erntedankaltar in der Stephanuskirche mit verschiedenen, geernteten Gemüsesorten


Am Freitagvormittag waren schon die Kindergartenkinder mit ihrem Bollerwagen hier in unserer Stephanuskirche und haben sich in einem abwechslungsreichen Gottesdienst über die eingesammelten Erntedankgaben bedankt und gefreut. 

Heute am Erntedanksonntag feiert die ganze Gemeinde auch unser Gemeindefest. 
Wir sind dankbar, dass wir uns endlich wieder versammeln dürfen und wir sind dankbar, dass wir trotz klimatischer Veränderungen noch keine Not leiden müssen.

Deshalb können wir heute ein Fest der Sinne feiern:
die Augen können sich satt sehen an der bunten Vielfalt der Früchte und Blumen, die Ohren freuen sich an der wunderbaren Musik, die uns durch das ganze Fest begleitet, sogar unsere Nasen und unser Gaumen werden sich nachher freuen über den köstlichen Bratwurstduft.

Ja, und dann ist da noch unser Predigttext zum Erntedankfest, der Dank und Freude aufnimmt.
Geschrieben hat ihn der Apostel Paulus in seinem 2. Brief an die Gemeinde von Korinth.
Ich lese die Übersetzung aus der Basisbibel:

Liebe Korinther,
das aber sage ich euch: „Wer spärlich sät, wird spärlich ernten. Und wer reichlich sät, wird reichlich ernten.“
Jeder soll so viel geben, wie er sich selbst vorgenommen hat. Er soll es nicht widerwillig tun und auch nicht, weil er sich dazu gezwungen fühlt. Denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb!
Gott aber hat die Macht, euch jede Gabe im Überfluss zu schenken. So habt ihr in jeder Hinsicht und zu jeder Zeit alles, was ihr zum Leben braucht. Und ihr habt immer noch mehr als genug, anderen reichlich Gutes zu tun.
So heißt es ja in der Heiligen Schrift: „Er verteilt Spenden unter den Armen. Seine Gerechtigkeit steht fest für immer.“
Gott gibt den Samen zum Säen und das Brot zum Essen. So wird er auch euch den Samen geben und eure Saat aufgehen lassen. Euer gerechtes Handeln lässt er Ertrag bringen.
Er wird euch so reich machen, dass ihr jederzeit freigiebig sein könnt. Und aus Eurer Freigiebigkeit entsteht Dankbarkeit gegenüber Gott, wenn wir eure Gaben überbringen.
Denn die Ausübung dieses Dienstes lindert nicht nur Mangel, an dem die Heiligen leiden. Sie ist auch deshalb so wertvoll, weil sie große Dankbarkeit gegenüber Gott bewirkt.
Weil ihr euch in diesem Dienst so bewährt habt, werden sie Gott loben. Denn daran sehen sie, dass ihr euch gehorsam zu der Guten Nachricht von Christus bekennt. Und an eurer Freigiebigkeit merken sie, dass ihr mit ihnen und allen Gemeinschaft haltet.
Und wenn sie für euch beten, werden sie das voll Sehnsucht nach euch tun. Denn sie haben erkannt, dass Gott euch in so reichem Maße seine Gnade geschenkt hat.
Dank sei Gott für seine Gabe, die so unbeschreiblich groß ist!

2. Kor. 9,6-15

Liebe Stephanus-Gemeinde,

nachdem Sie diesen Briefausschnitt des Paulus gehört haben, werden nicht nur die Konfirmandinnen und Konfirmanden denken: So ein Durcheinander – ganz schön schwierig dieser Text. Was will Paulus seiner Gemeinde in Korinth eigentlich sagen?

Den Älteren unter Ihnen wird aber dann doch der Satz: 
„Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb!“ bekannt sein.
In früheren Jahren wurde er immer nach dem Verlesen der Kollekte gesprochen.

So viel können wir spontan sagen:
Dieser Briefabschnitt ist ein Spendenaufruf!
Ja, das gab es auch schon vor 2000 Jahren.
Paulus bekam vom Apostelkonzil im Jahr 48 n. Chr. in Jerusalem den Auftrag, in seinen neu gegründeten Gemeinden im Mittelmeerraum Spenden für die Urgemeinden zu sammeln. Die neu gegründeten Gemeinden sollten sich dadurch solidarisch zeigen, sie sollten ein Gespür bekommen, was es heißt, als Einheit der Christen im Römischen Reich aufzutreten.

Wenn wir den Paulinischen Spendenaufruf genauer unter die Lupe nehmen, sehen wir, dass Paulus ein Meister des Worts war. Er jonglierte schon damals mit Worten wie „spärlich, Zwang oder widerwillig“ und setzte diesen geschickt die Worte „fröhlich, im Überfluss, reichlich und gerecht“ gegenüber, um die Aufmerksamkeit seiner Hörer zu gewinnen.
Es fällt auf, dass Paulus dabei mehr positive Gedanken verwendet.
So schafft er es, aus einem nüchternen Spendenaufruf ein Bekenntnis zum Leben zu machen.
Es geht ihm nicht darum, dass die Hörer zum Geben aufgefordert werden und ihnen dann auch noch befohlen wird, dabei fröhlich zu sein. Nein.
Der eigentliche fröhliche Geber ist Gott!
Die Vielzahl an schönen Worten stehen für die Gaben, die wir Menschen im Überfluss von Gott bekommen haben. 
Denn eigentlich braucht es nicht viel, damit wir glücklich sind und damit wir andere glücklich machen können.
Die beiden großen Kirchen folgen sowohl an Weihnachten als auch am Erntedankfest dem biblischen Spendenaufruf des Paulus. Es ist Tradition, dass wir auch an die christlichen Kirchen in Übersee denken. 
Wir Christen hier in Deutschland zeigen uns mit unseren Spenden solidarisch mit unseren Glaubensbrüdern und Schwestern in den von der Pandemie oder von Bürgerkriegen schwer traumatisierten Gemeinden.
Das hat dann auch gar nichts mit eigener Gewissensberuhigung, selbstgefälliger Almosengabe oder gar Steuerersparnis zu tun. 
Am Erntedankfest halten wir inne und uns wird klar, dass wir hier in unserem Land mit allen Gütern reich gesegnet sind und – aus Dankbarkeit darüber – gerne geben können!

„Wer reichlich sät, wird reichlich ernten!“

Das schreibt Paulus den Korinthern, das gilt auch für uns!
Durch unsere Freigiebigkeit zeigen wir uns Gott gegenüber dankbar dafür, was wir von ihm zum Leben erhalten haben.

Natürlich ist es an den Tagen, an denen es uns gut geht, an denen wir gute Laune haben, einfach, sich als ein Beschenkter zu fühlen und etwas abzugeben.
Schwierig wird das Ganze, wenn uns die Lust am Leben vermiest wird, wenn wir selbst grad den Boden unter den Füßen verloren haben.
Dann wird es schon mal eng um’s Herz, dann fehlt die Kraft, auch noch an andere zu denken.
Paulus aber hält dagegen: Wenn wir uns ausgelaugt fühlen, ja fast schon wie welk den Kopf hängen lassen, dann dürfen, ja sollen wir uns in den Sommerregen des Wortes Gottes stellen.
Was dann passiert, weiß jeder, der einen Garten oder Balkonpflanzen hat: Langsam aber sicher werden wir uns aufrichten, saugen all die guten Nährstoffe auf, die uns dann wieder aufrecht durch’s Leben gehen lassen:

Wir blühen auf durch die Liebe, die uns geschenkt wird, 

wir blühen auf durch den Frieden, den wir mit anderen Menschen haben,

wir blühen auf durch die Zufriedenheit darüber, dass unser Glas doch halb voll ist und

wir blühen auf, wenn wir unsere Augen über all die herrlichen Erntegaben wandern lassen!

Der Segen Gottes ist die Lust am Leben!

Gott will seinen Segen über uns ausschütten für all unser Mühen, Arbeiten und Schaffen.

Liebe Gemeinde, ich bin mir sicher, wenn wir dies begreifen, wird es ein Leichtes sein, unsere Dankbarkeit gegenüber denen zu erweisen, die selbst nicht auf die Beine kommen.
Wenn Menschen in ganz Bayern heute eine Spende für „Mission eine Welt“ oder die Welthungerhilfe geben, dann geschieht Dank. Gelebter Dank!

Brot auf dem Altar der Stephanuskirche mit der Aufschrift "UNSER TÄGLICH BROT"

Und denken Sie daran: gelebter Dank macht glücklich!

Amen

Gabriele Edelmann-Richter, Pfarrerin

Die drei „Gs“ des Neuen Testaments

Von Pfarrerin Gabriele Edelmann-Richter am 15.08.2021 (11. Sonntag nach Trinitatis) in der Stephanuskirche in Gebersdorf

Liebe Gemeinde,

sind Sie geimpft, genesen oder getestet?

Diese drei „Gs“ schweben seit etlichen Wochen über unseren Köpfen. Wir haben sie gerade in der Urlaubszeit, in der doch viele wegfahren wollen, schon verinnerlicht. Die drei „Gs“ geben uns nach Maßgabe der Politiker Zugang zu Orten und Veranstaltungen, die wir ohne einen Nachweis nicht besuchen dürfen.
Aufwändig und manchmal lästig sind sie und doch geben uns die drei „Gs“ die Möglichkeit – zumindest für ein paar Wochen – ein entspanntes Leben zu führen.

In der Bibel stehen drei „Gs“, die uns unser ganzes Leben lang „Entspannung“ versprechen:

Predigttext

Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht
aus Gnade seid ihr gerettet – und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus. Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben,
und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme.
Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen!

Epheserbrief 2,4-10

Liebe Gemeinde,
würden wir bei diesem Text, der voll mit theologischen Begriffen ist, die Methode des Bibelteilens anwenden, welche einen Text auf die Kernaussage hin reduziert, würden Sie genau die drei „Gs“ des Neuen Testaments heraushören:

aus Gnade gerettet,

durch den Glauben an Jesus Christus,

geschaffen zu guten Werken!

Hinter diesen Worten steckt die ganze Erkenntnis des Apostels Paulus,
welche auch Martin Luther sein ganzes Leben lang beschäftigt hat.
In seinen jungen Jahren versuchte Luther auf unterschiedlichste Art und Weise einen gnädigen Gott zu finden. Er pilgerte, er spendete, schließlich ging er ins Kloster und kasteite sich dort, bis ihm sein Ordensvorgesetzter Johann Staupitz das Kreuz Christi ans Herz legte und ihm sagte: Allein aus Gnade –  bist du schon erlöst!

Immer wieder höre ich in Gesprächen, dass sich kirchenferne Menschen fragen, was es denn eigentlich bringe, engagiert in Kirche und Gemeinde mitzuarbeiten, was hätten Ehrenamtliche davon?
Ich antworte darauf gerne, dass das Mitwirken und Tun Zufriedenheit bringt, es gibt dem Leben einen tiefen Sinn.
Bei Älteren höre ich oft die Frage: Bring ich’s denn noch? Kann ich noch lange mithalten?
In der Firma – in der Familie – in der Partnerschaft?
In unserem Epheserbrief steht: „Ihr seid aus Gnade gerettet!“
Nicht die Leistung zählt, auch nicht wie lange ihr mit anderen mithalten könnt, nicht, ob wir den Menschen genügen – auch nicht, ob wir mit uns selbst zufrieden sind!
Jeder Atemzug, den wir machen, ist eine Gabe Gottes, jeder Tag, den wir erleben dürfen, ist ein Geschenk Gottes.
Für Gott sind wir wertvoll, jede und jeder von uns, wir sind ihm kostbar, ohne jegliche Bedingung!

In unserem Epheserbrief heißt es dann weiter: „Gott hat uns mit Christus lebendig gemacht, auferweckt und im Himmel miteingesetzt.“
Das klingt doch super!
Ein Theologe hat das auf folgenden Nenner gebracht: „Wer sich im Himmel auskennt, der kommt auch auf der Erde zurecht!“
So einfach ist das!
Wo aber erlebe ich das – auferweckt zu sein, mit Christus gar einen Platz im Himmel zu haben?
Meine Antwort darauf:
Natürlich im sonntäglichen Gottesdienst!
In jedem Sonntagsgottesdienst feiern wir die Auferstehung Jesu.
Und dabei sind wir eingebettet in unsere Gemeinde, in die Gemeinschaft der Gläubigen, die Generationen von Menschen umfasst, in einem Sinne auch vereint mit allen Christen auf der Erde, die Gott loben, aber auch klagen und immer wieder getröstet und gestärkt werden.
Das kann durch die Vielfalt der biblischen Hoffnungsgeschichten geschehen oder durch die Feier des Heiligen Abendmahls, welches uns ganz intensiv mit hinein nimmt in den Glauben an den Auferstandenen.

Einen Platz im Himmel haben, das wird auch jedem Täufling zugesprochen:
Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind!
Gestern wurde hier in unserer Stephanuskirche wieder ein Kind getauft. Sowohl für mich als Pfarrerin als auch für die Familien ist das immer ein ganz besonderes Ereignis.
Aus der Taufe heraus kommt der neue Mensch, der alte Adam wird durch das Taufwasser ersäuft. So hat es Martin Luther beschrieben: der neue Mensch tritt lebendig hervor und ist vereint mit Christus!
Dieser Zuspruch und die Verheißung von Gottes Segen für den Lebensweg, das sind Worte mit unbeschreiblicher Kraft!

Liebe Gemeinde,

jetzt fehlt noch das dritte „G“ in unserem Epheserbrief:

 „Geschaffen zu guten Werken“

Damit wird noch einmal klar gemacht, dass wir aus menschlicher Anstrengung und Kraft heraus Gottes Güte und Liebe nicht verdienen können. Weder meine Leistungen noch meine Versäumnisse machen mich vor Gott zu dem, was ich bin, sondern allein aus Gnade, d.h., es ist allein Gottes Geschenk, das uns ihm genehm macht.

„To do-Listen“ kann ich da getrost beiseite legen, Optimierungsplanungen kann ich verwerfen, ich muss weder mich noch andere kontrollieren.

Allein an den Schöpfergott glauben und seinem Sohn vertrauen!

Klingt schon wieder einfach und ist doch manchmal so schwer!
Irgendwie möchten wir uns doch für eine Sache einsetzen,  zumindest Danke sagen für ein Geschenk.
Die Antwort der Bibel lautet: Aus Dankbarkeit kannst Du gute Werke tun! Wenn du Gottes Gnade verspürst, dann bist du frei, dann bist du stark, dann schaffst du es, auch für andere Menschen etwas zu tun.
An dieser Stelle könnten sicher viele von Ihnen Geschichten erzählen, die davon handeln, dass Sie frei aus allen Stücken anderen zur Seite standen, ohne etwas von Gott oder von den Menschen erwartet zu haben.

Ich möchte meinerseits eine kleine Geschichte erzählen:

Vor einigen Wochen hatte ich einen Einsatz in der Notfallseelsorge. Es war Sonntag. Ich hatte hintereinander zwei Gottesdienste und noch zwei Taufen am Vormittag zu halten. Gegen 13.00 Uhr kam ich nach Hause, aß mit meiner Familie zu Mittag und freute mich auf einen entspannten Nachmittag.
Aber kaum hatte ich den letzten Bissen zu mir genommen, erhielt ich den Anruf.
Ich wurde zu einer hochbetagten Dame gerufen, die gerade ihren Sohn verloren hatte. Völlig hilflos, wusste sie nicht, was sie nun machen sollte.
Es handelte sich um einen dramatischen Rettungseinsatz mit Feuerwehr und Polizei. Die schockierte Dame saß verzweifelt in ihrer Wohnung.
Ich wurde gebeten bei ihr zu bleiben bis … ja, wie lange eigentlich …?
Schließlich blieb ich bei ihr bis in die Nacht hinein, bis ich nach zermürbenden Telefonaten zu später Stunde endlich einen Heimplatz für die alte Dame aufgetrieben hatte.
Von einem entspannten Sonntag war da nicht mehr die Rede.
Das Schicksal der alten Dame aber machte mich so betroffen, dass es für mich ganz klar war, bei ihr zu bleiben. Ob mich nun der Himmel zu dieser betagten Dame geschickt hat, so wie sie es immer wieder betonte, das weiß ich nicht.
Aber es gibt ja Dinge zwischen Himmel und Erde, die können wir nicht begreifen, nur glauben!

An diesem Tag kamen mir die Worte der evangelischen Theologin Dorothee Sölle in den Sinn:
„Christus hat keine Hände, nur unsere Hände, um seine Arbeit heute zu tun.
Er hat keine Füße, nur unsere Füße, um Menschen auf seinen Weg zu führen.
Christus hat keine Lippen, um Menschen von ihm zu erzählen.
Er hat keine Hilfe, nur unsere Hilfe, um Menschen an seine Seite zu bringen.“

Liebe Gemeinde,
wir sind durch Christus erlöst – befreit – auferweckt und können das Gute tun,
nicht, damit wir einen Platz im Himmel bekommen,
sondern weil wir schon einen Platz im Himmel haben!

Amen.

Gabriele Edelmann-Richter, Pfarrerin

Ein festes Fundament

Von Pfarrerin Gabriele Edelmann-Richter am 01.08.2021 (9. Sonntag nach Trinitatis) in der Stephanuskirche in Gebersdorf

Symbolbild Fundament

Liebe Gemeinde,

sprachlos haben sie uns gemacht, die Bilder, die wir in den vergangenen Wochen in der Tagesschau und im Heute Journal gesehen haben. Reihum, innerhalb weniger Tage haben in unserem Land Unwetter viele Regionen hart getroffen. In unserer Nähe war die Gegend um Neustadt und Bad Windsheim schwer getroffen, aber kein Vergleich zu der existentiellen Katastrophe, die die Menschen in NRW und in Rheinland-Pfalz erleben mussten.
Nicht nur, dass das Wasser in den Kellern und in den Wohnungen stand, nein, dort wurden ganze Häuser von den Fluten mitgerissen. Häuser, die eigentlich schon viele Hochwasser hinter sich hatten – sie wurden einfach weggespült.
Alles Hab und Gut weg und das von einem Tag auf den andern.

Gerade zu dieser Zeit kommt da der Predigttext für den heutigen Sonntag. Beim Lesen habe ich erstmal tief Luft holen müssen.

Ich lese aus der Bergpredigt Jesu

Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet.
Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.“

Matthäus 7,24-27

Wenn wir diese Worte hören und sie mit unseren Bildern im Kopf verbinden, kann leicht der Eindruck entstehen, dass die Menschen, deren Häuser in den letzten Wochen mitgerissen wurden, sich besser schon vorher um ihre Fundamente hätten kümmern müssen oder Dämme und Böschungen doch schon längst besser hätten geplant und ausgebaut werden müssen.
Im Nachhinein sind wir immer schlauer. Schuldige werden gesucht angesichts einer solchen Katastrophe.

Die Bergpredigt will uns aber etwas anderes sagen

Die Fundamente Fels und Sand stehen für die Fundamente, auf denen unser Leben gegründet ist.
Unser Leben aufzubauen und über mehrere Jahrzehnte zu erhalten – das ist ein Langzeitprojekt.
Schon von Beginn an gibt es unglaublich viele Unwägbarkeiten, dass gar mancher am liebsten aufgeben möchte. Und hat man es endlich geschafft und meint, sein Leben endlich im Griff zu haben, steht man in steter Verantwortung.
Leichtfertigkeit hat verheerende Folgen und kann uns aus der Bahn werfen.

Auch in unserem Leben müssen wir auf etwas Festem bauen können.
Wir alle möchten sicher sein, dass Geschaffenes hält und nicht gleich beim ersten Unwetter wegbricht. Unser Leben gründet auf diesem Urvertrauen, das sich schon in unserer Kindheit herausgebildet hat.
Wir vertrauen darauf, dass die Menschen, die uns liebevoll begegnen, auch am nächsten Tag noch da sind.
Wir vertrauen darauf, dass wir jeden Abend ein Dach über dem Kopf haben und ein Kissen, auf das wir unseren Kopf legen können. Das sind Grundbedürfnisse ersten Ranges.

Je länger wir darüber nachdenken, desto mehr merken wir aber, dass doch alles ziemlich unsicher ist.
Beispiele aus unserem Bekanntenkreis kennen wir genug: Ehepaare, die sich auf einen gemeinsamen Ruhestand freuen, endlich Zeit für die Enkel oder fürs Reisen haben, werden aus der Bahn geworfen, wenn einer der Ehepartner eine schlimme Diagnose erhält und plötzlich stirbt. Oder wenn der Betrieb unverhofft Stellen streicht und man auf der Entlassungsliste steht. Da hilft oft auch keine Abfindung, wenn man über 50 Jahre alt ist. Da rutscht weg, was doch das Leben tragen sollte.

Jesus vergleicht in seiner Bergpredigt unser Leben mit einem Hausbau. Er betont, dass es auf das Fundament ankommt.

Vom Lebensfundament

Wie nun muss es seiner Meinung nach beschaffen sein – unser Lebensfundament?
Jesus spricht: „Wer diese meine Worte hört und danach handelt, der hat auf Fels gebaut.“
Welche Worte meint er?
Die Beispielgeschichte vom Hausbau steht ganz am Ende der Bergpredigt. Dieser Geschichte gehen ganz entscheidende Worte voraus: Vom Salz der Erde, vom Licht der Welt, vom Vergelten, vom Schwören, von der Feindesliebe und nicht zu vergessen das Vaterunser Gebet.
Und dann am Schluss seiner Bergpredigt die Aufforderung: Ihr habt gehört, was ich euch gesagt habe – jetzt lebt danach!
Wer dem Hören keine Taten folgen lässt, der hat auf Sand gebaut.
Glauben und Handeln gehören zusammen.
Das darf und kann man nicht trennen.
Sowohl unser Handeln als auch unser Unterlassen wird immer Folgen haben – gute und schlechte.

Matthäus betont das in seinem Evangelium oft genug.
Zugespitzt schreibt er sogar: „Jeder Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.“
Wahrlich harte Worte.
Da müssen wir Hörer erst einmal schlucken!
Befreiende Worte des Evangeliums klingen doch eigentlich anders.
Muss ich also allen Forderungen Jesu nachkommen, um ein festes Fundament für mein Leben zu schaffen, um dann ins Reich Gottes zu kommen?

Ich denke, dass Jesus hier seinen Zuhörern keinesfalls drohen will.
Es geht ihm um ein gelingendes Leben im Hier und Jetzt, das auf andere ausstrahlt.
„Lasst euer Licht vor den Leuten leuchten!
Bezeugt das, was ihr glaubt und erhofft – durch euer Handeln und Tun!“

Und wenn wir an unsere Grenzen kommen, unsere Kräfte nachlassen und Verzweiflung sich breit macht …
Auch an diese Situation hat Jesus in der Bergpredigt gedacht:
Zwischen all dem Fordernden und Herausfordernden hat das Vaterunser in seiner Predigt einen wichtigen Platz:

Dieses Gebet tröstet uns!

Jeden Tag auf’s Neue dürfen wir Gott um Vergebung bitten, neu anfangen.
Jeden Tag bietet sich uns die Gelegenheit, aus Vergangenem zu lernen und Eingestürztes neu aufzubauen. Jesu Versprechen gilt!

Die Kraft, unser Fundament zu sichern, wird uns geschenkt, wenn wir Gott darum bitten.

Amen.

Gabriele Edelmann-Richter, Pfarrerin

Predigt „Das große Abendmahl“ zu Wandbildern von Karl Hemmerlein

Von Pfarrer Dr. Matthias Dreher am 04.07.2021 (5. Sonntag nach Trinitatis) in der Stephanuskirche in Gebersdorf

Das große Abendmahl, Wandbild von Karl Hemmerlein zum Lukasevangelium in der Stephanuskirche Nürnberg. Gemalt auf dem Bogen zur Altarnische.
Bilderzyklus in der Stephanuskirche – Alle Fotos: Dr. M. Dreher

Liebe Mitchristen hier in der Stephanuskirche,

Sie haben hier in Ihrer Kirche etwas Außergewöhnliches: Diesen Bilderzyklus, den Karl Hemmerlein etwa 1930 um den Bogen zur Altarnische malte. Er zeigt, wie die meisten von Ihnen sicherlich wissen, Einzelszenen aus Jesu Gleichnis vom Großen Abendmahl, das in der Bildenden Kunst ganz ganz selten nur darstellt ist.

Kurz ein paar Worte zum Maler: Karl Hemmerlein wurde 1896 in Fürth geboren und starb auch dort im Jahr 1970. Er war also noch ein junger Künstler Mitte 30, als er diese Bilder hier schuf, – aber schon auf der Höhe seines Ruhms: 1931 wurde diese Stephanuskirche geweiht und im selben Jahr malte Hemmerlein in der neugebauten Klinikums-Kapelle in Fürth eine riesige Himmelfahrtsszene und prompt verlieh ihm 1932 die Stadt Nürnberg den Albrecht-Dürer-Preis – und das einem Fürther! Das will was heißen. Aber ab 1934 erhielt er Ausstellungsverbot für den Rest der Nazizeit und seine Himmelfahrt in Fürth wurde wenige Jahre nach ihrer Erschaffung als „entartet“ übertüncht. Dabei hat Hemmerlein immer wieder Auftragswerke für Nazis gemalt, etwa ein repräsentatives Hitler-Porträt für den früheren Fürther Oberbürgermeister. Seltsam. Wieder so ein Mensch, der in unsere drei Schubladen „Nazi“, „Widerständler“, „unpolitischer Mitläufer“ nicht reinpasst. – Zurück zu den Bildern und zum Gleichnis. Wir haben hier die Fassung, wie der Evangelist Lukas in Kap. 14 das Gleichnis überliefert. Das möchte ich gleich betonen, weil uns Matthäus dasselbe Gleichnis erzählt, aber in einer Variante, zu der man ganz andere Bilder hätte malen müssen.

Wie sehen wir den Bilderzyklus heute?

Ich stelle mir vor, wie ein normaler Mensch von heute, der das Gleichnis gar nicht kennt, z.B. ein neuer Konfirmand, dieses Bild betrachten würde. Er sieht sieben Szenen, die jeweils ohne Boden und Hintergrund – typisch für Hemmerlein zu der Zeit – um den Bogen gruppiert sind. Jede steht für sich und doch sind alle sieben durch die Farben und v.a. durch die Körperhaltungen aufeinander bezogen. Der Bilderbogen zerfällt nicht und wird zusammengehalten durch die Tischszene in der Mitte oben. Darauf streben die beiden Seiten zu. Die zentrale Figur ist am leichtesten zu erkennen: Das muss Jesus sein, mit Heiligenschein. Wer sich nur ein bisschen auskennt in christlicher Kunst, den erinnert dieser Tisch mit dem gefalteten Tischtuch an unzählige Abendmahls-Bilder. Das „normale“, das „letzte“ Abendmahl kann aber nicht gemeint sein, denn wir sehen keine 12 Jünger, sondern links einen alten und einen jungen Mann; rechts eine alte und eine junge Frau. Auf dem Tisch stehen außer Brot auch zwei Schalen mit etwas wie Äpfeln drin.

Abendmahlszene aus "Das große Abendmahl" in der Stephanuskirche von Karl Hemmerlein

Also die Menschen, jung und alt, essen mit Jesus. Hm. Wo, wann und warum bleibt unklar. – In den je drei Szenen links und rechts erkennt man eine Figur überall wieder: Den Mann im blauen Gewand, der alle auf den Tisch mit Jesus hinweist. Die anderen Menschen streben dreimal von ihm weg, dreimal folgen sie ihm. Aber was sollen die Ochsen und das Kornfeld?

Predigttext

Jetzt wird es Zeit, das Gleichnis zu hören. Jesus ist am Sabbat zu Gast bei einem Ober-Pharisäer in Jerusalem und hat schon Gleichnisse und anderes gelehrt, da gibt ihm ein anderer Gast das Stichwort:

Da aber einer das hörte, der mit zu Tisch saß, sprach er zu Jesus: Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes!

Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist schon bereit!

Da fingen sie alle an, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und ein andrer sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Wieder ein andrer sprach: Ich habe eine Frau geheiratet; darum kann ich nicht kommen. Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn.

Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen und Verkrüppelten und Blinden und Lahmen herein. Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde. Denn ich sage euch: Keiner der Männer, die eingeladen waren, wird mein Abendmahl schmecken.

Lukas 14,15-24

Das Gleichnis in der Stephanuskirche

Also: Ein offenbar reicher Mann veranstaltet ein großes Abendessen – und da muss man wissen, dass es damals in Palästina üblich war, zweimal einzuladen. Erst gibt’s eine Voreinladung, dann bereitet der Gastgeber alles zu und wenn’s soweit ist, geht nochmal ein Bote herum und sagt den Gästen: So, es ist soweit, ihr könnt kommen. Der Satz des Knechts: „Kommt herzu, denn es ist alles bereit“, ist in unsere Abendmahls-Liturgie eingegangen. Viele, heißt es, waren eingeladen, jetzt aber finden ALLE Ausreden, um nicht zu kommen. Die drei, von denen im Einzelnen erzählt wird, sind also nur Beispiele. Der erste muss seinen neu gekauften Acker begutachten. Der zweite hat für seine Felder neue Ochsen gekauft und muss schauen, ob sie was taugen. Der dritte hat frisch geheiratet und will von seiner Braut nicht weg. Die drei haben wir eher im unteren Bereich hier dargestellt.

Es sind also Geschäfte und Belange des normalen, weltlichen Lebens, die sie abhalten, die Einladung anzunehmen. Wir alle kennen so etwas auch: „Du, ich habe mir ein neues Auto gekauft und muss es in Wolfsburg abholen. An dem Freitag kann ich leider nicht zu deiner Grill-Party kommen. Sonst gerne, aber grad da, geht es nicht.“ – „Meine Lieben, danke für die Einladung zu Pauls Konfirmation. Aber gerade an dem Sonntag muss ich zur Kommunion meines Patenkindes. Ich hoffe, ihr versteht das.“ Klar, sowas kennen wir. Und es ist auch in der Regel gar nicht böse gemeint. Ja, sagen wir’s ruhig: Diese drei Menschen, die hier absagen, sind keine Bösen.

Trotzdem wird der Hausherr bei Jesus jetzt „zornig“. Einmal sicherlich, weil plötzlich alle absagen und er mit seinem vielen Essen allein dasteht. Zum anderen – und das ist noch viel wichtiger –, weil sich in den an sich nachvollziehbaren Ausreden eine Prioritätensetzung zeigt: „Ja, eigentlich, lieber Gastgeber, würden wir dir schon die Ehre geben, aber unsere eigenen Belange – und sind sie noch so alltäglich – sind uns trotzdem näher und wichtiger.“ Sie verstehen offensichtlich nicht, wie wichtig dem Gastgeber sein Fest, wie wichtig ihm seine Gäste sind und wie wichtig vielleicht er selbst für sie ist.

Ich erzähle Ihnen, wie ich das selbst erlebt habe:

Letztes Jahr wurde ich 50 und wollte ein Fest in einem schlossartigen Saal veranstalten. Also schickte ich ein Jahr zuvor ein „Save-the-date“ wie das Neudeutsch heißt an die Gäste raus. Auch an meinen Onkel und Paten, zu dem ich regelmäßig Kontakt hatte und der mir nahe und wichtig ist. Die meisten sagten da schon zu; er auch. Als das Fest dann näherrückte, sagte er wieder ab, weil er an diesem Wochenende – entweder an seinem Buch weiterschreiben oder mal wieder mit seiner Frau in Urlaub fahren wolle. Pa! Ich konnte mir aussuchen, was von beidem ihm wichtiger wäre als meine Einladung. Da war ich vielleicht sauer – und bin es ehrlich gesagt bis heute. Aber „sauer“ trifft es noch gar nicht. Ich bin natürlich tief enttäuscht, weil ich merke, dass mein Onkel gar nicht der ist, als den ich ihn sehe und dass ihm unsere Beziehung lang nicht soviel wert ist, wie ich dachte. Das schmerzt. Und daher kommt der Zorn. 

Aber jetzt macht der Hausherr, der bei Jesus natürlich für Gott steht, etwas anderes, als ich es getan hätte. Er schickt den Knecht, seinen Einlader noch zweimal los, um seine Fest-Tafel doch noch irgendwie zu füllen. Die erste Runde geht in die Stadt an die Armen, die Krüppel, die Blinden und Lahmen. Die zweite Runde geht nach außerhalb der Stadt an die Wege und Zäune, also an die Landstreicher und Tagelöhner.

Man kann zusammenfassen: Der Hausherr holt sich gesundheitlich oder sozial unreines, ausgestoßenes Gesindel ins Haus. Leute, mit denen angesehene, etablierte Herrschaften der Gesellschaft nichts zu tun haben wollen. Das macht es den Hörern des Gleichnisses – also auch uns – schwer, sich in diese Botschaft einzuklinken. Denn mit welcher Gruppe wollen wir uns identifizieren? Sind wir die Ersteingeladenen, die absagen und nichts von Gott abbekommen? Oder sind wir verachtete Außenseiter? Beides will man nicht sein. Wenn wir überhaupt bereit sind, hier eine Botschaft für uns zu hören – und das sollen wir natürlich – dann geht das nicht ohne Kränkung unseres Egos ab.

Die Gemeinde, für die der Evangelist Lukas schreibt, dürfte das so verstanden haben, dass mit der ersten Runde innerhalb der Stadt die Mission unter Juden, v.a. in Jerusalem gemeint war – so wie sie Lukas in der ersten Hälfte der Apostelgeschichte beschreibt. Die zweite Runde sollte ein Bild für die sog. Heidenmission sein – also unter Nicht-Juden im nordöstlichen Mittelmeer-Gebiet, so wie sie Lukas in der zweiten Hälfte der Apostelgeschichte darstellt. Zu dieser letzten Heiden-Gruppe von den Wegen und Zäunen zählte die Lukas-Gemeinde sich wohl auch selbst und war dankbar, „auf den letzten Drücker“ noch mit rein-genötigt worden zu sein.

Zurück zum Gleichnis

Schauen wir uns nochmal die Hilfsbedürftigen der ersten Ersatzsammlung an: Jesus selbst beschreibt sein Auftreten gegenüber den Jüngern Johannes des Täufers einmal so:

„Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt“

Matthäus 11,5f

Anderswo sagt er zu seinen eigenen Jüngern:

„Geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel“

Matthäus 10,6

Das war die Sendung, mit der Jesus angetreten ist: Natürlich hat er sich auch werbend an die Schriftgelehrten und Pharisäer gewandt. Die sind wohl  im Gleichnis sogar ursprünglich mit den zuerst Eingeladenen, ehrwürdigen Gästen gemeint gewesen. Aber je deutlicher die sich verschließen, desto mehr wirbt Jesus um die Außenseiter, die der barmherzige Gott eben keinesfalls weniger haben will als die Angesehenen. Und wenn sich zeigt, dass den Angesehenen ihr Ansehen wichtiger ist als Gott, dann begnügt sich Gott eben mit den Nicht-Angesehenen. Denn das Ansehen unter Menschen interessiert ihn ohnehin nicht.  Diese Reihe der Hilfsbedürftigen klang und klingt in jüdischen Ohren sehr vertraut, weil alle diese schon beim Propheten Jesaja genannt werden als die, deren sich Gott in der endgültigen Heilszeit erbarmt.i Wenn in unserem Gleichnis der Hausherr also Arme und Krüppel, Blinde und Lahme zum Festmahl einlädt, dann ist nicht gemeint: Die kriegen halt auch mal einen schönen Abend in ihrem verzweifelten Leben – so als Tropfen auf den heißen Stein, sondern: Sie werden durch dieses Fest heil gemacht. Sie bleiben in der heilvollen Beziehung mit ihrem unverhofften Gastgeber.

i „Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden; dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und jubeln wird die Zunge des Stummen." (Jes 35,5.6) „Und an jenem Tag werden die Tauben die Worte des Buches hören, und aus Dunkel und Finsternis hervor werden die Augen der Blinden sehen. Und die Sanftmütigen werden ihre Freude in dem HERRN mehren, und die Armen unter den Menschen werden frohlocken in dem Heiligen Israels" (Jes 29,18.19).

Was hat das mit uns zu tun?

So! So schön und interessant das alles sein mag, – es bleibt die Frage. Was hat das mit uns zu tun? Karl Hemmerlein hat die Frage mit seinen Bildern beantwortet – in ganz spezieller Hinsicht. Er malt ja das Gleichnis um den Bogen zum Altar herum. Und er malt Jesus als Gastgeber des großen Festes in Abendmahls-ähnlicher Art. Soll heißen: Jesus lädt uns, Dich und Dich und Dich immer wieder zum Abendmahl ein und er guckt eifersüchtig, wer dem zustimmt und wer absagt. Wer das Abendmahl verschmäht, wer weltliche Belange vorzieht, hat nicht kapiert, was das Abendmahl wert ist, hat nicht kapiert, dass hier die festliche Gelegenheit ist, unserem Retter und Heiland persönlich zu begegnen. Und wer das eben nicht kapiert, bleibt für immer ausgeschlossen von seinen Heilsgaben, als da wären: Vergebung und ewiges Leben. Und wer sich spontan einladen lässt – und fühlt er oder sie sich noch so unwürdig und fernstehend, – der darf Jesu Gemeinschaft im Hl. Sakrament genießen.

So deutet hier der Maler, wobei er zwischen den Spontan-Gästen aus der der Stadt und von außerhalb kaum unterscheidet. Links sieht man eine Krücke, sonst verschwimmen die zwei Gruppen. – So passt es natürlich auch stimmig als Ausmalung einer Kirche, – aber: Es ist schon eine Verengung des Gleichnisses.

Denn Jesus meint mit dem Hausherrn nicht sich selbst, sondern Gott, seinen Vater und unseren Vater, – und mit dem großen Abendmahl meint er nicht unser Sakrament, sondern überhaupt das heilvolle Zusammensein und Feiern im Reich Gottes. 

Gott lädt uns ein!

Damals wie heute herrscht ja, liebe Mitchristen, ein Gottesbild vor, wonach Gott, wenn er groß ist, auch großzügig sein muss. Drum wird er sich schon noch etwas gedulden, bis wir sein Werben, sein Rufen, seine Einladung annehmen. Sterben sollten wir vielleicht im Frieden mit ihm; aber vorher können wir ihn doch hinhalten und erstmal noch die Dinge verfolgen, die uns wichtig sind. Gottes Reich kommt! Ja, – schön und gut, aber doch nicht heute und nicht morgen bitte.

Mit diesem lahmen Bild von Gott und seinem St.-Nimmerleins-Himmelreich räumt Jesus hier auf: Gott lädt uns ein – und zwar dringlich, weil er alles schon vorbereitet hat, weil alles fertig auf uns wartet, was er uns geben will. Und das ist eigentlich nicht dieses oder jenes, sondern es ist das festliche Zusammensein, die unbeschwerte Beziehung, die erleichterte Festfreude in seiner Gegenwart. Dazu lädt er uns ein – und zwar unaufschiebbar JETZT. Der eifersüchtige Hausherr im Gleichnis soll uns aufrütteln: Es gibt ein Zu-spät. Es gilt: Jetzt oder nie! Du kannst Gott nicht zusätzlich haben, quasi „Gott on top“ – zusätzlich zu allem, womit du dein Leben selbst bereicherst. Sondern Gott verlangt, dass du deine Prioritäten umschichtest und ihn vorziehst! Und bitte: Die Dringlichkeit dieser Entscheidung für Gott wird nicht mit Unheil und Strafe verdeutlicht, sondern mit dem unaufschiebbaren Fest. Das die Ersteingeladenen dann am Schluss für immer ausgeschlossen werden, ist keine angedrohte Strafe, sondern einfach die Konsequenz ihres eigenen Tuns. Aber auch diese Konsequenz gilt.

Die sozialpädagogische Integration aller, egal wie sie sich zu Gott stellen oder gestellt haben; – das unterschiedslose Gießkannen-Heil für alle; die Scheu, irgendjemanden auszuschließen, – all diese Rettungsanker einer postmodernen Rückzugs-Religiosität sind Jesus fremd! Es bleibt ein Drinnen und Draußen, ein Dabeisein und der Ausschluss; es bleiben Heil und Unheil.

Wir können uns auch nicht beruhigen, dass wir schon die sein werden, die einst wie von den Wegen und Zäunen noch genötigt werden, hinzuzukommen. Denn anders als diese und gleich wie die Schriftgelehrten und Pharisäer- damals – wissen wir ja längst von Gott, von seinem Willen, von seiner Offenbarung, die uns ruft. Also sind wir gerufen: Entscheide dich, die Einladung anzunehmen; schließ‘ dich nicht selber aus! Was dir blüht, wird ein Fest sein, gewährt in Liebe und Gnade. Was dir blüht wird Freude und Genuss, Leichtigkeit und Glück sein, was alles du nicht verdient hast, was aber Gott gehört und er mit dir teilen will. Komm herzu, denn es ist alles bereit. Der Herr sehnt sich mit Leidenschaft, dich zu deinem Platz an der Tafel zu führen. 

Amen.  

Dr. Matthias Dreher, Pfarrer

Kirchweih-Predigt zum Johannis-Fest

Von Pfarrer Dr. Matthias Dreher am 27.06.2021 (4. Sonntag nach Trinitatis) in der Stephanuskirche in Gebersdorf

Grashüpfer, hier noch in Freiheit – bald auch frittiert am Gemeindefest?

Predigttext

Zu der Zeit kam Johannes der Täufer und predigte in der Wüste von Judäa und sprach: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen! Denn dieser ist’s, von dem der Prophet Jesaja gesprochen und gesagt hat:

»Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg und macht eben seine Steige!«
(Jes 40,3)

Er aber, Johannes, hatte ein Gewand aus Kamelhaaren an und einen ledernen Gürtel um seine Lenden; seine Speise aber waren Heuschrecken und wilder Honig. Da ging zu ihm hinaus Jerusalem und ganz Judäa und das ganze Land am Jordan und ließen sich taufen von ihm im Jordan und bekannten ihre Sünden.

Matthäus 3,1-6

Liebe Kirchweih-Gemeinde, liebe Mitchristen,

ich habe Ihnen was zu essen mitgebracht, den Johannis-Snack (zur Kirchweih). – Die Heuschrecken hier drin krabbeln zwar noch ganz schön, aber wenn wir’s richtig anstellen, nicht mehr lange. Ja! Johannes der Täufer mochte Heuschrecken. Zum Fressen hatte er sie gern, berichten die Evangelien. Warum mochte er ausgerechnet diese Tierchen so? Gut, sie waren damals wie heute weit verbreitet, sie sind billig und sie haben viele Nährstoffe. Aber so ein tief denkender Mann wie Johannes, der hat doch noch andere Gründe! 

Ich erinnere mich, wie gern ich als Kind auf einer Sommerwiese Grashüpfer, also unsere kleine Ausgabe davon, gejagt habe. Vielleicht haben Sie sowas auch gemacht. In der hohlen Hand wollte ich sie fangen und sprang ihnen nach, zick zack über die Wiese. Und dann hatte ich endlich einen. Vorsichtig öffnete ich die Hände – und schwupp sprang er mir wieder davon. WENN – , diese zwei übergroßen Sprungbeine noch intakt waren. Die sind nämlich empfindlich. Manchmal habe ich sie beim Fangen ungewollt verletzt und dann zog der so ein Bein schlaff nach – oder es war gar ganz abgefallen. Das tat mir zwar leid, aber interessant fand ich’s doch, wie sich der Kerl jetzt bewegt: Das gesunde Bein hupft schon noch, aber viel weniger weit und schräg zur Seite. So einen Kandidaten hatte ich dann schnell wieder.

Die Sache Gottes

Warum also mochte Johannes der Täufer diesen Wüsten-Snack Heuschrecke so gern? Ich behaupte: Weil man da sieht: Nur mit zwei gleichstarken Sprungbeinen kommt die Sache Gottes richtig voran. Nur mit zwei gleichstarken Sprungbeinen sind wir seine getauften Jünger. Das eine Bein heißt Glaube, das andere heißt Tat. Wenn die nicht beide funktionieren, hinkt das ganze Christentum. „Tut Buße!“, sagt er, oder „kehrt um!“, wie man auch übersetzen könnte. Damit ist der Glaube gemeint. „Bereitet dem Herrn den Weg!“ Das ist die Tat. Das Tun von Gottes Willen. – Wenn immer nur geschafft und gewerkelt wird, werkelt man bald ziellos vor sich hin. Die Richtung geht verloren – oder man sucht sich eine menschliche statt der göttlichen Richtung. –  Und wer nur immer still im Kämmerlein betet, der kann zwar sagen „Dein Wille geschehe“. Aber umgesetzt wird Gottes Wille so nicht. Es braucht eben beides. 

Nun frage ich: Wie steht es da mit unserer Kirche?

Springen da Glaube und Tun im Gleichtakt? Mein Eindruck ist ein anderer. Nämlich einmal der, dass in Glaubensfragen fast alles vertreten und verteidigt werden kann. Es muss nur noch ganz oberflächlich nach Gott oder Spiritualität klingen. Vor allem muss sich gut anfühlen, was noch als Glaube auf dem Meinungsmarkt angeboten wird. Da ist von Liebe, Harmonie, Geborgenheit oder sogar Entspannung die Rede – als ginge es um einen psychosomatischen Wellness-Workshop. Dass der Begründer unseres Glaubens ans Kreuz musste für seinen Glauben, wird ungern zugestanden. Wenn, dann war es eine Solidaritätsaktion mit den anderen Verfolgten dieser Welt. Dass es bei der Taufe des Johannes – wie beim Kreuz Jesu – wie bei der christlichen Taufe heute – um Sündenvergebung geht, wird nur noch ungern zugestanden. Das verschreckt nur die Leute, heißt es. Diese fortschreitende Lähmung verdichtet sich z.B. in den sogenannt „Notwendigen Abschieden“, die ein Theologe am Starnberger See den christlichen Glaubensinhalten gibt, wenn er etwa Erbsünde, die Abendmahlslehre oder den Opfertod am Kreuz ebenso im See absaufen lassen will wie einst den König Ludwig.  Dagegen wird das andere Bein, das Bein der Tat, mit muskelstärkenden Anabolika geradezu aufgepumpt. Während das schwächliche Glaubensbein richtungslos nachschlurft, weiß das Tat-Bein der Kirche ganz genau, wo es hinhupfen will. Ja, es ist so stark, dass ständig davon die Rede ist, das Mittelmeer „liege vor unserer Haustür“. Andere fliegen nach Sizilien oder fahren drei Tage Bus. Aber die Kirchen-Heuschrecke macht nur einen Hupferer und fährt mit eigenem Schiff zur See, um ihr Christsein zu beweisen. Aber hier höre ich auf, sonst muss ich nochmal sechs Monate weg …
Wir können ganz andere Themen nehmen: Klimaschutz, Genderfrage, Bildungs-„Gerechtigkeit“ – in all solchen Fragen tut sich die evangelische Kirche mit großer öffentlicher Eindeutigkeit hervor und weist eine bestimmte gesellschaftspolitische Position als „die christliche“ aus. Und dahinein werden dann Geld, Personal und eben Tat und Tatkraft hineingesteckt. – 
Wie benannte noch Johannes der Täufer das Sprungbein der Tat? „Bereitet dem Herrn den Weg!“, sagte er. Aber vom „Herrn“ ist bei vielen dieser Aktionen nurmehr wenig bis gar nicht die Rede. Allenfalls spricht man noch von „Gott“, weil da ein paar mehr Menschen beistimmen können. Aber wo geht es bitteschön darum, etwas zu tun, damit der Herr Jesus Christus unter uns Platz greifen kann? Unsere Landeskirche setzt derzeit 150 Mio. Euro daran, den Betonblock Bayreuther Str. 1 umzubauen und baut gleichzeitig per Landesstellenplan überall Pfarrstellen ab. Mit beidem ist vorweisbar etwas getan. Ja. Aber ob es dem Herrn den Weg bereitet, würde ich schwer anzweifeln. Kurz: Meine Diagnose ist. Das eine Bein lahmt, das andere kann vor Kraft kaum Laufen. Und wenn das Tier jetzt einen Hupfer macht, geht das nicht in die gewollte Richtung, sondern eben schräg zur Seite raus.

Glaube und Tat koordinieren

Jetzt könnte man sagen: Dann machen wir jetzt eben eine Glaubens-Initiative; sowas wie Glaubenskurse, volksmissionarische Projekte, Erwachsenenbildung etc. Aber erstens widerstrebte das schon wieder dem Mainstream, wonach bitte jeder bei seinem Eigenen bleiben und niemand einen anderen von seinem Eigenen überzeugen soll. Überzeugung gilt heute als kolonialistisch! Verrückt, ist aber so. Zum anderen würde ein irgendwie notdürftig aufgepumptes Glaubens-Bein ja noch lange nicht im Gleichtakt mit dem Tat-Bein springen. Das ist aber gerade der – im wahrsten Sinne – „springende“ Punkt an der Heuschrecke: Kopf und Leib setzen die beiden Beine parallel abgestimmt zusammen ein. Die beiden Sprungbeine sind koordiniert: Das Tat-Bein hupft für den Glauben und der Glaube glaubt für die Tat. 

Das will der Täufer „internalisieren“ und „multiplizieren“ – und dafür futtert er Heuschrecken. In der wissenschaftlichen Literatur ist diese These noch nicht allzu verbreitet. Aber – würd‘ ich sagen: Wir arbeiten daran [icon name=“smile“ prefix=“far“].

Wie?

Naja wie es der Täufer meint: Du selbst, Du als einzelner Mensch musst beginnen. Natürlich kann man die Kirche kritisieren. Kardinal Marx hat sogar gesagt, seine katholische sei „am Nullpunkt angekommen“. Schlimm. Aber bessern wird sich mit Strukturanalysen nur dann etwas, wenn der und die Einzelne anfängt. Also: Was will Gott von mir? – Tu ich das? – Was steht in den 10 Geboten? Tu ich das? – Wofür ist Jesus eingetreten? Tu ich das? – Ist Gott nur mein Strohhalm in der Not oder handle ich auch in Lust und Freude, wie es Gott gefällt? – Handle ich, um weniger glauben zu müssen? Oder glaube ich, um weniger handeln zu müssen? – Und wenn ich – einen Scherbenhaufen angerichtet habe: Worauf verlasse ich mich dann? Nur auf meine Kraft, um alles wieder gerade zu biegen? Oder lasse ich mir beide Sprungbeine abbrechen und resigniere? Oder: weiß ich eben, dass ich getauft bin zur Vergebung meiner Sünden? Erinnere ich mich rechtzeitig, dass ich ja das Glaubensbein habe und voll Vertrauen an‘s Kreuz Jesu hüpfen könnte? Zugegeben ein groteskes, schon lustiges Bild. Aber das wäre wahrhaft christlich: Mit beiden Beinen ans Kreuz hüpfen! Und immer nur von dort aus – mitten hinein in die Welt.

Also das ist die Lehre Johannes des Täufers an uns: Kehren wir um zum Prinzip Heuschrecke! So gierig wie eine Heuschrecke frisst, so gierig sollten wir das Prinzip Heuschrecke fressen, also Glauben plus Tun im Doppelsprung. Und was hilft da besser, als selbst Heuschrecken zu essen. Rezept! – ich hab’s ausprobiert: Öl erhitzen, Heuschrecke sanft hineingleiten oder –hupfen lassen. Sie hupft dann noch einmal, dann ist Ruhe. Schön knusprig braun braten. Dann herausnehmen und mit einer gesalzenen Curry-Mischung bestreuen. Nochmal kurz durchs Öl ziehen und in gerösteten Sesamkörnern wälzen. Die Beine natürlich mitessen. – Die knuschpern so schön.

Amen.

Dr. Matthias Dreher, Pfarrer

Predigt zum 2. So. n. Trinitatis

Von Pfarrerin Gabriele Edelmann-Richter am 13.06.2021 in der Stephanuskirche in Gebersdorf

Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe!
Strebt nach den Gaben, die der Heilige Geist verleiht – vor allem aber danach, als Prophet zu reden. Wer in fremden Sprachen redet, spricht nicht zu den Menschen, sondern zu Gott. Denn niemand versteht ihn.Was er unter dem Einfluss des Geistes sagt, bleibt vielmehr ein Geheimnis. Wer dagegen als Prophet redet, spricht zu den Menschen. Er baut die Gemeinde auf, ermutigt sie und tröstet sie.
Wer in fremden Sprachen redet, baut damit nur sich selbst auf. Wer aber als Prophet redet, baut die Gemeinde auf.
Ich wünschte mir, dass ihr alle in fremden Sprachen reden könntet.
Noch lieber wäre es mir allerdings, wenn ihr als Propheten reden könntet. Denn wer als Prophet redet, ist bedeutender als derjenige, der in fremden Sprachen redet.
Es sein denn, er legt seine Rede auch aus. Das hilft dann mit, die Gemeinde aufzubauen.
Brüder und Schwestern, jetzt stellt euch doch nur einmal vor:
Ich komme zu euch und rede in fremden Sprachen.
Was habt ihr davon, wenn ich euch nichts Verständliches vermittle – zum Beispiel eine Offenbarung oder eine Erkenntnis oder eine prophetische Botschaft oder eine Lehre.
So ist es ja auch bei den hölzernen Musikinstrumenten, zum Beispiel bei einer Flöte oder Leier: Wenn sich die einzelnen Töne nicht unterscheiden, wie soll man dann erkennen, was auf der Flöte oder auf der Leier gespielt wird?
Oder wenn von der Trompete nur ein gepresster Ton kommt – Wer rüstet sich dann zum Kampf?
Genauso wirkt es, wenn ihr in fremden Sprachen redet. Wenn ihr keine verständlichen Worte gebraucht, wie soll man das Gesagte verstehen können? Ihr werdet in den Wind reden!
Wer weiß, wie viele Sprachen es auf der Welt gibt, ja, nichts geschieht ohne Sprache. Wenn ich eine Sprache nicht spreche, werde ich für den, der sie spricht ein Fremder sein. Und wer sie spricht, wird umgekehrt für mich ein Fremder sein.
Bei euch ist es genauso. Ihr strebt doch nach den Gaben des Heiligen Geistes.
Strebt danach, an solchen Gaben reich zu werden, um die die Gemeinde aufzubauen!

1. Kor. 14,1-12

Liebe Gemeinde,

eigentlich wollten wir heute unser Gemeindefest feiern. Mit Begeisterung, Musik und gutem Essen. Doch noch dürfen wir hier nicht feiern.
Die Pandemie hat uns fast vergessen lassen, wie man sich fühlt, wenn man ausgelassen feiern kann und ganz unbeschwert einen Sommertag genießen kann.
Aber die Profifußballer geben uns seit Freitagabend einen Vorgeschmack davon.
Vielleicht haben Sie auch das Eröffnungsspiel der Europameisterschaft in Rom gesehen – Italien gegen die Türkei!?
18.000 Zuschauer haben im Stadion mitgefiebert, getobt, gebrüllt, gestöhnt oder Sprechchöre angestimmt.
Da gab es Gesten und Laute, die nur von eingefleischten Fans verstanden werden.
Ich gestehe, dass ich nicht immer alles deuten und verstehen kann, was bei einem Fußballspiel so abläuft.
Wenn ich jetzt zur Sommerzeit das Fenster meines Amtszimmers geöffnet habe, höre ich nachmittags neben den lauten Glockenschlägen auch immer wieder die Kinder unseres Kindergartens toben. Sie scheinen ihr Glück herauszuschreien, genauso wie ihre Wut oder ihre Enttäuschung. Manchmal scheinen sie von einer Woge der Begeisterung erfasst zu werden, dass sie vor lauter Aufregung nur noch Stammeln und Stottern. Wirklich verstehen kann ich da kaum was.

Anhand der zwei Beispiele sehen wir, dass es eine Art der Kommunikation gibt, die auch ohne verständliche Worte erfolgen kann.

Szenen der Aufregung gab es auch in der Gemeinde von Korinth. Allerdings nicht im Sportstadion oder im Kindergarten, sondern auf den Plätzen und in den Wohnungen, in denen sich die Mitglieder der von Paulus gegründeten Gemeinde getroffen haben.
Obwohl das Ganze vor 2000 Jahren passierte, können wir mitreden, da es auch heute in unseren Gemeinden ähnliche Aufregungen gibt.
Damals stritt man sich über die richtige Praxis beim Abendmahl oder den Ablauf des Gottesdienstes. Dazu kam damals der Brauch, dass einzelne Gemeindeglieder in Ekstase gerieten, anfingen zu tanzen und dabei in unverständlichen Worten redeten.
Das deuteten manche aus der Gemeinde als Wirken des Heiligen Geistes.  Zungenrede – so nannte man das.

Paulus respektiert dies zunächst, denn schon in den alten Schriften kamen solche Begeisterungsszenen vor.
Aber er warnt davor, nur die Zungenrede als Zeichen des Heiligen Geistes zu sehen. Denn was ist mit all denen, die diese Sprache, diese Zeichen nicht verstehen?
Werden da nicht viele verschreckt und wenden sich gar mit Kopfschütteln ab?

Ein Kapitel vorher versucht Paulus in seinem Brief den Korinthern klarzumachen, worauf es beim christlichen Glauben und im Leben in der christlichen Gemeinschaft ankommt.
Da hat er wunderbare Worte gewählt, die sich bis heute viele Brautpaare für ihre Trauung wünschen:
„Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen … sie rechnet das Böse nicht zu … sie verträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“

Uns sind diese Worte vertraut, wir meinen sie auch zu verstehen.

Aber stellen Sie sich vor, Paulus wäre heute unser Gast.
Die Ruhe und Getragenheit unseres Gottesdienstes würde ihm zwar gefallen, denn alle unsere Worte werden verständlich, nicht in Zungenrede gesprochen, doch, wenn er so in die Runde schauen würde, würde ihm doch auch auffallen, dass trotz verständlicher Sprache relativ wenige Gemeindeglieder im Gottesdienst sind.

Mag es daran liegen, dass viele die Sprache unserer Gottesdienste nicht mehr verstehen?

Paulus würde uns daraufhin folgende drei Ratschläge geben:

1. Eure prophetische Rede soll aufbauen!

D.h., wenn wir jemanden sehen, der belastet oder bedrückt oder einsam ist, dann soll unser Umgang herzlich sein!
Das miteinander Reden und auch das miteinander Schweigen ist ein sichtbares und auch ein machbares Stück Liebe.
Die liebevolle und geduldige Haltung dem andern gegenüber, auch wenn er gerade nervt oder wieder mal nichts kapiert, das sind Kennzeichen eines Christen.

2. Eure prophetische Rede soll ermahnen!

Na ja, wer mag das schon, ermahnt zu werden? Die Jungen wollen sich von den Älteren nichts sagen lassen, sie möchten ihre eigenen Erfahrungen machen, und die Älteren bekommen einen dicken Hals, wenn ihnen Jüngere besserwisserisch etwas unter die Nase reiben.
Aber, es gibt auch Menschen, denen es gelingt, anderen etwas beizubringen, ohne dass gleich schlechte Stimmung herrscht.
Kennen Sie solche Menschen? Ich hoffe doch!
Ist es doch deren liebevolle und selbstlose Art, ihr Wissen und ihre Erfahrung mit anderen zu teilen.

3. Eure prophetische Rede soll trösten!

Paulus weist darauf hin, dass es ganz wichtig ist, im Namen Gottes, auf Trauernde zuzugehen, Verletzten zu helfen, Verzweifelten eine Stütze zu sein.
Schließlich kommt es bei all dem prophetischen Reden darauf an, den richtigen Ton zu finden. Nicht jeder kann einem Blasinstrument die passenden Töne entlocken und nicht jeder in der Gemeinde hat die Fähigkeit prophetisch zu reden.
Paulus will uns einladen, im Streben nach Liebe die richtige Sprache zu suchen.
In einem Gebet heißt es: Gib mir die richtigen Worte, gib mir den richtigen Ton, Worte, die klären und nur nicht zerstören, gib mir genug davon!

Liebe Gemeinde, ich bin mir sicher, dass wir auch bei uns prophetische Worte finden können, dort wo sie aus dem Herzen kommen.

Dass wir nicht müde werden, danach zu streben, dazu möge uns Gott helfen.

AMEN.

Gabriele Edelmann-Richter, Pfarrerin

Predigt zum 19. So. n. Trinitatis

Von Prädikant Wilfried Kohl am 18.10.2020 in der Stephanuskirche in Gebersdorf

Wer von ihnen kennt nicht Lukas Podolski, den Weltfußballer, Star des 1. FC Köln und des FC Bayern München. Er dürfte heute einer der bekanntesten Lukasse sein. Schon weniger bekannt ist Lukas der Lokomotivführer – eine Kinderbuchromanfigur des Michael Ende. 2018 kam der Film „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ in die Kinos und derzeit läuft „Jim Knopf und die wilde 13“. Auch die Augsburger Puppenkiste hat diesen Roman umgesetzt.

Noch weniger bekannt ist wahrscheinlich Lukas Cranach der Ältere – ein Zeitgenosse von Martin Luther, Maler, Grafiker und Buchdrucker, der die Reformation Luthers kräftigt mit Buchdruck und Malerei unterstützte. Lukas ist auch in Deutschland, nach Österreich, ein beliebter Jungen-Name. Der Evangelist Lukas, dessen Gedenktag wir heute begehen, ist vielleicht nur Bibelkennern und dem christlichen Glauben Nahestehenden bekannt.

„Hand auf Herz“, kannten sie die Bauernregeln zum heutigen Festtag:

„Wer an Lukas Roggen streut, es im Jahr darauf nicht bereut – und ist St. Lukas mild und warm, folgt ein Winter, dass Gott erbarm.“

So wenig bekannt, wie diese Ernte- und Wetterregeln sind, so wenig bekannt ist auch über die Evangelisten Lukas selbst.

Neben manchen weiß man jedoch, der Autor des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte, wollte 60 oder 80 nach unserer Zeitrechnung schriftlich festhalten, was Zeitzeugen von Jesus von Nazareth mit ihrem Glauben bezeugten und was Lukas bekannt war von der Urgemeinde und der Ausbreitung des Glaubens an Jesu den Auferstanden bis an die Grenzen der damaligen Welt. Lukas wollte ein Werk schaffen, was alle Zeiten überdauert und den Glauben an den einzigartigen Gott der Juden und seinem Sohn Jesus in die Herzen der Menschen bringt.

Auch der Autor unseres heutigen Predigttextes, Deuterojesaja oder 2. Jesaja genannt, wollte mit diesen für heute ausgesuchten Zeilen Gott als unseren Heiland bezeugen. Hören wir aus dem Buch des Propheten Jesaja im 43 Kapitel die Verse 8-13.

Es soll hervortreten das blinde Volk, das doch Augen hat, und die Tauben, die doch Ohren haben! Alle Völker sind zusammengekommen und die Nationen versammeln sich. Wer ist unter ihnen, der dies verkündigen kann und uns hören lasse, was früher geweissagt wurde? Sie sollen ihre Zeugen aufstellen, dass sie recht bekommen, so wird man´s hören und sagen: Es ist die Wahrheit.

Ihr seid meine Zeugen, spricht der Herr, und mein Knecht, den ich erwählt habe, damit ihr wisst und mir glaubt und erkennt, dass ich´s bin. Vor mir ist kein Gott gemacht, so wird auch nach mir keiner sein.

Ich bin der Herr, und außer mir ist kein Heiland. Ich hab´s verkündigt und habe auch geholfen und hab´s euch hören lassen; und es war kein fremder Gott unter euch. Ihr seid meine Zeugen, spricht der Herr, und ich bin Gott. Auch künftig bin ich derselbe, und niemand ist da, der aus meiner Hand erretten kann. Ich wirke; wer will´s wenden?

Jesaja 43, 8-13

Liebe Gemeinde,

„gibt es den da Oben überhaupt?!“Diese Frage stellen sich Zweifler und auch Gläubige seit Jahrtausenden und auch zu Jesajas Zeit. Insbesondere in einer solchen Ausnahmezeit, wie der babylonischen Gefangenheit, 597 -539 vor Christus. Das Volk Juda durchlebte in dieser Zeit Entbehrungen und Unterdrückung. Religionswissenschaftler machen in dieser Zeit der Bedrängnis durch die Babylonier und vorher durch die Assyrer die Entstehung des Monotheismus fest. Monotheismus heißt, ich glaube ausschließlich an einen Gott.

Jesaja will seinem blinden und tauben Volk mit Gottes Versprechen und Zusage, dass es heimkehren kann, beweisen, dass es ihren Gott Jahwe gibt. Die Götter der anderen Völker dagegen sind nur Hirngespinste, Gestirnen Abbilder und nutzloses Holz, das ohne Sinn angebetet wird.

Gott selbst tritt mit Jesajas Worten, den kosmologischen Beweis an, dass er ewig ist, indem er sagt: „Vor mir ist kein Gott gemacht, so wird auch nach mir keiner sein.“ Sie wissen, schon des Längeren stellen unsere Physiker die Frage, „Was war vor dem sogenannten Urknall?“ Eine Antwort darauf wurde bis dato nicht gefunden.

Jesaja erbringt in unserem Text einen weiteren Beweis für Gottes Einzigartigkeit. Unser Gott Jahwe hat sich nicht nur einem einzelnen Menschen offenbart, sondern vielen. Angefangen von Noah, Abraham, Jakob, Saul und David, Elia und vielen anderen Propheten. Der Gott Israels und der Vater Jesu ist kein verborgener Gott und damit einzigartig in der Religionsgeschichte. Ihr seid meine Zeugen, spricht Gott.

Und Jesajas und damit Gottes dritter Beweis ist Gottes Wirken in unserer Welt. Gott selbst sagt „ich bin der Herr und außer mir ist kein Heiland.“

Wir Christen sind aufgerufen, Gottes Wirken in der Welt und auch in unserer eigenen Lebenswelt zu bezeugen. Auch ich kann schon mehrfach den 3. Vers des Liedes „Lobe den Herrn, meine Seele“ singen – „Der mich vom Tode errettet hat“ – als täglicher Radfahrer war ich dem Tod schon mehrfach nahe.

Der Evangelist Lukas, dem wir heute gedenken, bezeugt in der Tradition des Propheten Jesaja stehend, Gottes weiteres Wirken mit dem Evangelium und der Apostelgeschichte. Jesus von Nazareth, Gottes Sohn, steht für Lukas, obwohl er ihn persönlich nie gekannt hat, für das lebenswichtigste weltgeschichtliche Ereignis und die Zeitenwende Gottes.

Die Botschaft Jesu an Güte zu glauben, statt an Gewalt, an Gnade statt an Gerechtigkeit, an Vergebung statt an Vergeltung und an Gottes unsagbare Liebe zu uns Menschen, statt an Angst und Hass. Diese geradezu menschliche und lebensschützende Botschaft Jesu ist auch nach mehr als 2000 Jahren nach Jesu Geburt nicht mal in Ansätzen von uns Menschen umgesetzt. Für Lukas jedenfalls war Jesus, der das Undenkbare nicht nur dachte und verkündigte, sondern auch noch in die Tat umsetzte, indem er Menschen heilte und von Dämonen befreite, der von Gott gesandte Heiland und Messias.

Lukas sah in Jesu freimachender Botschaft auch noch mehr soziale Konsequenzen, als die anderen Evangelisten. Hungernde werden von Gott beschenkt und Reiche gehen leer aus; „verkauft was ihr habt und gebt Almosen,….denn wo euer Schatz ist, wird auch euer Herz sein, lesen wir in Lk.12, 33ff. Und im großen Abendmahl Gottes nehmen am Schluss bei Lukas die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen teil. Nur im Lukasevangelium findet sich die Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus.

Gleich zu Beginn von Jesus Wirken in Galiläa, lässt Lukas Jesus mit den Worten Jesajas sein Programm, seine Mission in seiner Heimatstadt verkündigen:

Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat und gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen und den Blinden, dass sie sehen sollen und die Zerschlagenen zu entlassen in die Freiheit und zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.

Lukas 4,18-19

Daher wird Lukas, der eigene Akzente in Jesu Botschaft sah, gerne auch als Sozialist unter den Evangelisten und nicht nur als Befreiungstheologe gesehen. Lukas wollte in seinem Evangelium von Jesus Christus und in der Apostelgeschichte „Heilsgeschichte“ Gottes schreiben, die uns Menschen von Sorgen und Ängsten befreit. Vertrauen zu Gott, dass will er uns mit seinen Glaubensgeschichten vermitteln. So lässt Lukas schon zu Beginn mit der Geburt unseres Heilands durch den Engel Gottes verkünden: „Fürchtet euch nicht!“ Es geht dem Lukas auch in der Apostelgeschichte nicht um eine alleinig historische Darstellung – es geht vielmehr tatsächlich um Predigten die Lukas schrieb.

Eben ratlos bin ich jedoch, wie soll das Evangelium vom Reich Gottes unter uns Wirklichkeit werden? Kaum realistisch erscheint Jesu Botschaft in unserer Welt: Gewaltverzicht um des Friedens willens, freiwillige Armut um Gerechtigkeit zu schaffen, Helfen statt Strafen, Verstehen statt Verurteilen und Aufrichten statt Hinrichten. Wie soll uns das alltäglich als Menschen gelingen?

Ich höre sie schon die religiösen Strategen, die Disziplin, sich am Riemen reißen und Verzicht einfordern. Doch äußerer Zwang und Fremdbestimmung führt zu nichts.

Allein Freiwilligkeit, überzeugende Liebe zu uns selbst, schafft auch Vertrauen zu anderen Menschen und zu Gott. Letztlich ist es wohl Gnade oder die Zuwendung Gottes, die uns den Mut gibt an seinem Reich mitzubauen.

Oder viel besser ausgedrückt und von Konfirmanden oft gewählt als Konfirmationsspruch ist die unserem heutigen Predigttext in Jesaja 43 vorangestellte Zusage Gottes: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein und wenn du durch Ströme gehst, sollen sie dich nicht ersäufen. Wenn du ins Feuer gehst, wirst du nicht brennen, und die Flamme wird dich nicht versengen. Denn ich bin der Herr, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland.“

Und zum Schluss die Frage an jeden von ihnen: „Gibt es den da oben?“

Ich weiß, dass mein Heiland lebt und ich verkündige gerne seine gute Botschaft. Amen

Prädikant Wilfried Kohl

Predigt zum 9. So. n. Trinitatis

Von Pfarrerin Gabriele Wedel am 09.08.2020 in der Stephanuskirche in Gebersdorf

Liebe Gemeinde!

Manchmal sind wir vor eine Aufgabe gestellt, die wir uns nicht selbst herausgesucht haben, die viel zu groß scheint. Angst macht.

Bei der Arbeit kann ich eine Aufgabe bekommen, vor der ich erst mal zurückschrecke, weil ich nicht weiß, wie ich sie schaffen soll. Jungen Eltern kann es so gehen, wenn sie mit ihrem Neugeborenen aus dem Krankenhaus nach Hause kommen. Dass sie sich am Anfang überfordert fühlen. Wie geht das jetzt mit diesem kleinen Menschen, der ganz auf uns allein angewiesen ist. Ist er gut versorgt, können wir ihm geben, was er braucht?

Oder im Alter steht ein Umzug bevor, nach einem Schlaganfall muss ich wieder den Alltag bewältigen. Wie sollen wir das machen, wie sollen wir das miteinander hinbekommen?

Wenn man vor einer schweren Aufgabe steht, vielleicht traut man sie sich erst nicht zu, meint: das können andere besser…

Wie Jeremia es erlebt? In der Bibel wird erzählt, dass er von Gott zum Prophet berufen wird. Gottes Stimme soll er sein gegenüber den Mächtigsten, den Einflussreichen seines Landes.

Aber er ist noch jung, Anfang 20.

Und des HERRN Wort geschah zu mir: Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker. Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung. Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR. Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.

Jeremia 1, 4-10

Im Südreich Israels, nahe bei Jerusalem wächst Jeremia auf, als Sohn einer Priesterfamilie.

Der König und die Fürsten im Land sagen:

Wir sind eine starke Nation, keiner kann uns etwas anhaben, Ägypten steht uns zur Seite, wir tun, was uns noch mehr Macht und Ansehen bringt. So erlebt Jeremia ihre Haltung.

Wer es wagt ihre Pläne zu hinterfragen, ihre krummen Geschäfte und ihre Gier, auch ihre Gottlosigkeit anzuklagen, weil sie das Recht der Schwächsten nicht interessiert, der riskiert sein Leben. Das weiß Jeremia.

Ich habe dich zum Propheten für diese Menschen bestellt, sagt Gott. Sogar über Könige stelle ich dich. Du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen, was ich dir gebiete.

Ach Gott, ich bin doch viel zu jung. Wehrt Jeremia ab. Dahinter höre ich auch die Frage: wer von denen soll schon auf mich hören, wer wird mir glauben, dass Gott, durch mich spricht?

Jeremia ist mir sympathisch. Er ist keiner, der es genießt, im Vordergrund zu stehen, der sich aufbläht und wichtig nimmt.

Er ist keiner, der seine Sache herausbrüllt und seine Gegner klein macht. Er ist kein Blender, der die Wahrheit verdreht, zu seinen Gunsten. So wie wir es immer wieder erleben bei den Mächtigsten Männern der Welt in diesen Tagen.

Es geht ihm nicht um seine Person, seine Eitelkeit, um Macht, sondern um Gottes Gerechtigkeit. Sein werbendes Lieben, seine Kraft für die Geringsten.

So wird er ein Prophet für die Menschen, Gottes Prophet.

Einer, der es wagt, die unangenehmen Wahrheiten anzusprechen, und Unrecht ans Licht bringt, einer, der sich nicht irre machen lässt von Drohungen gegen ihn oder vom Hohn der politischen Gegner. Denn Jeremia erlebt massiv Widerstand. Trotzdem nimmt er seine Aufgabe wahr, viele Jahre lang, auch wenn es ihn unendlich viel Kraft kostet.

Auch dem Priestertum widerspricht er, seiner eigenen Herkunft. Er sagt:

Dass es nicht geht, Gottesdienst zu feiern und gleichzeitig gottvergessen zu leben und zu regieren.

Gottes Macht zu beschwören, gleichzeitig aber nur die eigene Macht im Auge zu haben.

Wenn wir so weitermachen, gehen wir alle, sehenden Auges, der Katastrophe entgegen.

Aber was er erntet, ist beißender Spott.

Mit einem Lächeln wird abgetan, was er zu sagen hat.

Er ist doch so jung. Er hat ja keine Ahnung von unseren Geschäften.

Wie aktuell diese Erfahrung ist…

Ich denke an die zahlreichen jungen Klimaaktivistinnen und Aktivisten, die seit vielen Monaten kämpfen für den Klimaschutz und nicht ablassen, sich nicht mehr abspeisen lassen wollen.

Die nicht mehr sagen: wir sind zu jung.

Es sind die leisen, scheinbar kleinen, unwichtigen Stimmen, die Großes zu sagen haben, aber von den Großen oft überhört, übertönt oder abgetan werden.

Ich bin kein Gegner des Tempolimits, aber auch kein Befürworter, aber es gibt gerade Wichtigeres zu tun sagte neulich unser Ministerpräsident.

Daneben gibt es auch die andere Stimme, die schon seit Jahren die Geschwindigkeitsbegrenzung auf bestimmten Autobahnstrecken einfordert, weil viele Leben gerettet werden könnten. Wann ist denn die Zeit da, dass die vielen Opfer im Straßenverkehr wichtig sind?

Jeremia war einer, der vieles nicht mehr hingenommen hat, der wachrütteln wollte,  so wie es Menschen auch in unserer Zeit tun:

in den USA , aber auch überall auf der Welt, Menschen des täglichen Rassismus, der Gewalt oder Ignoranz überdrüssig sind, und bei uns gegen Antisemitismus einsetzen.

Sie wollen nicht mehr hinnehmen, dass es so ist, man nichts machen kann, dass es nicht wichtig ist.

Jedes Leben zählt, eines genauso wie das andere.

Es ist ein Ruf, der viele wachgerüttelt hat.

Vor ein paar Wochen ist John Lewis gestorben.

Einer der Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung in den USA.

Seine Geschichte erinnert mich an Jeremia.

Er schloss sich schon in jungen Jahren der Bürgerrechtsbewegung an, war kein großer Redner, aber er kämpfte und stritt für die Gleichberechtigung der afroamerikanischen Bevölkerung, und ich würde sagen: letztlich für die Gleichberechtigung aller Menschen.

Über 40 mal wird er ins Gefängnis gesperrt und bei einer Demonstration fast zu Tod geprügelt von der Polizei.

Dieser Kampf wird für ihn zur Lebensaufgabe. Ein Ruf Gottes, wenn man will, weil er daran geglaubt hat, dass es wahr ist: alle Menschen sind gleich an Wert und Würde,

Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleib bereitete, so sagt Gott zu Jeremia, so sagt Gott zu uns.

Ich lasse dich nicht allein bei deiner Aufgabe. Was auch kommt:

Fürchte dich nicht vor ihnen. Denn ich bin bei dir. Und der Herr streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: siehe ich lege meine Worte in deinen Mund.

Oft ist es wohl nur eine verhaltene Stimme, vielleicht eine Stimme in mir, die auf sich aufmerksam machen will,  die sagt: das ist unrecht, da geschieht etwas, was du nicht wollen kannst..

Es ist die Stimme der Kinder, der Unmündigen, sagt die Bibel, die uns wachrüttelt: ein 6 Jähriger neulich sagte: ich mag nichts mehr von dem blöden Corona hören.

Ruf Gottes? Wo kann mit aller Vorsicht und Rücksicht, die nötig ist, trotzdem ein Raum geschaffen werden, Kindern wieder etwas Unbeschwertheit zu ermöglichen, wo bewahren auch wir uns trotz allem Zuversicht, Leichtigkeit.

Vieles erleben wir davon ja.

Gottes Ruf…wir sind immer wieder gerufen, zu sehen, zu hören, zu tun, was dem Leben dient.

Oder da sind die älteren Menschen in den Heimen, die Kranken zuhause: ihre Stimmen, ihr Klagen doch oft sehr verhalten. Und trotzdem da.

Hören wir ihn, Gottes Ruf…weil jeder kurze Anruf, Brief und Besuch, spüren lässt, dass sie nicht vergessen sind.

Oder da ist eine Stimme, die sagt:  das ist jetzt deine Aufgabe, das ist jetzt dran, Ist es der Ruf an mich?

Vielleicht ist es ein Thema aus der Kindheit, das mich nicht loslässt, das ich immer wieder wegschiebe und immer wieder kommt es hoch; Ob ich die Stimme hören kann gemeinsam mit  jemandem anderem, der mich begleitet. Dass ich mich dem Rufen stelle.

Oder das Älterwerden, mit allem, was es bringt, keine leichte Aufgabe, anzunehmen, was der Körper sagt; dass vieles langsamer gehen muss, mehr Aufmerksamkeit braucht, nicht mehr geht, aber vielleicht auch einmal ein Dank, wie viele Jahre mir mein Körper schon gedient hat.

Ruf Gottes?

Dass ich nicht sage: ich bin doch viel zu alt

ich denke an einen Opa, der in den letzten Wochen seinem Enkel dreimal die Woche über Skype Sachkundeunterricht gegeben hat, weil der Junge nicht in der Schule sein konnte, die Eltern arbeiten mussten. Für beide Seiten war es ein Gewinn, eine Freude, ganz eng und intensiv Kontakt zu haben, über tausende Kilometer Entfernung hinweg. Ruf Gottes?

Fürchte dich nicht, ruft Gott uns zu, ich bin mit dir, und er streckt  seine Hand aus zu mir, will mich anrühren, meinen Mund, damit ich auch immer wieder die rechten Worte finde, und  auch den Trost, den jemand anderes jetzt braucht von mir

Gott berührt uns, dass ich spüre: es ist gut, dass ich bin, einer kennt und liebt mich von Anfang an, so wie ich bin, er umwirbt mich mit all seiner Zuneigung, damit ich mich auf ihn einlasse, ihn   immer wieder hören kann:

fürchte dich nicht, ich bin da, ich gehe deinen Weg mit. Verlass dich drauf.

Gott hat Jeremia eine schwere Aufgabe zugemutet. Die Last ist so schwer, wie das Joch, das er später tragen wird, stellvertretend für Israel. 40 Jahre lang trägt Jeremia an seiner Aufgabe, er lernt sie zu tragen., hineinzuwachsen. All das klingt hier bei der Berufungserzählung schon an.

Aber er weiß sich nicht allein gelassen.

Wir sind immer wieder vor eine Aufgabe gestellt, die wir uns nicht heraussuchen, die uns manchmal an Grenzen bringt, aber es gibt auch die Erfahrung, dass wir über uns hinauswachsen können, im Rückblick uns wundern, wie etwas zu schaffen war, immer Kraft war, es zu tun, Menschen da sind, die unterstützen, mitten in der Krise immer noch ein Halt ist, oder andere mich halten.

Amen.

Frieden – ein Zauberwort?!

4. So. n. Trin 2020 – Predigt zu Röm. 12,17-21 von Pfarrerin Gabriele
Edelmann-Richter

Liebe Gemeinde!

Sie und ich kennen das: Zwei Menschen geraten aneinander. Der eine macht dem andern einen Vorwurf. Der andere kontert. Wut breitet sich aus. Die Stimmen werden lauter, die Gesten wilder. Einem rutscht eine Beleidigung heraus. Der andere keift zurück. Es ist alles dabei: Demütigungen, Verletzungen, Drohungen. Manchmal kommt es gar zu Handgreiflichkeiten. Tiefe Wunden sind das Ergebnis.

Solche Szenen spielen sich auf dem Schulhof ab, im Straßenverkehr, am Arbeitsplatz, nicht selten auch in den Familien.
Es steckt irgendwie in uns, dass wir nach Beleidigungen zurückschlagen, meist mit Worten! 
Wie du mir, so ich dir!

Diese Verhaltensweisen waren auch schon zu Zeiten des Paulus bekannt. So schreibt er an die Gemeinde in Rom folgendes: – Es ist zugleich unser Predigttext –

„Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes. Denn es steht geschrieben: Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr. Vielmehr: Wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem!“

Paulus scheint die Gemeinde in Rom gut zu kennen, er weiß, wie schnell die Emotionen hochkochen können.
Er hat die Hitzköpfe vor Augen, die sich nichts gefallen lassen und mit Eifer in die Schlacht ziehen. Paulus kennt aber auch die Gedemütigten, die fast ersticken an ihrem stumm erlittenen Unrecht.

Wir haben in unserer Sprache Sprichwörter, die die Fragen nach Recht und Gerechtigkeit, aber auch nach Rache und Vergeltung aufgreifen.
Wir kennen diese Sprichwörter alle: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem Bösen Nachbarn nicht gefällt!“ oder: „Rache ist süß“ oder: „Auge um Auge, Zahn um Zahn!“

Wir können gut nachvollziehen, wenn jemand aus tiefstem Schmerz, Wut und Verzweiflung Rache üben will an einem Täter, der Unheil über einen geliebten Menschen gebracht hat.

Was aber ist das Böse, was ist das Gute?

 Wo stehe ich selbst? 

Kinder und auch noch Jugendliche haben ein klares Bild von Gut und Böse, Schwarz und Weiß.  Wenn ich mit meinen Schülern diskutiere, fordern sie sehr schnell die Todesstrafe, weil unsere deutsche Rechtsprechung doch zu milde sei und Gewaltverbrecher nie wieder freikommen dürften. 
Manchmal ringe ich in solchen Diskussionen um Argumente und kann ihr Anliegen durchaus nachvollziehen. 

Auch Paulus wusste, wie unendlich schwer es mitunter ist, Böses mit Gutem zu überwinden:
„Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt Frieden mit allen Menschen!“ 

Da klingt ganz deutlich durch, dass es nicht einfach ist, Frieden zu schließen.

In Wahrheit aber haben wir keine bessere Alternative!
Denn wo kämen wir hin, wenn vernünftige Regierungen nicht in mühsamen Verhandlungen und trotz schmerzlicher Rückschritte beharrlich weiter nach friedlichen Lösungen suchen würden.
Wo kämen wir hin ohne die engagierten, mutigen Bürgerinnen und Bürger, die bei Gewalt nicht wegschauen. Wo kämen wir hin ohne die Menschen, die aufeinander zugehen, wieder und wieder dem andern die Hand reichen, um irgendwann im Frieden nebeneinander zu wohnen. 

An unseren Schulen werden sogenannte Streitschlichter ausgebildet. Da lernen die Kinder schon in jungen Jahren, wie man am besten in Krisensituationen vermittelt, wie man Streithähne zu Wort kommen lässt und diese dann  versteht, wie der andere tickt und weshalb der andere so schlecht drauf ist.

Wo kämen wir hin, wenn es sie nicht gäbe, die wahren Helden des Alltags! Sie geben acht auf ihr Umfeld und schreiten mutig ein, benennen das Unrecht, fordern Gespräche ein. Und verhandeln geschickt.
Ich denke dabei auch an die Aktivisten von Amnesty International, die sich weltweit für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen, ich denke an die Aktivisten, die sich zur Zeit in den USA  verstärkt für die Gleichbehandlung der Afroamerikaner einsetzen, weil es auch  im Jahr 2020 jeden Tag ungerechte Behandlung von Afroamerikanern durch die dortige Polizei gibt.

 Ich denke aber auch an die Engagierten, die sich für einen friedvollen Umgang mit der Schöpfung einsetzen; Menschen, die einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur vorleben.

Genau so wird es in unserem Predigttext gefordert: „Überwinde, ja besiege das Böse mit Gutem!“

Ein kluger Gedanke dazu ist uns auch von dem englischen Philosophen und Staatsmann des 16. Jhds., Sir Francis Bacon, überliefert.
Er meinte: „Wer nach Rache strebt, hält seine eigenen Wunden offen!“
Das ist wahr, wo alte Wunden offenbleiben, da kann kein innerer Frieden einziehen. Da kann die Liebe keinen Raum mehr gewinnen. 

Wenn wir genau hinschauen, sehen wir, dass Rache nur für kurze Momente eine Genugtuung bringt. 
Niemals aber bringt Rache Frieden, Versöhnung, Liebe oder Glück.

Das Böse wird es in dieser Welt immer geben. Immer wieder bricht es in die gute Schöpfung Gottes herein. Obwohl wir durch Kultur, Erziehung, aber auch durch Gesetze versuchen, das Böse einzudämmen, müssen wir doch allezeit mit einem Ausbruch desselbigen rechnen.

Paulus appellierte damals an seine Zuhörer im Namen Jesu Christi, das Böse durch Gutes zu überwinden. Schließlich stehen Christen Jesu gegenüber in der Verantwortung, am Friedensreich Gottes mitzuwirken! 

Liebe Gemeinde,
wir müssen nicht jeden Menschen lieben können oder ihn mögen, aber wir sollen schlicht das Nötige für ihn tun –  mehr wird von uns nicht verlangt.
An dieser Stelle sind wir alle gefordert, immer wieder auch über den eigenen Schatten zu springen. 
Und wenn es manchmal nicht gelingen kann zu vergeben oder sich zu versöhnen, so kann es vielleicht doch gelingen, die Rache Gott zu überlassen. Auch das kann wahre Befreiung sein!

Wichtig ist auch, sich rechtzeitig zu versöhnen. Bei Trauergesprächen höre ich immer wieder, dass es bis zum Schluss zu keiner Versöhnung mit dem Verstorbenen kam. Versöhnung schien zu Lebzeiten unmöglich. 
Aber ohne rechtzeitige Versöhnung kann selbst nach dem Tod des anderen kein Friede ins Leben einkehren. Oftmals werden Angehörige noch lange von Albträumen begleitet. 

Mein Appell lautet deshalb:

Dem durstigen und hungrigen Feind zu trinken und zu essen geben, dann wird er vielleicht bereuen oder gar umkehren!

„Gib deinen Mitmenschen mehr, als sie erwarten und mache es mit Freude, mit einem Lächeln auf dem Gesicht!“
So hat es einmal der Friedensnobelpreisträger, der Dalai Lama, gesagt. 

Nicht immer, aber manchmal liegt es auch an uns selbst und an unserer Einstellung, ob wir Frieden halten und ihn ermöglichen.

AMEN

Predigt zum 2. So. n. Trinitatis

Von Pfarrer Armin Langmann am 21.6.2020 in der Stephanuskirche in Gebersdorf

Lied 445,1+2.4+5,6+7

Zeige mir, Herr, den Weg deiner Gebote, dass ich sie bewahre bis ans Ende. Unterweise mich, dass ich dein Gesetz bewahre und halte von ganzem Herzen. Führe mich auf dem Steig deiner Gebote, denn ich habe Gefallen daran.

Ps 119,33-35

Liebe Gemeinde,

in den vergangenen Wochen drehte sich viel um das Thema Home-Office und um Fern-Unterricht mithilfe von Computern. Man musste klären: Was ist Unterricht überhaupt, für Lehrer/innen und Schüler/innen. Mir hat ein Lehrer erzählt, dass die Schüler vieles, was er sich für sie ausgedacht hat, gar nicht interessiert hat, dass sie sich einfach nicht damit beschäftigt haben und jetzt, wo sie wieder in der Schule sind, nichts davon wissen.

Wo es um Unterricht gehen soll, braucht man Motivation, Neugierde, Interesse oder mit anderen Worten, einen persönlichen, eigenen Zugang. Eine Haltung des Fragens, und schließlich Auskunft auf die Frage, wie man denn zum Ziel kommen könnte.

Dass Kirche auch so etwas wie Unterricht zu halten hat, dass es bei uns auch um eine Art Lernen geht, das wollen viele gar nicht wahrhaben. Kirche soll Orte für das Ausleben von Emotionen bereitstellen – für die Vermittlung von Kompetenz, von Wissen, von Aufklärung, sieht man sie heute nicht mehr zuständig.
Vor 50 Jahren gab es noch zusätzlich zum Gottesdienst für die junge Gemeinde nach der Konfirmation die sog. „Christenlehre“, bei der darüber gesprochen wurde, was wir glauben und darüber wissen können.
Heute sehen wir: ohne tragfähige Fundamente, ohne Wissen und Übung, ist es schwer, Krisen zu bewältigen und durchzustehen und nicht den Scharlatanen und Propaganda-Rednern – sozusagen der „geistlichen AFD“ zu verfallen.

Heinrich Albert dessen Lied wir heute singen, stammte aus Lobenstein in Thüringen, besuchte das Gymnasium in Gera und kam dann nach Dresden zu seinem Vetter Heinrich Schütz, der sein musikalischer Lehrer wurde. Die Eltern waren allerdings der Meinung, dass der Heiner nicht Musik, sondern „was Gescheites“ lernen sollte und drängten ihn zum Studium der Rechtswissenschaften. Dazu schickte man ihn nach Leipzig, wo er aber nicht nur Jura studierte, sondern bei Johann Hermann Schein auch Musik belegte. Sein Leben lang, ließ Albert die Freude an der Musik, am Vertonen von Texten und das Komponieren eigener Lieder nicht los.
Wer sich ein wenig mit der Bibel befasst, der kennt den 23. Psalm, vom guten Hirten, und zum Beispiel den Psalm 100: Jauchzet dem Herrn alle Welt, oder Psalm 103,2: Lobe den Herrn meine Seele, und vergiss nicht, was er Dir Gutes getan hat. Und man weiß auch welches der kürzeste und der längste Psalm ist: 117 und 119.

Bibel auf dem Altar der Stephanuskirche Gebersdorf
Der kürzeste Psalm 117 in unserer Altarbibel


Dem längsten Psalm, also dem 119. hat Heinrich Albert am Ende des dreißigjährigen Krieges gewisser maßen ein Denkmal gesetzt und die wichtigsten Grundgedanken zu Liedversen umgedichtet:

Führe mich, o Herr, und leite meinen Gang nach deinem Wort. Sei und bleibe du auch heute mein Beschützer und mein Hort. Nirgends als von dir allein kann ich recht bewahret sein.

Er war überzeugt, Halt und Orientierung für den Lebensweg wird der gläubige Mensch im Vertrauen auf Gott finden und gewinnen. Wirklich echten Halt und sichere Orientierung gibt es nur bei Gott, dessen starke Hand die Welt und was drinnen ist erhält.

Liebe Gemeinde,

dass es Tag und Nacht wird, dass Sonne und Mond „uns scheinen“ und dass die Welt wie von einer starken Hand zusammengehalten wird, das erscheint uns meistens ganz selbstverständlich. – Obwohl wir es eigentlich wissen sollten, sagen wir immer noch: Die Sonne geht auf und unter, oder der Mond geht auf. Wir sagen auch „er nimmt zu, oder ab. Wir kommen nicht auf die Idee, zu sagen: Schau, jetzt hat sich die Erde wieder ein Stückchen gedreht!
Woher kommt das, dass es um den 21. Juni herum besonders lange hell bleibt. Darüber macht man sich meist nicht groß Gedanken. Das ist eben so.

Ich weiß noch genau, wie ich diese Frage einmal einer Konfirmandengruppe gestellt habe. Einer meldete sich und gab die exakte Antwort. „Das liegt an der Schiefe der Ekliptik!“ Einer von 20 wusste Bescheid. Das Erschütternde war, dass es den 19 anderen gar nicht aufgefallen war, dass es in diesen Tagen länger hell ist.

Genauso selbstverständlich erscheint es uns, – solange wir gesund sind – dass man in der Früh aufsteht, dass man sich auf den Weg in Arbeit macht, dass man ein Dach über dem Kopf hat, einen Beruf, eine Familie und Frieden. Das betrachtet man weithin genauso als selbstverständlich.

Erst wenn das unterbrochen wird, wenn man am eigenen Leib erfährt, es geht nicht, wenn man jemanden pflegen muß, der Hilfe braucht, dann wird manchen deutlich, was eigentlich unser Leben ausmacht: dass wir gehen, spielen, tanzen, Auto fahren können, reden, telefonieren, in die Stadt gehen… und dass das ein Grund für viel Dankbarkeit sein kann.
Wenn es Zeit ist, Abschied zu nehmen, merkt man, wie stark die Verbindung, die Beziehung zueinander gewesen ist. Wenn es Zeit ist, Abschied zu nehmen, wird uns klar, was wir vom Leben und vom Sterben gehalten haben. Was macht das Leben aus? Was ist daran wichtig? Was passiert denn, wenn ein Mensch stirbt? Was macht das mit uns, wenn es unser Vater ist, oder unsere Mutter, unsere Frau, oder unser Mann, der gestorben ist? Ist der Tod etwas Jenseitiges, oder ein Teil unseres Lebens, etwas selbstverständliches, das jeden Tag passieren kann?

Wie denken wir als Christen über den Tod und die Ewigkeit? In der Situation des Abschieds können solche Fragen aufkommen, wenn es ganz still um uns ist und wir am Grab eines geliebten Menschen stehen.

Früher hat man sich vorgestellt, Sterben sei, wie wenn man nach einer langen Reise in die Fremde endlich ans Ziel kommt. Sterben sei Reisen in die Heimat, heimkommen.
Heute sehen viele das umgekehrt: Das Leben sei die Heimat und der Tod sei die Fremde. Wirklich und Echt sei nur das Leben hier. Die schwierigste Einsicht sei die, dass das Leben endlich ist. Das Ende gehört zum Leben dazu und jeder muss mit dieser Begrenztheit zurechtkommen und eine Einstellung dazu finden. Mancher wird davon bitter. Mancher empfindet die Auseinandersetzung mit diesem Thema als unzumutbar, will vom Glauben und von Gott nichts mehr wissen, zieht sich vielleicht sogar auf ein atheistisches Weltbild zurück und will mit seiner Kirche und ihrem Gott nichts mehr zu tun haben.
Man wendet sich ab und tritt aus. Die Kirche ist leer. Viele gute Angebote werden gemacht, aber nicht abgeholt. Studien haben gezeigt: Unsere Angebote sind prima, aber die Menschen wissen nichts davon. Nun, zu Zeiten der Corona Krise, erkennen wir, dass die Krise tiefe Spuren im Leben der Menschen und der Gesellschaft hinterlässt, dass viele sehr wohl betroffen sind, obwohl man so tut, als sei alles nicht so schlimm!

Hier in Gebersdorf kann man noch die Spuren des 30jährigen gleich unterhalb der Kirche erahnen. Auf den Informationstafeln zum Hainberg kann sich heute jeder interessierte Spaziergänger und Naturfreund ein Bild machen, warum Wallenstein als Heerführer der katholischen Seite so ein erfolgreicher Feldherr gewesen ist.
Die Einquartierung der evangelischen Armee – oder zumindest ihrer Offiziere – in den Mauern Nürnbergs war für die Bevölkerung innerhalb der Stadtmauern nicht weniger belastend, als das, was die Bauern im Umland – besonders hier im Westen für ihr Getreide, ihr Vieh und ihre Frauen und Töchter von der katholischen Armee zu befürchten hatten.
Abscheulich zugerichtet wurde, wer sich widersetzte, und wen es traf, dem drohte weit mehr als Geschlechtskrankheiten und wirtschaftlicher Ruin. So viel konnte niemand trinken, um die Traumatisierung zu verschmerzen.
Wie man in der Musik der Barockzeit die Kompositionstechnik des Kontrapunkts zur Zeit von Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach pflegte, so setzten Dichter, Philosophen und Prediger der Vergänglichkeit der Welt die Hoffnung auf eine andere positive Zeit im Jenseits entgegen.

Wo im 23. Psalm der gute Hirte durch das finstre Tal führt, wird am Ende des Weges ein gedeckter Tisch warten.
Dem in der Welt wütenden Unheil wird die unendlich große Macht Gottes im Himmel entgegengestellt. Denn der Herr der himmlischen Heerscharen wird sehr wohl in der Lage sein, ein starkes Schutzschild vorzuhalten und sichere Wege und heiles Ankommen in der Lebens- oder Todesgefahr zur ermöglichen. Doch Glaube will gerade keine Vertröstung auf ein heiles Jenseits konstruieren. Das machen besonders die Gedanken von Dietrich Bonhoeffer deutlich, der in quasi auswegloser Situation nicht Verschwörungstheorien predigte. Er, der allen Anlass gehabt hätte, nach allem, was er bis dahin erlebt hatte, zu schreiben: Wir müssen uns darauf einstellen, dass es noch viel schlimmer kommt! Also etwa so: Von Bösen Mächten Tag und Nacht umgeben, befürchten wir, dass noch viel Schlimmres kommt.“
Aber er macht es nicht so. Er weiß um die Macht des Glaubens und deshalb übt er in seinem Denken und Reden eine andere Haltung ein:
„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag!“
In diesem Sinn verstehe ich auch Heinrich Albert, wenn er dichtet:

Meinen Leib und meine Seele samt den Sinnen und Verstand, großer Gott ich Dir befehle unter deine starke Hand. Herr, mein Schild, mein Ehr und Ruhm, nimm mich auf, dein Eigentum. Deinen Engel zu mir sende, der des bösen Feindes Macht, List und Anschlag von mir wende und mich halt in guter Acht, der auch endlich mich zur Ruh trage nach dem Himmel zu.

H. Albert 1642 EG

Gebet

Wir rufen zu Dir, Schöpfer des Lebens, Schöpfer der Welt: Höre unsre Stimmen, wenn wir rufen, sei uns gnädig und erhöre uns. Unser Leben ist wie Gras, das heute grünt, wie die Blume, die heute blüht und morgen ist das Gras dürr und die Blume verblüht – und doch ist unser Leben in deiner Hand.
Wir rufen zu Dir, Christus unser Herr und Bruder: Lass die Kraft der Versöhnung hineinwirken in diese Welt, dass Menschen einander die Hände reichen und entdecken, dass sie Brüder und Schwestern sind in einem Geist und unter einem Herrn, dass sie erfahren, wie sie gemeinsam Verantwortung übernehmen und die Welt verantwortlich gestalten können.
Wir rufen zu Dir, Heiliger Geist: unsere Zuversicht, unsre Stärke und Licht, auf Dich vertraun wir und fürchten uns nicht! Du gibst uns den Odem des Lebens. Die leitest uns durch dein Wort, den Weg der Wahrheit und des wahrhaftigen Lebens.

Vater unser

Pfarrer Armin Langmann