Die „Erfindung“ der Weihnachtskrippe

Franz von Assisi hatte vor 800 Jahren eine Idee …

Weihnachtskrippe in der Stephanuskirche Nürnberg Gebersdorf

Weihnachtskrippen üben eine besondere Anziehungskraft aus. Egal ob aus Holz oder Ton, aus Metall oder Kunststoff, in einer festlich geschmückten Kirche oder in einer Wohnstube – Weihnachtskrippen stellen die weltweit bekannteste Geschichte dar: „Es begab sich aber zu der Zeit…“ Gott wird Mensch. Er kommt als Baby zur Welt. Und seine Eltern Maria und Josef haben für das kleine Jesuskind keinen anderen Platz als eine Futterkrippe, in die sie es legen können. Denn sie sind gerade erst in Bethlehem angekommen.

Wegen einer Volkszählung, die der römische Kaiser Augustus angeordnet hatte, waren sie unterwegs (Vergleiche Lukas 2): Die Krippe, die als erstes Bett für den Erlöser der Welt dient, bezeichnet in der deutschen Sprache auch – als Teil für das Ganze – die gesamte Szene: Den Stall mit Maria und Josef, mit Jesus in der Futterkrippe, mit Ochse und Esel, mit Hirten und Schafen und mit den drei weit gereisten Königen. Manchmal gibt es auch noch einen Engel zu sehen und einen Stern. Manchmal noch Kinder und Erwachsene.

Es war kein Geringerer als Franz von Assisi, der vor genau 800 Jahren die Idee hatte, mit einer Weihnachtskrippe die Geburt des Gottessohnes nachzuempfinden. Die Legende berichtet, dass Franziskus den einfachen Bauern in den Bergen Umbriens vor Augen führen wollte, in welcher Armut und Demut Jesus zur Welt gekommen war. Doch wie und wo? Da stieß er in der Vorweihnachtszeit des Jahres 1223 auf einem Spaziergang durch das Bergland auf einen kleinen Ort namens Greccio. Am Fuße einer hohen Felswand entdeckte er eine geräumige Höhle, in der man den Stall von Bethlehem nachbauen könnte. Und hier gäbe es genügend Platz, um mit allen Bewohnern der Gegend das Weihnachtsfest zu feiern.

Bald darauf traf Franziskus auf einen Mann aus dem Dorf, dem er von seinem Vorhaben erzählte. Der Bauer und seine Familie waren begeistert und schon bald begann man im ganzen Dorf mit den Vorbereitungen. Man wählte Schafe, Ochsen und Esel aus. Man probte seine Rolle, man schleppte Holz und Stroh herbei und richtete die Höhle für den Weihnachtsabend her. Und endlich war es so weit! Alle Frauen und Männer, welche den winterlichen Strapazen gewachsen waren, stapften mit Fackeln und Kerzen durch den Schnee den Berg hinauf.

Franziskus war mit all seinen Klosterbrüdern gekommen und auch die Priesterschaft der Umgebung war vertreten. Es wird berichtet, dass der Wald von den Stimmen erscholl und die Felsen von dem Jubelgesang von Menschen und Tieren widerhallten. Es wurde für alle ein unvergessliches Weihnachten.

Reinhard Ellsel

Das Warten gehört zum Leben

Monatsspruch Dezember 2023: Meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern. Lukas 2,30-31

Warten – in vielen Situationen des Lebens gehört es dazu. Mal sind es die ganz profanen Dinge, die uns warten lassen. Das Anstehen in der Schlange an der Supermarktkasse oder das Warten auf den verspäteten Bus. Mal sind die Anlässe des Wartens wiederum ganz gewichtig und existenziell: das Warten auf die Rückkehr eines geliebten Menschen, auf die Diagnose einer Krankheit oder auf die Entlassung nach einem Aufenthalt im Krankenhaus.

Einer, der auch wartet, ist der Prophet Simeon im Jerusalemer Tempel. Er wartet auf Trost und auf das Heil für sein Volk Israel in einem von den Römern besetzten Land. Simeon wartet auf Gott. „Meine Augen haben den Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern“, sagt Simeon, als die Eltern Jesus in den Tempel bringen. In Jesus hat Simeon den Messias erkannt, wie es ihm der Heilige Geist vorausgesagt hat. Lange hat er ausgeharrt in seiner Sehnsucht und seiner Hoffnung, nun ist sie in Erfüllung gegangen. Gott hat ihn erhört – so lässt sich auch der Name Simeon übersetzen.

Kummer und Leid sind nicht das Ende – mit dem Kommen von Jesus ist die Welt gerettet. Diese Sehnsucht und Hoffnung auf Erfüllung sind prägend für den christlichen Glauben. Die dänische Schriftstellerin Tania Blixen hat mal geschrieben: „Gott hat gewiss keine Sehnsucht erschaffen, ohne auch die Wirklichkeit zur Hand zu haben, die als Erfüllung dazugehört. Unsere Sehnsucht ist unser Pfad.“

Detlef Schneider

Angedacht im Dezember

Text: Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
Grafik: © GemeindebriefDruckerei

Simeon wird zum Augenzeugen des Heils für uns. Sein Leben lang hat er auf den Trost Israels gewartet, die Augen nach ihm offengehalten. Es heißt, der Heilige Geist lag auf ihm. Ein interessanter Mann!
Während der römischen Besatzung wartet er darauf, dass Gott sein Versprechen wahrmacht und sein Volk aufrichtet. Dass er sein Volk aus der Traurigkeit reißt.
Simeon ist ein Wächter. Er wacht am Tempel und passt auf, ob Gott sein Versprechen hält. Das ist sein Beruf, seine Berufung.
Dabei könnte man meinen, dass die Tradition aus Geschichten über Gott und seine Versprechen sich mit der Zeit abnutzen und an Bedeutung verlieren. Doch nicht bei Simeon. Er bleibt Wächter. Unter der Tradition dessen, was er weiß und für wahr hält, brennt der Geist Gottes und Simeon wird bestärkt in seiner großen Hoffnung.
Da hält er dieses Baby in den Armen und er erkennt staunend:

Meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern.

Lukas 2,30-31

Dabei hat er einen globalen Blick: Es geht nicht nur um dich und mich, nicht nur um Israel, sondern um alle Völker.
Für mich ist diese Erzählung immer wieder ein Anstoß des Heiligen Geistes: Sei Wächterin. Halte die Augen offen, wo Gott seine Verheißungen erfüllt. Wir sehen ihn an Weihnachten in der Krippe liegen, eine Ahnung des Babys, das Simeon in den Händen hielt und wenn es geschenkt ist, erkennen wir Jesus als das Heil der Völker.

Pfarrerin Juliane Jung

Der reiche Kornbauer

Bild mit einer Schale Äpfel. Auf einem Schild steht: Gewaschene Bioäpfel zum Mitnehmen
Heute in Gebersdorf entdeckt

„Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen. Und er dachte bei sich selbst und sprach: ,Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle.‘ Und sprach: ‚Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!‘ Aber Gott sprach zu ihm: ‚Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?‘ So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.“

Jesus in einem Gleichnis an seine Jünger, Lukas 12,16–21

Anderen helfen! Wem? Wie? Warum? Das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter

Von Pfarrerin Gabriele Edelmann-Richter am 13. Sonntag nach Trinitatis 2022 in der Stephanuskirche in Gebersdorf zu Lukas 10,25-37

Liebe Gemeinde,

die Geschichte vom Barmherzigen Samariter, die wir vorhin als Evangeliumslesung gehört haben, ist wohl eine der bekanntesten biblischen Erzählungen.
Unzählige Male habe ich diese Geschichte meinen Schülern erzählt.
Die Jüngeren hatten jedes Mal großes Mitleid mit dem Verletzten. Beim Nachspielen der Geschichte wollten die meisten Kinder den Helfenden, den Samariter spielen. Sie fragten nicht, wer der am Boden Liegende war, welchen Beruf er hatte, ob er arm oder reich war.
Allein das Elend bedauerten die Kinder.

Bei den Konfirmanden sieht es schon anders aus. 
Nicht selten melden sich sofort Freiwillige, die die Räuber spielen möchten, obwohl die ja in der Erzählung nur als Ursache des Leids genannt werden und eigentlich keine Rolle mehr spielen. Die Opferrolle hingegen will keiner übernehmen.

In der Oberstufe ging es dann nicht mehr um Rollenspiele. Oft haben wir heiß darüber diskutiert, wie verlogen doch der Priester und auch der Levit waren, die aufgrund ihres Berufsstandes mit dem Opfer nichts zu tun haben wollten und den Schwerverletzten einfach liegen ließen.

Ursprünglich berichtet der Evangelist Lukas, dass der Erzählung Jesu die Frage eines Schriftgelehrten vorausging, der wissen wollte, was ein frommer Mensch tun solle, um das ewige Leben zu erlangen.
Natürlich wollte der Schriftgelehrten den Wanderprediger Jesus damit auf die Probe stellen. Er wollte sehen, ob sich Jesus mit den heiligen Schriften auskenne.
Jesus durchschaute die Fangfrage und drehte den Spieß um.
„Was steht in den Schriften?“  So stellte er geschickt die Gegenfrage und der Schriftgelehrte antwortete – wie aus der Pistole geschossen – mit dem Doppelgebot der Liebe aus den Büchern Levitikus und Deuteronomium:
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst!“
Darauf sagte Jesus: „Du hast recht geantwortet, tu das, so wirst du leben!“
Der Schriftgelehrte aber ließ nicht locker:
„Wer ist denn mein Nächster?“ wollte er wissen.
Da erzählte ihm Jesus die Geschichte vom Überfallenen.

Für den Zuhörer, den Schriftgelehrten vor 2000 Jahren, war das eine provokante Erzählung.
Denn ausgerechnet ein Samaritaner, ein verachteter, ja religiöser Außenseiter mit eigenen religiösen Bräuchen, Gebeten und Liedern erfüllte mit seinem Handeln jenes Gebot, das in der hebräischen Bibel eine ganz zentrale Stellung einnimmt!
Dieses Doppelgebot der Liebe besagt ja, dass die Liebe zu Gott und die Liebe zu den Mitmenschen untrennbar zusammengehören!
In den Büchern Mose gibt es keine Einschränkung dazu, ob sich das gute Handeln und Tun nur am eigenen Volk, nur an den Verwandten, Freunden oder auch an Fremden ausrichten solle.

Genau das nimmt Jesus zum Anlass für seine Erzählung.
Und macht damit wieder einen erfolgreichen Schachzug.
Ganz einleuchtend macht Jesus seinen Zuhörern klar, dass der Mensch Anteil am echten Leben hat, wenn er im rechten Augenblick dem Menschen hilft, der seine Hilfe braucht, egal welcher Herkunft, Hautfarbe, Religion oder Profession der Hilfsbedürftige ist.

Liebe Gemeinde,

vor 2000 Jahren lautete die Frage:
Was soll man als guter Mensch machen, um das ewige Leben zu erhalten.

Wie würden wir heute die Frage formulieren?
Vielleicht so: 
Was ist der Sinn meines Lebens?
Was soll ich aus meinem Leben machen?
Warum hat mich Gott ins Leben gerufen?
Bin ich berufen – und wenn ja wozu?

Es wäre sicher sehr spannend, wenn wir jetzt miteinander ins Gespräch kämen.
Denn jede/r von uns hat seine eigene Geschichte mit Gott.
In unserer Stephanusgemeinde gibt es etliche, die hier eine sinnvolle Aufgabe für sich entdeckt haben.
Mal mehr, mal weniger schenken sie von ihrer Zeit her.
Ich kenne aber auch viele, die sagen: „Mögen tu ich wohl, doch ich weiß nicht, wem und wie und ob ich das auch schaffe…“
Dabei denke ich, dass kaum einer von uns einem Verletzten oder akut Hilfsbedürftigen die spontane Hilfe verweigern würde.

Doch es gibt bei uns auch viele Angebote, sich für andere öfters einzusetzen.
Ich denke da an den Besuchsdienst für unsere Senioren, an die Integration unserer sozial benachteiligten Kinder im Kindergarten, in der Schule, an die Mithilfe bei gemeinsamen Festen, oder überhaupt in Nürnberg an die Obdachlosenhilfe, an die Hospizarbeit, an die Tafeln… 

Liebe Gemeinde,

Jesus legt mit seiner Erzählung alle Aufmerksamkeit auf den Mitmenschen, ohne jegliche Bedingung. 
Damit will er uns auch sagen, dass ein jeder von uns jeden Tag Liebe und Zuwendung empfangen kann, wenn er/sie dazu bereit ist, auch jeden Tag ein wenig vom eigenen Glück an den Nächsten weiterzugeben.

In den nächsten Monaten werden wir es vermehrt wahrnehmen und sehen, dass Menschen in Not geraten. Wer Gott begegnen will, der verschließe seine Augen nicht, ja, der suche die Nähe des bedürftigen Menschen. Denn Gott begegnet uns im bedürftigen Menschen.
Wer an seinem Nächsten vorbeigeht, der geht an Gott vorbei! 

Die Fragen des 2002 verstorbenen Schriftstellers Wilhelm Willms beschreiben diese Nähe zum und das eigene Angewiesensein auf den Nächsten auf eindrückliche Weise:
Willms schreibt:

wussten sie schon
dass die nähe eines menschen
gesund machen
krank machen
tot und lebendig machen kann

wussten sie schon
dass die nähe eines menschen 
gut machen böse machen
traurig und froh machen kann

wussten sie schon
dass das wegbleiben eines menschen
sterben lassen kann
dass das kommen eines menschen
wieder leben lässt

wussten sie schon
dass das zeithaben für einen menschen
mehr ist als geld

wussten sie schon
dass das anhören eines menschen
wunder wirkt
dass das wohlwollen
zinsen trägt
dass ein vorschuss an vertrauen
hundertfach zurückkommt (…)

wussten sie das alles schon

Liebe Gemeinde, 

mit diesem Wissen wünsche ich Ihnen einen guten Start in die neue Woche.
Viel Kraft für die anstehenden Aufgaben und Vertrauen in das Band der Liebe, das uns mit den Mitmenschen verbindet und das uns in schweren Zeiten trägt.  

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.  

Amen.

Gabriele Edelmann-Richter, Pfarrerin

Im Gebet geborgen sein

Von Pfarrerin Gabriele Edelmann-Richter am Sonntag Rogate, 22.05.2022 in der Stephanuskirche in Gebersdorf zu Lukas 11, 5-13

Frau hält die Hände zum Gebet gefaltet und blickt dabei nach oben.
Grafik auf Holz.

Liebe Gemeinde,

immer wieder höre ich von Menschen den Satz: Frau Pfarrerin, beten Sie für mich, das ist doch Ihre Aufgabe!
Nun ja, das mach ich gerne. Doch manchmal kommt mir die Aufforderung auch mit einem spöttischen Unterton entgegen. Mag es daran liegen, dass die Menschen in unserer säkularisierten Welt nur noch von den Kirchenvertretern das Beten erwarten oder dass die Menschen keinen Bezug mehr zum Beten haben?
Manchmal erscheint es mir auch so, dass das Sprechen über das Beten ein Tabu ist oder so persönlich, dass es keinen was angeht.

Woran mag es liegen, dass sich im Gegensatz zu den Kindern die Erwachsenen zum „Thema Gebet“ eher nicht äußern?
Wahrscheinlich liegt es daran, dass wir uns beim Beten verletzlich zeigen.
Denn wenn wir beten, geht es um Gefühle der Freude, der Liebe, aber auch der Enttäuschung, der Angst, der Wut. Diese großen Gefühle tragen wir, weil wir sie keinem Menschen zumuten wollen, vor Gott.

In Augenblicken des Betens entsprechen wir nicht mehr dem Bild, das doch ein jeder von uns haben soll: stark zu sein, optimistisch zu sein, entspannt zu sein. Nein, beim Beten sind wir verletzlich, weil wir da ganz ehrlich sind.
Ein weiterer Grund, weshalb sich Erwachsene nicht übers Beten äußern wollen, liegt darin, dass viele Menschen große Zweifel haben, ob Beten überhaupt was bringt.
Denn das Gegenüber, Gott, an den sich die Gläubigen wenden, kann ja nicht bewiesen werden.
Könnte ja alles nur fromme Einbildung sein.

Wenn wir uns die Katastrophen der letzten Monate ansehen, kann schon auch der Frömmste unter uns Zweifel in Bezug auf die Allmacht Gottes haben:
Wann endlich bereitet er dem Krieg in der Ukraine ein Ende?
Warum lässt er stets neue Corona-Varianten auftauchen?
Und was ist mit dem ganz persönlichen Unglück, wenn trotz intensiven Betens der Partner stirbt, die Kinder sich scheiden lassen, der Erbstreit sich nicht beilegen lässt?

Solche Ereignisse treffen uns ins Herz, das Gebet verliert seine Unschuld und uns drängt sich die Frage auf, was vermag ein Gebet und was nicht?

Unseren heutigen Predigttext haben wir vorhin als Evangeliumslesung schon gehört.
In seiner Rede versucht Jesus seinen Anhängern und Freunden die Augen dafür zu öffnen, was Beten bedeutet.
Dabei ist er nicht zimperlich. Seine Ausführungen sind nicht von sanften Worten geprägt, sondern von drastischen Bildern:
Da klingelt ein Mann mit Vehemenz seinen Freund mitten in der Nacht heraus, weil er für seinen Überraschungsgast bei sich zuhause nichts mehr im Vorratsschrank findet.
Jesus erzählt auch von einem Sohn, der seinen Vater um einen Fisch bittet, den Fisch bekommt, nicht etwa eine Schlange.
Erzählt wird von einem zweiten Sohn, der seinen Vater um ein Ei bittet, das Ei bekommt, nicht etwa einen Skorpion.

Liebe Gemeinde,

wie damals Jesu Zuhörer, so werden auch Sie sagen: Na, das ist doch selbstverständlich, dass wir einem guten Freund aushelfen und dass es ein Vater mit den Söhnen gut meint!
Dennoch wissen alle Eltern, dass man den Kindern nicht alle Wünsche erfüllen darf.
Nur das, was man als Eltern mit gutem Gewissen verantworten kann, kann gewährt werden. Aus der Pädagogik wissen wir: Geben Eltern immer nach und erfüllen jeden Wunsch, wird es das Kind im Leben schwer haben, da es keinen Verzicht gewohnt ist.

Wie verhält es sich nun mit unseren Bitten, die wir an Gott richten? Was erwarten wir da von Gott?
Jesus verspricht in seiner Rede: „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt und wer da sucht, der findet und wer da anklopft, dem wird aufgetan!“
Hmm … Eins zu eins auf unser Leben und auf unsere Wünsche umsetzen, lässt sich das sicher nicht.
Denn auf welche Weise wir auch immer an Gott glauben, wir wissen doch, dass Gott keine Maschine ist, die uns per Knopfdruck unseren Wunsch erfüllt.
Entscheidend ist doch, wie wir uns Gott vorstellen.
Wir Christen glauben daran, dass Gott uns begleitet, dass Gott in unser Leben hineinwirkt, dass Gott uns Lasten auferlegt, aber uns auch hilft, sie zu tragen!

Gott ist nicht der Verursacher des Übels, sondern der Tröster und der Begleiter durch das Übel hindurch!
Wie Gott im Einzelnen wirkt, weiß keiner von uns.
Keiner von uns kann die Existenz Gottes beweisen.

Aber was wir können ist, Gott radikal zu vertrauen!
Wir können uns faszinieren lassen von den biblischen Geschichten, die von Gottes Macht erzählen, wie sie sein Volk und auch die ersten Christen erfahren haben.
Wie die Gläubigen aber auch immer wieder auf die Probe gestellt wurden und dem Schöpfer trotz allem bis heute vertrauen.
Durch seine Menschwerdung in Jesus hat sich Gott dem Elend der Welt ausgesetzt.
Gott weiß, wie es uns geht, wenn wir von Sorgen und Angst geplagt werden.
Durch seinen Sohn hat er alles selbst durchgemacht.

Gott kennt unsere Gedanken, ehe wir diese in Worte fassen.
Deshalb ist es für Gott nicht wichtig, wie wir unsere Bitten formulieren, ob wir sie in das Vaterunser hineinlegen oder in einen Psalm oder ob wir frei heraus sprechen, alleine oder in der Gruppe. Selbst ein Satz oder ein Schrei zum Himmel genügen.

Gebete sind für uns wichtig, um uns zu befreien.
Beim Beten geht es um unseren Sinneswandel, d.h. das ewige Kreisen unserer Gedanken hat ein Ende, wir geben unseren Gedanken eine Richtung. Die Richtung hin zu Gott!
Beten bedeutet, alles bei Gott abzuladen, uns zu erleichtern, damit wir wieder nach vorne laufen können.
Und aus der Bitte um Hilfe kann dann die Frage:
„Was kann ich tun?“ werden.

Ich bin sicher, dass viele von uns von so einer Wandlung erzählen können.
Manche mögen das „Schicksal“ oder „Glück“ nennen.
Christen nennen das „Fügung“ oder „Vorsehung“.

Gottes Möglichkeiten auf unser Beten zu reagieren sind dabei unendlich:
Das können schon mal Worte eines Freundes sein oder biblische Worte, die uns zugesprochen werden.
Wir dürfen auf die Kraft des Heiligen Geistes hoffen, der uns im Gebet eine tiefe Freude und eine heitere Gelassenheit schenkt.
So verlieren die Widrigkeiten unseres Lebens ihre Macht, wenn wir unser Leben im Gebet ganz Gott anvertrauen.
Dann geht der Himmel über uns auf.
Heute und in den Zeiten, die vor uns liegen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

Gabriele Edelmann-Richter, Pfarrerin

Predigt zum Karfreitag – Christus der Versöhner

Von Pfarrerin Gabriele Edelmann-Richter am 15.04.2022 in der Stephanuskirche in Gebersdorf zu Lukas 23, 32-49

Gemälde: Gekreuzigter Jesus, einfarbig in Orange auf schwarzem Hintergrund.
Kreuzigung in Orange, Ernst Volland, 2010, akg-images/Ernst Volland

Liebe Gemeinde,

wieviel Prozent der Evangelischen besuchen wohl heute zur Todesstunde einen Gottesdienst? Wieviel Prozent der Christen überhaupt – weltweit?
In Deutschland ist der prozentuale Anteil wahrscheinlich gering. So wie auch die Anzahl der Gottesdienstbesucher konstant schwindet.
Obwohl doch die Botschaft, die vom Karfreitag ausgeht, die ganze Welt betrifft:

Am Karfreitag wurde die Welt mit Gott versöhnt!

Die ganze Welt – mit Gott versöhnt!
Alles ist in Ordnung gebracht! Kein Ärger mehr!
Bahn frei für einen Neuanfang! Ein Neuanfang für alle!
Für Würdige und Unwürdige. Für Reine und Unreine. Für Fanatiker, Gleichgültige und Träumer.

Weshalb wir uns da so sicher sein können:
Jesus spricht: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun!“
Jesus hat nicht gewartet, bis die Menschen unter seinem Kreuz Reue zeigten.
Gefasst und noch mit fester Stimme bittet er seinen Vater im Himmel um die Versöhnung mit der Welt!
Und dies, obwohl er ohne Zweifel auf sein Ende zuging.
Diese Selbstlosigkeit machte nicht nur die Menschen damals sprachlos.
Jesus gab sein Leben dahin für die Vielen! Er gab alles, was ein Mensch geben kann.

Genau deshalb brauchen wir uns nicht mehr zu fragen, sind wir durch unser Handeln vor Gott gerecht, sind wir seiner Gnade würdig?
Selbstverständlich sind wir das! Allein aus Gnade!
So drückte es auch schon Martin Luther aus.
Wenn uns das klar ist, fällt es uns nicht schwer, Botschafter dieser Versöhnung zu sein!
Wirklich eine ehrenvolle und überaus wichtige Aufgabe!
Denn Botschafter braucht es in unserer globalisierten Welt immer mehr.

Denken wir nur an die Botschafter, die sich weltweit für den Klimaschutz einsetzen, denken wir an Greta Thunberg oder an die Deutsche Lisa Neubauer. Unerschrocken reisen sie durch die Welt, um die Menschen vor dem Abgrund zu warnen, um die Menschen an ihre Verantwortung gegenüber den nachfolgenden Generationen zu erinnern.

Wir kennen auch Botschafter des Friedens wie Antonio Guterres von den Vereinten Nationen, oder den Dalai Lama, oder den Papst oder den einen oder anderen europäischen Politiker, der im furchtbaren Russland-Ukraine Krieg zu vermitteln versucht, um diesem Grauen ein baldiges Ende zu bereiten.

Diese Botschafter kennen wir aus den Medien.
Wir aber, alle, die wir hier sind, sind die Botschafter der Versöhnung der Welt mit dem Höchsten, mit Gott!

Als Christen sind wir zu dieser Aufgabe berufen. Das heißt aber auch, genau zu unterscheiden, wie wir die Lage sehen und wie Gott sie sieht.
Schaffen wir es, die Welt mit Gottes Augen zu sehen, mit dieser unbeschreiblichen Liebe, die er uns durch seinen Sohn erwiesen hat?
Das geht nicht so einfach.
Manchmal widerstrebt es uns sogar.
Gerade, wenn wir uns am Abend die Nachrichten anhören und die Bilder vom Leid in der Welt oder vom Leid in den Kriegsgebieten sehen.
Wie können wir mit Versöhnung und Liebe etwas ausrichten?
Auf Anhieb mag das illusorisch klingen, vielleicht etwas für Träumer, für Menschen, die leicht davon reden können, weil sie viele tausend Kilometer weg sind von den Katastrophengebieten.
Ja, es stimmt, Versöhnung kommt nicht mit Gewalt und auch nicht mit schweren Waffen daher, dennoch ist sie kraftvoll.
Versöhnung lebt von einem starken Glauben an das Gute!
Versöhnung sieht dort eine Beziehung, eine Gemeinschaft, wo sonst niemand eine sieht.
Wo alle nur Gräben und Abgründe sehen, sieht Versöhnung eine Brücke, die das überspannt.

Das sichtbare Zeichen für eine Versöhnung ist das Kreuz.

Jesus hält in seinem Kreuz diese Abgründe zwischen verschiedenen Welten zusammen, er umspannt sie, umfasst sie und bindet sie in seiner Liebe zusammen.
Durch Jesus geht zusammen, was nicht zusammengehört.
So spricht er zu dem Schwerverbrecher, der neben ihm am Kreuz hängt: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein!“

Genau um diese Selbstlosigkeit bitten wir regelmäßig, wenn wir das Vaterunser sprechen:
„Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!“
Ob wir so eine Versöhnung schaffen, so wie es uns Jesus vorgelebt hat, wahrscheinlich nicht!

Im Münchner Sonntagsblatt habe ich diese Woche in einem Bericht der Theologin und Osteuropa Expertin Regina Elsner gelesen, dass die zwei orthodoxen Kirchen im Ukraine-Krieg keine Rolle spielen und wenn, dann vor allem die russisch-orthodoxe Kirche eine Unrühmliche, ist sie doch zerstritten mit der ukrainisch-orthodoxen Kirche und lässt sich von den russischen Machthabern benutzen.

Man kann nicht mit Gott versöhnt sein und selbst unversöhnt sein mit anderen!
Dabei sollten die Kirchen auf den schauen, der schon vor 2000 Jahren wusste, dass Gewalt nur Gewalt hervorbringt und absolute Liebe, ja sogar Feindesliebe die Lösung für einen Frieden sein kann.

Ein Versöhner zu sein, das kann viel kosten. Überwindung, Mut, Verzicht.
Das wissen wir alle, wenn wir in unsere Familien oder auch in unsere Nachbarschaft blicken.
Nicht jeder schafft es, den Weg einer Versöhnung zu gehen.
Versöhnung verlangt uns viel ab. Versöhnung kostet uns manchmal die letzten Nerven.

Jesus hat Versöhnung das Leben gekostet!

In dem Wissen, dass dieser hohe Preis unumgänglich ist, blieb ihm nur noch das Vertrauen auf seinen Vater im Himmel:

„Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“

Liebe Gemeinde, immer wenn uns das Gefühl der Ohnmacht und der Aussichtslosigkeit beschleicht, dürfen wir diese Worte Jesu nachsprechen.
Sie geben auch mir und Dir Ruhe und Kraft, durch eine schwere Zeit zu kommen!

Amen.

Gabriele Edelmann-Richter, Pfarrerin

Predigt „Das große Abendmahl“ zu Wandbildern von Karl Hemmerlein

Von Pfarrer Dr. Matthias Dreher am 04.07.2021 (5. Sonntag nach Trinitatis) in der Stephanuskirche in Gebersdorf

Das große Abendmahl, Wandbild von Karl Hemmerlein zum Lukasevangelium in der Stephanuskirche Nürnberg. Gemalt auf dem Bogen zur Altarnische.
Bilderzyklus in der Stephanuskirche – Alle Fotos: Dr. M. Dreher

Liebe Mitchristen hier in der Stephanuskirche,

Sie haben hier in Ihrer Kirche etwas Außergewöhnliches: Diesen Bilderzyklus, den Karl Hemmerlein etwa 1930 um den Bogen zur Altarnische malte. Er zeigt, wie die meisten von Ihnen sicherlich wissen, Einzelszenen aus Jesu Gleichnis vom Großen Abendmahl, das in der Bildenden Kunst ganz ganz selten nur darstellt ist.

Kurz ein paar Worte zum Maler: Karl Hemmerlein wurde 1896 in Fürth geboren und starb auch dort im Jahr 1970. Er war also noch ein junger Künstler Mitte 30, als er diese Bilder hier schuf, – aber schon auf der Höhe seines Ruhms: 1931 wurde diese Stephanuskirche geweiht und im selben Jahr malte Hemmerlein in der neugebauten Klinikums-Kapelle in Fürth eine riesige Himmelfahrtsszene und prompt verlieh ihm 1932 die Stadt Nürnberg den Albrecht-Dürer-Preis – und das einem Fürther! Das will was heißen. Aber ab 1934 erhielt er Ausstellungsverbot für den Rest der Nazizeit und seine Himmelfahrt in Fürth wurde wenige Jahre nach ihrer Erschaffung als „entartet“ übertüncht. Dabei hat Hemmerlein immer wieder Auftragswerke für Nazis gemalt, etwa ein repräsentatives Hitler-Porträt für den früheren Fürther Oberbürgermeister. Seltsam. Wieder so ein Mensch, der in unsere drei Schubladen „Nazi“, „Widerständler“, „unpolitischer Mitläufer“ nicht reinpasst. – Zurück zu den Bildern und zum Gleichnis. Wir haben hier die Fassung, wie der Evangelist Lukas in Kap. 14 das Gleichnis überliefert. Das möchte ich gleich betonen, weil uns Matthäus dasselbe Gleichnis erzählt, aber in einer Variante, zu der man ganz andere Bilder hätte malen müssen.

Wie sehen wir den Bilderzyklus heute?

Ich stelle mir vor, wie ein normaler Mensch von heute, der das Gleichnis gar nicht kennt, z.B. ein neuer Konfirmand, dieses Bild betrachten würde. Er sieht sieben Szenen, die jeweils ohne Boden und Hintergrund – typisch für Hemmerlein zu der Zeit – um den Bogen gruppiert sind. Jede steht für sich und doch sind alle sieben durch die Farben und v.a. durch die Körperhaltungen aufeinander bezogen. Der Bilderbogen zerfällt nicht und wird zusammengehalten durch die Tischszene in der Mitte oben. Darauf streben die beiden Seiten zu. Die zentrale Figur ist am leichtesten zu erkennen: Das muss Jesus sein, mit Heiligenschein. Wer sich nur ein bisschen auskennt in christlicher Kunst, den erinnert dieser Tisch mit dem gefalteten Tischtuch an unzählige Abendmahls-Bilder. Das „normale“, das „letzte“ Abendmahl kann aber nicht gemeint sein, denn wir sehen keine 12 Jünger, sondern links einen alten und einen jungen Mann; rechts eine alte und eine junge Frau. Auf dem Tisch stehen außer Brot auch zwei Schalen mit etwas wie Äpfeln drin.

Abendmahlszene aus "Das große Abendmahl" in der Stephanuskirche von Karl Hemmerlein

Also die Menschen, jung und alt, essen mit Jesus. Hm. Wo, wann und warum bleibt unklar. – In den je drei Szenen links und rechts erkennt man eine Figur überall wieder: Den Mann im blauen Gewand, der alle auf den Tisch mit Jesus hinweist. Die anderen Menschen streben dreimal von ihm weg, dreimal folgen sie ihm. Aber was sollen die Ochsen und das Kornfeld?

Predigttext

Jetzt wird es Zeit, das Gleichnis zu hören. Jesus ist am Sabbat zu Gast bei einem Ober-Pharisäer in Jerusalem und hat schon Gleichnisse und anderes gelehrt, da gibt ihm ein anderer Gast das Stichwort:

Da aber einer das hörte, der mit zu Tisch saß, sprach er zu Jesus: Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes!

Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist schon bereit!

Da fingen sie alle an, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und ein andrer sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Wieder ein andrer sprach: Ich habe eine Frau geheiratet; darum kann ich nicht kommen. Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn.

Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen und Verkrüppelten und Blinden und Lahmen herein. Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde. Denn ich sage euch: Keiner der Männer, die eingeladen waren, wird mein Abendmahl schmecken.

Lukas 14,15-24

Das Gleichnis in der Stephanuskirche

Also: Ein offenbar reicher Mann veranstaltet ein großes Abendessen – und da muss man wissen, dass es damals in Palästina üblich war, zweimal einzuladen. Erst gibt’s eine Voreinladung, dann bereitet der Gastgeber alles zu und wenn’s soweit ist, geht nochmal ein Bote herum und sagt den Gästen: So, es ist soweit, ihr könnt kommen. Der Satz des Knechts: „Kommt herzu, denn es ist alles bereit“, ist in unsere Abendmahls-Liturgie eingegangen. Viele, heißt es, waren eingeladen, jetzt aber finden ALLE Ausreden, um nicht zu kommen. Die drei, von denen im Einzelnen erzählt wird, sind also nur Beispiele. Der erste muss seinen neu gekauften Acker begutachten. Der zweite hat für seine Felder neue Ochsen gekauft und muss schauen, ob sie was taugen. Der dritte hat frisch geheiratet und will von seiner Braut nicht weg. Die drei haben wir eher im unteren Bereich hier dargestellt.

Es sind also Geschäfte und Belange des normalen, weltlichen Lebens, die sie abhalten, die Einladung anzunehmen. Wir alle kennen so etwas auch: „Du, ich habe mir ein neues Auto gekauft und muss es in Wolfsburg abholen. An dem Freitag kann ich leider nicht zu deiner Grill-Party kommen. Sonst gerne, aber grad da, geht es nicht.“ – „Meine Lieben, danke für die Einladung zu Pauls Konfirmation. Aber gerade an dem Sonntag muss ich zur Kommunion meines Patenkindes. Ich hoffe, ihr versteht das.“ Klar, sowas kennen wir. Und es ist auch in der Regel gar nicht böse gemeint. Ja, sagen wir’s ruhig: Diese drei Menschen, die hier absagen, sind keine Bösen.

Trotzdem wird der Hausherr bei Jesus jetzt „zornig“. Einmal sicherlich, weil plötzlich alle absagen und er mit seinem vielen Essen allein dasteht. Zum anderen – und das ist noch viel wichtiger –, weil sich in den an sich nachvollziehbaren Ausreden eine Prioritätensetzung zeigt: „Ja, eigentlich, lieber Gastgeber, würden wir dir schon die Ehre geben, aber unsere eigenen Belange – und sind sie noch so alltäglich – sind uns trotzdem näher und wichtiger.“ Sie verstehen offensichtlich nicht, wie wichtig dem Gastgeber sein Fest, wie wichtig ihm seine Gäste sind und wie wichtig vielleicht er selbst für sie ist.

Ich erzähle Ihnen, wie ich das selbst erlebt habe:

Letztes Jahr wurde ich 50 und wollte ein Fest in einem schlossartigen Saal veranstalten. Also schickte ich ein Jahr zuvor ein „Save-the-date“ wie das Neudeutsch heißt an die Gäste raus. Auch an meinen Onkel und Paten, zu dem ich regelmäßig Kontakt hatte und der mir nahe und wichtig ist. Die meisten sagten da schon zu; er auch. Als das Fest dann näherrückte, sagte er wieder ab, weil er an diesem Wochenende – entweder an seinem Buch weiterschreiben oder mal wieder mit seiner Frau in Urlaub fahren wolle. Pa! Ich konnte mir aussuchen, was von beidem ihm wichtiger wäre als meine Einladung. Da war ich vielleicht sauer – und bin es ehrlich gesagt bis heute. Aber „sauer“ trifft es noch gar nicht. Ich bin natürlich tief enttäuscht, weil ich merke, dass mein Onkel gar nicht der ist, als den ich ihn sehe und dass ihm unsere Beziehung lang nicht soviel wert ist, wie ich dachte. Das schmerzt. Und daher kommt der Zorn. 

Aber jetzt macht der Hausherr, der bei Jesus natürlich für Gott steht, etwas anderes, als ich es getan hätte. Er schickt den Knecht, seinen Einlader noch zweimal los, um seine Fest-Tafel doch noch irgendwie zu füllen. Die erste Runde geht in die Stadt an die Armen, die Krüppel, die Blinden und Lahmen. Die zweite Runde geht nach außerhalb der Stadt an die Wege und Zäune, also an die Landstreicher und Tagelöhner.

Man kann zusammenfassen: Der Hausherr holt sich gesundheitlich oder sozial unreines, ausgestoßenes Gesindel ins Haus. Leute, mit denen angesehene, etablierte Herrschaften der Gesellschaft nichts zu tun haben wollen. Das macht es den Hörern des Gleichnisses – also auch uns – schwer, sich in diese Botschaft einzuklinken. Denn mit welcher Gruppe wollen wir uns identifizieren? Sind wir die Ersteingeladenen, die absagen und nichts von Gott abbekommen? Oder sind wir verachtete Außenseiter? Beides will man nicht sein. Wenn wir überhaupt bereit sind, hier eine Botschaft für uns zu hören – und das sollen wir natürlich – dann geht das nicht ohne Kränkung unseres Egos ab.

Die Gemeinde, für die der Evangelist Lukas schreibt, dürfte das so verstanden haben, dass mit der ersten Runde innerhalb der Stadt die Mission unter Juden, v.a. in Jerusalem gemeint war – so wie sie Lukas in der ersten Hälfte der Apostelgeschichte beschreibt. Die zweite Runde sollte ein Bild für die sog. Heidenmission sein – also unter Nicht-Juden im nordöstlichen Mittelmeer-Gebiet, so wie sie Lukas in der zweiten Hälfte der Apostelgeschichte darstellt. Zu dieser letzten Heiden-Gruppe von den Wegen und Zäunen zählte die Lukas-Gemeinde sich wohl auch selbst und war dankbar, „auf den letzten Drücker“ noch mit rein-genötigt worden zu sein.

Zurück zum Gleichnis

Schauen wir uns nochmal die Hilfsbedürftigen der ersten Ersatzsammlung an: Jesus selbst beschreibt sein Auftreten gegenüber den Jüngern Johannes des Täufers einmal so:

„Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt“

Matthäus 11,5f

Anderswo sagt er zu seinen eigenen Jüngern:

„Geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel“

Matthäus 10,6

Das war die Sendung, mit der Jesus angetreten ist: Natürlich hat er sich auch werbend an die Schriftgelehrten und Pharisäer gewandt. Die sind wohl  im Gleichnis sogar ursprünglich mit den zuerst Eingeladenen, ehrwürdigen Gästen gemeint gewesen. Aber je deutlicher die sich verschließen, desto mehr wirbt Jesus um die Außenseiter, die der barmherzige Gott eben keinesfalls weniger haben will als die Angesehenen. Und wenn sich zeigt, dass den Angesehenen ihr Ansehen wichtiger ist als Gott, dann begnügt sich Gott eben mit den Nicht-Angesehenen. Denn das Ansehen unter Menschen interessiert ihn ohnehin nicht.  Diese Reihe der Hilfsbedürftigen klang und klingt in jüdischen Ohren sehr vertraut, weil alle diese schon beim Propheten Jesaja genannt werden als die, deren sich Gott in der endgültigen Heilszeit erbarmt.i Wenn in unserem Gleichnis der Hausherr also Arme und Krüppel, Blinde und Lahme zum Festmahl einlädt, dann ist nicht gemeint: Die kriegen halt auch mal einen schönen Abend in ihrem verzweifelten Leben – so als Tropfen auf den heißen Stein, sondern: Sie werden durch dieses Fest heil gemacht. Sie bleiben in der heilvollen Beziehung mit ihrem unverhofften Gastgeber.

i „Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden; dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und jubeln wird die Zunge des Stummen." (Jes 35,5.6) „Und an jenem Tag werden die Tauben die Worte des Buches hören, und aus Dunkel und Finsternis hervor werden die Augen der Blinden sehen. Und die Sanftmütigen werden ihre Freude in dem HERRN mehren, und die Armen unter den Menschen werden frohlocken in dem Heiligen Israels" (Jes 29,18.19).

Was hat das mit uns zu tun?

So! So schön und interessant das alles sein mag, – es bleibt die Frage. Was hat das mit uns zu tun? Karl Hemmerlein hat die Frage mit seinen Bildern beantwortet – in ganz spezieller Hinsicht. Er malt ja das Gleichnis um den Bogen zum Altar herum. Und er malt Jesus als Gastgeber des großen Festes in Abendmahls-ähnlicher Art. Soll heißen: Jesus lädt uns, Dich und Dich und Dich immer wieder zum Abendmahl ein und er guckt eifersüchtig, wer dem zustimmt und wer absagt. Wer das Abendmahl verschmäht, wer weltliche Belange vorzieht, hat nicht kapiert, was das Abendmahl wert ist, hat nicht kapiert, dass hier die festliche Gelegenheit ist, unserem Retter und Heiland persönlich zu begegnen. Und wer das eben nicht kapiert, bleibt für immer ausgeschlossen von seinen Heilsgaben, als da wären: Vergebung und ewiges Leben. Und wer sich spontan einladen lässt – und fühlt er oder sie sich noch so unwürdig und fernstehend, – der darf Jesu Gemeinschaft im Hl. Sakrament genießen.

So deutet hier der Maler, wobei er zwischen den Spontan-Gästen aus der der Stadt und von außerhalb kaum unterscheidet. Links sieht man eine Krücke, sonst verschwimmen die zwei Gruppen. – So passt es natürlich auch stimmig als Ausmalung einer Kirche, – aber: Es ist schon eine Verengung des Gleichnisses.

Denn Jesus meint mit dem Hausherrn nicht sich selbst, sondern Gott, seinen Vater und unseren Vater, – und mit dem großen Abendmahl meint er nicht unser Sakrament, sondern überhaupt das heilvolle Zusammensein und Feiern im Reich Gottes. 

Gott lädt uns ein!

Damals wie heute herrscht ja, liebe Mitchristen, ein Gottesbild vor, wonach Gott, wenn er groß ist, auch großzügig sein muss. Drum wird er sich schon noch etwas gedulden, bis wir sein Werben, sein Rufen, seine Einladung annehmen. Sterben sollten wir vielleicht im Frieden mit ihm; aber vorher können wir ihn doch hinhalten und erstmal noch die Dinge verfolgen, die uns wichtig sind. Gottes Reich kommt! Ja, – schön und gut, aber doch nicht heute und nicht morgen bitte.

Mit diesem lahmen Bild von Gott und seinem St.-Nimmerleins-Himmelreich räumt Jesus hier auf: Gott lädt uns ein – und zwar dringlich, weil er alles schon vorbereitet hat, weil alles fertig auf uns wartet, was er uns geben will. Und das ist eigentlich nicht dieses oder jenes, sondern es ist das festliche Zusammensein, die unbeschwerte Beziehung, die erleichterte Festfreude in seiner Gegenwart. Dazu lädt er uns ein – und zwar unaufschiebbar JETZT. Der eifersüchtige Hausherr im Gleichnis soll uns aufrütteln: Es gibt ein Zu-spät. Es gilt: Jetzt oder nie! Du kannst Gott nicht zusätzlich haben, quasi „Gott on top“ – zusätzlich zu allem, womit du dein Leben selbst bereicherst. Sondern Gott verlangt, dass du deine Prioritäten umschichtest und ihn vorziehst! Und bitte: Die Dringlichkeit dieser Entscheidung für Gott wird nicht mit Unheil und Strafe verdeutlicht, sondern mit dem unaufschiebbaren Fest. Das die Ersteingeladenen dann am Schluss für immer ausgeschlossen werden, ist keine angedrohte Strafe, sondern einfach die Konsequenz ihres eigenen Tuns. Aber auch diese Konsequenz gilt.

Die sozialpädagogische Integration aller, egal wie sie sich zu Gott stellen oder gestellt haben; – das unterschiedslose Gießkannen-Heil für alle; die Scheu, irgendjemanden auszuschließen, – all diese Rettungsanker einer postmodernen Rückzugs-Religiosität sind Jesus fremd! Es bleibt ein Drinnen und Draußen, ein Dabeisein und der Ausschluss; es bleiben Heil und Unheil.

Wir können uns auch nicht beruhigen, dass wir schon die sein werden, die einst wie von den Wegen und Zäunen noch genötigt werden, hinzuzukommen. Denn anders als diese und gleich wie die Schriftgelehrten und Pharisäer- damals – wissen wir ja längst von Gott, von seinem Willen, von seiner Offenbarung, die uns ruft. Also sind wir gerufen: Entscheide dich, die Einladung anzunehmen; schließ‘ dich nicht selber aus! Was dir blüht, wird ein Fest sein, gewährt in Liebe und Gnade. Was dir blüht wird Freude und Genuss, Leichtigkeit und Glück sein, was alles du nicht verdient hast, was aber Gott gehört und er mit dir teilen will. Komm herzu, denn es ist alles bereit. Der Herr sehnt sich mit Leidenschaft, dich zu deinem Platz an der Tafel zu führen. 

Amen.  

Dr. Matthias Dreher, Pfarrer

Predigt Kantate, Einführungsgottesdienst

Einführungsgottesdienst von Pfarrerin Dr. Judith Böttcher am 02.05.2021 in der Thomaskirche in Großreuth

Symbolbild Kantate: Rotkehlchen singt auf einem Ast
Der Corona-Lockdown ließ Singvögel schöner zwitschern – haben Forscher herausgefunden. Im Gottesdienst dürfen wir nicht singen, die Vögel können wir aber den ganzen Tag hören und uns daran erfreuen.

Liebe Gemeinde,

„singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder!“ – diese uralte Aufforderung aus dem Psalm 98 ist uns heute als Wochenspruch gesagt, und er wird auch den Anhängerinnen und Anhängern Jesu damals, vor langer Zeit, in Jerusalem bekannt gewesen sein. Als Jesus auf einem Esel den Ölberg hinunterritt, wurde er neugierig und freudig begrüßt, von denen, die von ihm gehört hatten. Nachdem sie den Weg mit Tüchern und Kleidern gegen den Staub ausgelegt hatten, sangen sie auch. Wir hören den Predigttext aus dem Lukasevangelium:

Und als er schon nahe am Abhang des Ölbergs war, fing die ganze Menge der Jünger an, mit Freuden Gott zu loben mit lauter Stimme über alle Taten, die sie gesehen hatten, und sprachen: Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe! Und einige von den Pharisäern in der Menge sprachen zu ihm: Meister, weise doch deine Jünger zurecht! Er antwortete und sprach: Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.

Lukas 19, 37-40

Wenn diese schweigen, dann werden die Steine schreien.

Hören wir es, das Schreien der Steine? Wir sind hier heute zum Gottesdienst versammelt, aber statt gemeinsam als Gemeinschaft und Gemeinde zu singen am Sonntag Kantate, – das heißt schließlich „singet!“ -, müssen Sie schweigen. Wenn Jesus heute hier in Thomas einziehen würde, müssten wir uns mit 2 m Abstand in eine Reihe stellen, FFP-2-Masken vor Mund und Nase, und dürften nur entweder leise summen oder, nicht zu laut, herzlich Willkommen sagen. Hand schütteln geht natürlich auch nicht.

„Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder!“. Es gibt viele hier in der Gemeinde, die gerne Musik machen, die gerne singen, und da schließe ich mich selbst unbedingt mit ein. Der Sonntag Kantate gehört ja in vielen Gemeinden zu den Höhepunkten des kirchenmusikalischen Jahres. Viele kommen zusammen, um an einem Werk mitzuwirken. Und viele kommen, um zuzuhören. Musik geht unter die Haut. Immerhin haben wir ja heute das Glück, dass wir nicht nur die Orgel hören, sondern auch den Posaunenchor. Da spüren wir: Musik weckt Emotionen, rührt an, bringt Seiten in uns zum Schwingen, die sonst ohne Resonanz bleiben. Schon Kinder lassen sich von Musik ansprechen. Mein zweijähriger Sohn wünscht sich abends im Bett Lieder. „Der Mond scheint“- ein Lied, das ansonsten auch bekannt ist unter dem Titel „Der Mond ist aufgegangen“, mag er allabendlich am liebsten ein paar Mal hintereinander hören, mit allen vier Strophen, die ich auswendig kann.

„Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder!“ – wir alle wissen, warum wir dieser Aufforderung hier im Gottesdienst am Sonntag Kantate im Jahr 2021 nicht nachkommen, sondern lieber schweigen. Wir wollen andere Menschen schützen, sie vor der Gefahr einer Ansteckung bewahren, Solidarität zeigen, mit denen, die besonders gefährdet sind. Als Kirche müssen wir besonders vorsichtig sein. Wir dürfen unser durch das Grundrecht verbürgtes Privileg, zu öffentlicher Versammlung und Gottesdienst einladen zu dürfen, nicht leichtfertig verspielen.

Und trotzdem schmerzt es, wie so vieles schmerzt in dieser Zeit. Wir alle müssen mit den Belastungen dieser Zeit leben, die einen trifft es härter, die anderen weniger hart. Wie schon im vergangenen Jahr spüren wir den Kontrast zwischen der Natur, die gerade sprießt und grünt und blüht und in vollem Saft steht, und den Nachrichten von Krankheit, Leiden und Tod. Wenn wir uns nach Lösungen aus der Krise umblicken, türmen sich Probleme und es eröffnen sich nur mühsame, steinige Wege. Vielleicht spüren wir in uns den Schrei nach Freiheit, nach Rückkehr in den vertrauten Trott, als man selbstverständlich die Kinder zur KiTa und Schule schicken konnte, als man zur Arbeit gegangen ist, sich auf einen Kaffeeplausch mit den Kollegen in der Pause gefreut hat. Nicht wenige werden Sehnsucht verspüren nach den Zeiten, als es völlig normal war, sich mit Freunden zum Essen zu treffen, ins Museum oder Fitnessstudio zu gehen. Oder natürlich auch, sich abends zur Chorprobe zu treffen.

Angesichts dessen ist uns nicht unbedingt nach Lachen oder fröhlichem Singen zu Mute. Gerade auch dann nicht, wenn wir uns bewusst machen, dass wir immer noch auf einem höchst privilegiertem Niveau leben. Blicken wir nach Brasilien, merken wir, dass die Krise nicht alle gleich trifft. Da gibt es menschliche Tragödien und soziale Abgründe, von denen wir uns kaum eine Vorstellung machen können. Es ist dann unsere innere Stimme der Vernunft, die uns das fröhliche Liedchen verbietet.

Manchmal hilft da ein Blick in die Vergangenheit.

Wie haben Menschen vor uns Krisen gemeistert – Krisen, die die Menschen noch weit dramatischer getroffen haben? Und vor allem: Wie haben sie Auswege gefunden und wie blicken sie heute auf diese Zeiten zurück?

Vor wenigen Jahren habe ich die Kathedrale von Coventry in Mittelengland besucht. Dort findet man heute eine Ruine. Die mittelalterliche Kathedrale wurde 1940 von der  deutschen Luftwaffe in Schutt und Asche gelegt. Übriggeblieben sind der Glockenturm und Trümmer, die uns noch eine Ahnung von der alten Größe und Schönheit des Bauwerks geben. Singen kann hier niemand mehr. Stattdessen reden, ja schreien die Steine von Gewalt und Krieg und sinnloser Zerstörung.

Daneben jedoch steht ein modernes Bauwerk, die neue Kathedrale, 1962 eingeweiht. An der Stirnseite hängt ein riesiger Wandteppich, das den auferstandenen Christus zeigt, der segnend zur Versöhnung aufruft. Ebenfalls in der Kathedrale findet man das berühmte Nagelkreuz, das zu einem Symbol der Versöhnungskraft und der transnationalen Verbindung wurde. In diesem Bauwerk wird sehr viel gesungen, viel englische, ergreifende Chormusik aufgeführt, die Menschen zusammenführt zu Gottes Lob.

Für mich ist diese Doppelkathedrale ein Sinnbild dafür, wie Krisen gemeistert werden können. Man muss nicht krampfhaft in jeder Krise die Chance suchen. Trümmer dürfen stehenbleiben. Schwere, harte Steine, auch in unseren Seelen, müssen nicht wegdiskutiert und beschönigt werden. Sie dürfen schreien, und wir dürfen ihnen Raum geben. Aber daneben kann es Platz für anderes geben. Für Neues, für Lichtes und Helles. Auch für die jubelnde Chormusik.

„Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder“ – er tut Wunder auch heute. Wie können wir davon singen, wenn wir hier im Gottesdienst schweigen müssen? Wie heißt es so schön im Wochenlied: „Du meine Seele, singe, wohl auf und singe schön. Dem, welchem alle Dinge zu Dienst und Willen stehn.“ Wir dürfen hier nicht in Gemeinschaft oder im Chor singen. Aber jeder für sich darf zuhause gerne ein Lied anstimmen.

Wer sich traut, kann ohne Begleitung zuhause dieses Kirchenlied singen. Oder sie machen das Radio an mit der Musik, die Ihnen am besten gefällt und singen dann völlig ungehemmt mit. Oder Sie stellen sich unter die Dusche und trällern dort, was Ihnen gerade in den Sinn kommt.

Denn Musik kann glücklich machen. Und Musik verweist immer auf den Schöpfer, der uns mit dieser wunderbaren Gabe ausgestattet hat. Wo Musik ins Herz einzieht, kann auch Gott einziehen. Martin Luther wird das Zitat zugeschrieben: „Musik ist die beste Gottesgabe.“ Und noch weiter: „Wer singt, betet doppelt.“ So lade ich Sie ein, heute am Sonntag Kantate zuhause doppelt zu beten. Und hier zu schweigen. Wer aber schweigt, kann umso besser zuhören. Zum Beispiel auch jetzt auf die Orgelmusik und den Bläserklang.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.     

Dr. Judith Böttcher, Pfarrerin

Predigt zum 19. So. n. Trinitatis

Von Prädikant Wilfried Kohl am 18.10.2020 in der Stephanuskirche in Gebersdorf

Wer von ihnen kennt nicht Lukas Podolski, den Weltfußballer, Star des 1. FC Köln und des FC Bayern München. Er dürfte heute einer der bekanntesten Lukasse sein. Schon weniger bekannt ist Lukas der Lokomotivführer – eine Kinderbuchromanfigur des Michael Ende. 2018 kam der Film „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ in die Kinos und derzeit läuft „Jim Knopf und die wilde 13“. Auch die Augsburger Puppenkiste hat diesen Roman umgesetzt.

Noch weniger bekannt ist wahrscheinlich Lukas Cranach der Ältere – ein Zeitgenosse von Martin Luther, Maler, Grafiker und Buchdrucker, der die Reformation Luthers kräftigt mit Buchdruck und Malerei unterstützte. Lukas ist auch in Deutschland, nach Österreich, ein beliebter Jungen-Name. Der Evangelist Lukas, dessen Gedenktag wir heute begehen, ist vielleicht nur Bibelkennern und dem christlichen Glauben Nahestehenden bekannt.

„Hand auf Herz“, kannten sie die Bauernregeln zum heutigen Festtag:

„Wer an Lukas Roggen streut, es im Jahr darauf nicht bereut – und ist St. Lukas mild und warm, folgt ein Winter, dass Gott erbarm.“

So wenig bekannt, wie diese Ernte- und Wetterregeln sind, so wenig bekannt ist auch über die Evangelisten Lukas selbst.

Neben manchen weiß man jedoch, der Autor des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte, wollte 60 oder 80 nach unserer Zeitrechnung schriftlich festhalten, was Zeitzeugen von Jesus von Nazareth mit ihrem Glauben bezeugten und was Lukas bekannt war von der Urgemeinde und der Ausbreitung des Glaubens an Jesu den Auferstanden bis an die Grenzen der damaligen Welt. Lukas wollte ein Werk schaffen, was alle Zeiten überdauert und den Glauben an den einzigartigen Gott der Juden und seinem Sohn Jesus in die Herzen der Menschen bringt.

Auch der Autor unseres heutigen Predigttextes, Deuterojesaja oder 2. Jesaja genannt, wollte mit diesen für heute ausgesuchten Zeilen Gott als unseren Heiland bezeugen. Hören wir aus dem Buch des Propheten Jesaja im 43 Kapitel die Verse 8-13.

Es soll hervortreten das blinde Volk, das doch Augen hat, und die Tauben, die doch Ohren haben! Alle Völker sind zusammengekommen und die Nationen versammeln sich. Wer ist unter ihnen, der dies verkündigen kann und uns hören lasse, was früher geweissagt wurde? Sie sollen ihre Zeugen aufstellen, dass sie recht bekommen, so wird man´s hören und sagen: Es ist die Wahrheit.

Ihr seid meine Zeugen, spricht der Herr, und mein Knecht, den ich erwählt habe, damit ihr wisst und mir glaubt und erkennt, dass ich´s bin. Vor mir ist kein Gott gemacht, so wird auch nach mir keiner sein.

Ich bin der Herr, und außer mir ist kein Heiland. Ich hab´s verkündigt und habe auch geholfen und hab´s euch hören lassen; und es war kein fremder Gott unter euch. Ihr seid meine Zeugen, spricht der Herr, und ich bin Gott. Auch künftig bin ich derselbe, und niemand ist da, der aus meiner Hand erretten kann. Ich wirke; wer will´s wenden?

Jesaja 43, 8-13

Liebe Gemeinde,

„gibt es den da Oben überhaupt?!“Diese Frage stellen sich Zweifler und auch Gläubige seit Jahrtausenden und auch zu Jesajas Zeit. Insbesondere in einer solchen Ausnahmezeit, wie der babylonischen Gefangenheit, 597 -539 vor Christus. Das Volk Juda durchlebte in dieser Zeit Entbehrungen und Unterdrückung. Religionswissenschaftler machen in dieser Zeit der Bedrängnis durch die Babylonier und vorher durch die Assyrer die Entstehung des Monotheismus fest. Monotheismus heißt, ich glaube ausschließlich an einen Gott.

Jesaja will seinem blinden und tauben Volk mit Gottes Versprechen und Zusage, dass es heimkehren kann, beweisen, dass es ihren Gott Jahwe gibt. Die Götter der anderen Völker dagegen sind nur Hirngespinste, Gestirnen Abbilder und nutzloses Holz, das ohne Sinn angebetet wird.

Gott selbst tritt mit Jesajas Worten, den kosmologischen Beweis an, dass er ewig ist, indem er sagt: „Vor mir ist kein Gott gemacht, so wird auch nach mir keiner sein.“ Sie wissen, schon des Längeren stellen unsere Physiker die Frage, „Was war vor dem sogenannten Urknall?“ Eine Antwort darauf wurde bis dato nicht gefunden.

Jesaja erbringt in unserem Text einen weiteren Beweis für Gottes Einzigartigkeit. Unser Gott Jahwe hat sich nicht nur einem einzelnen Menschen offenbart, sondern vielen. Angefangen von Noah, Abraham, Jakob, Saul und David, Elia und vielen anderen Propheten. Der Gott Israels und der Vater Jesu ist kein verborgener Gott und damit einzigartig in der Religionsgeschichte. Ihr seid meine Zeugen, spricht Gott.

Und Jesajas und damit Gottes dritter Beweis ist Gottes Wirken in unserer Welt. Gott selbst sagt „ich bin der Herr und außer mir ist kein Heiland.“

Wir Christen sind aufgerufen, Gottes Wirken in der Welt und auch in unserer eigenen Lebenswelt zu bezeugen. Auch ich kann schon mehrfach den 3. Vers des Liedes „Lobe den Herrn, meine Seele“ singen – „Der mich vom Tode errettet hat“ – als täglicher Radfahrer war ich dem Tod schon mehrfach nahe.

Der Evangelist Lukas, dem wir heute gedenken, bezeugt in der Tradition des Propheten Jesaja stehend, Gottes weiteres Wirken mit dem Evangelium und der Apostelgeschichte. Jesus von Nazareth, Gottes Sohn, steht für Lukas, obwohl er ihn persönlich nie gekannt hat, für das lebenswichtigste weltgeschichtliche Ereignis und die Zeitenwende Gottes.

Die Botschaft Jesu an Güte zu glauben, statt an Gewalt, an Gnade statt an Gerechtigkeit, an Vergebung statt an Vergeltung und an Gottes unsagbare Liebe zu uns Menschen, statt an Angst und Hass. Diese geradezu menschliche und lebensschützende Botschaft Jesu ist auch nach mehr als 2000 Jahren nach Jesu Geburt nicht mal in Ansätzen von uns Menschen umgesetzt. Für Lukas jedenfalls war Jesus, der das Undenkbare nicht nur dachte und verkündigte, sondern auch noch in die Tat umsetzte, indem er Menschen heilte und von Dämonen befreite, der von Gott gesandte Heiland und Messias.

Lukas sah in Jesu freimachender Botschaft auch noch mehr soziale Konsequenzen, als die anderen Evangelisten. Hungernde werden von Gott beschenkt und Reiche gehen leer aus; „verkauft was ihr habt und gebt Almosen,….denn wo euer Schatz ist, wird auch euer Herz sein, lesen wir in Lk.12, 33ff. Und im großen Abendmahl Gottes nehmen am Schluss bei Lukas die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen teil. Nur im Lukasevangelium findet sich die Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus.

Gleich zu Beginn von Jesus Wirken in Galiläa, lässt Lukas Jesus mit den Worten Jesajas sein Programm, seine Mission in seiner Heimatstadt verkündigen:

Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat und gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen und den Blinden, dass sie sehen sollen und die Zerschlagenen zu entlassen in die Freiheit und zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.

Lukas 4,18-19

Daher wird Lukas, der eigene Akzente in Jesu Botschaft sah, gerne auch als Sozialist unter den Evangelisten und nicht nur als Befreiungstheologe gesehen. Lukas wollte in seinem Evangelium von Jesus Christus und in der Apostelgeschichte „Heilsgeschichte“ Gottes schreiben, die uns Menschen von Sorgen und Ängsten befreit. Vertrauen zu Gott, dass will er uns mit seinen Glaubensgeschichten vermitteln. So lässt Lukas schon zu Beginn mit der Geburt unseres Heilands durch den Engel Gottes verkünden: „Fürchtet euch nicht!“ Es geht dem Lukas auch in der Apostelgeschichte nicht um eine alleinig historische Darstellung – es geht vielmehr tatsächlich um Predigten die Lukas schrieb.

Eben ratlos bin ich jedoch, wie soll das Evangelium vom Reich Gottes unter uns Wirklichkeit werden? Kaum realistisch erscheint Jesu Botschaft in unserer Welt: Gewaltverzicht um des Friedens willens, freiwillige Armut um Gerechtigkeit zu schaffen, Helfen statt Strafen, Verstehen statt Verurteilen und Aufrichten statt Hinrichten. Wie soll uns das alltäglich als Menschen gelingen?

Ich höre sie schon die religiösen Strategen, die Disziplin, sich am Riemen reißen und Verzicht einfordern. Doch äußerer Zwang und Fremdbestimmung führt zu nichts.

Allein Freiwilligkeit, überzeugende Liebe zu uns selbst, schafft auch Vertrauen zu anderen Menschen und zu Gott. Letztlich ist es wohl Gnade oder die Zuwendung Gottes, die uns den Mut gibt an seinem Reich mitzubauen.

Oder viel besser ausgedrückt und von Konfirmanden oft gewählt als Konfirmationsspruch ist die unserem heutigen Predigttext in Jesaja 43 vorangestellte Zusage Gottes: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein und wenn du durch Ströme gehst, sollen sie dich nicht ersäufen. Wenn du ins Feuer gehst, wirst du nicht brennen, und die Flamme wird dich nicht versengen. Denn ich bin der Herr, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland.“

Und zum Schluss die Frage an jeden von ihnen: „Gibt es den da oben?“

Ich weiß, dass mein Heiland lebt und ich verkündige gerne seine gute Botschaft. Amen

Prädikant Wilfried Kohl