Von Pfarrer Dr. Matthias Dreher am 27.06.2021 (4. Sonntag nach Trinitatis) in der Stephanuskirche in Gebersdorf
Predigttext
Zu der Zeit kam Johannes der Täufer und predigte in der Wüste von Judäa und sprach: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen! Denn dieser ist’s, von dem der Prophet Jesaja gesprochen und gesagt hat:
»Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg und macht eben seine Steige!«
(Jes 40,3)Er aber, Johannes, hatte ein Gewand aus Kamelhaaren an und einen ledernen Gürtel um seine Lenden; seine Speise aber waren Heuschrecken und wilder Honig. Da ging zu ihm hinaus Jerusalem und ganz Judäa und das ganze Land am Jordan und ließen sich taufen von ihm im Jordan und bekannten ihre Sünden.
Matthäus 3,1-6
Liebe Kirchweih-Gemeinde, liebe Mitchristen,
ich habe Ihnen was zu essen mitgebracht, den Johannis-Snack (zur Kirchweih). – Die Heuschrecken hier drin krabbeln zwar noch ganz schön, aber wenn wir’s richtig anstellen, nicht mehr lange. Ja! Johannes der Täufer mochte Heuschrecken. Zum Fressen hatte er sie gern, berichten die Evangelien. Warum mochte er ausgerechnet diese Tierchen so? Gut, sie waren damals wie heute weit verbreitet, sie sind billig und sie haben viele Nährstoffe. Aber so ein tief denkender Mann wie Johannes, der hat doch noch andere Gründe!
Ich erinnere mich, wie gern ich als Kind auf einer Sommerwiese Grashüpfer, also unsere kleine Ausgabe davon, gejagt habe. Vielleicht haben Sie sowas auch gemacht. In der hohlen Hand wollte ich sie fangen und sprang ihnen nach, zick zack über die Wiese. Und dann hatte ich endlich einen. Vorsichtig öffnete ich die Hände – und schwupp sprang er mir wieder davon. WENN – , diese zwei übergroßen Sprungbeine noch intakt waren. Die sind nämlich empfindlich. Manchmal habe ich sie beim Fangen ungewollt verletzt und dann zog der so ein Bein schlaff nach – oder es war gar ganz abgefallen. Das tat mir zwar leid, aber interessant fand ich’s doch, wie sich der Kerl jetzt bewegt: Das gesunde Bein hupft schon noch, aber viel weniger weit und schräg zur Seite. So einen Kandidaten hatte ich dann schnell wieder.
Die Sache Gottes
Warum also mochte Johannes der Täufer diesen Wüsten-Snack Heuschrecke so gern? Ich behaupte: Weil man da sieht: Nur mit zwei gleichstarken Sprungbeinen kommt die Sache Gottes richtig voran. Nur mit zwei gleichstarken Sprungbeinen sind wir seine getauften Jünger. Das eine Bein heißt Glaube, das andere heißt Tat. Wenn die nicht beide funktionieren, hinkt das ganze Christentum. „Tut Buße!“, sagt er, oder „kehrt um!“, wie man auch übersetzen könnte. Damit ist der Glaube gemeint. „Bereitet dem Herrn den Weg!“ Das ist die Tat. Das Tun von Gottes Willen. – Wenn immer nur geschafft und gewerkelt wird, werkelt man bald ziellos vor sich hin. Die Richtung geht verloren – oder man sucht sich eine menschliche statt der göttlichen Richtung. – Und wer nur immer still im Kämmerlein betet, der kann zwar sagen „Dein Wille geschehe“. Aber umgesetzt wird Gottes Wille so nicht. Es braucht eben beides.
Nun frage ich: Wie steht es da mit unserer Kirche?
Springen da Glaube und Tun im Gleichtakt? Mein Eindruck ist ein anderer. Nämlich einmal der, dass in Glaubensfragen fast alles vertreten und verteidigt werden kann. Es muss nur noch ganz oberflächlich nach Gott oder Spiritualität klingen. Vor allem muss sich gut anfühlen, was noch als Glaube auf dem Meinungsmarkt angeboten wird. Da ist von Liebe, Harmonie, Geborgenheit oder sogar Entspannung die Rede – als ginge es um einen psychosomatischen Wellness-Workshop. Dass der Begründer unseres Glaubens ans Kreuz musste für seinen Glauben, wird ungern zugestanden. Wenn, dann war es eine Solidaritätsaktion mit den anderen Verfolgten dieser Welt. Dass es bei der Taufe des Johannes – wie beim Kreuz Jesu – wie bei der christlichen Taufe heute – um Sündenvergebung geht, wird nur noch ungern zugestanden. Das verschreckt nur die Leute, heißt es. Diese fortschreitende Lähmung verdichtet sich z.B. in den sogenannt „Notwendigen Abschieden“, die ein Theologe am Starnberger See den christlichen Glaubensinhalten gibt, wenn er etwa Erbsünde, die Abendmahlslehre oder den Opfertod am Kreuz ebenso im See absaufen lassen will wie einst den König Ludwig. Dagegen wird das andere Bein, das Bein der Tat, mit muskelstärkenden Anabolika geradezu aufgepumpt. Während das schwächliche Glaubensbein richtungslos nachschlurft, weiß das Tat-Bein der Kirche ganz genau, wo es hinhupfen will. Ja, es ist so stark, dass ständig davon die Rede ist, das Mittelmeer „liege vor unserer Haustür“. Andere fliegen nach Sizilien oder fahren drei Tage Bus. Aber die Kirchen-Heuschrecke macht nur einen Hupferer und fährt mit eigenem Schiff zur See, um ihr Christsein zu beweisen. Aber hier höre ich auf, sonst muss ich nochmal sechs Monate weg …
Wir können ganz andere Themen nehmen: Klimaschutz, Genderfrage, Bildungs-„Gerechtigkeit“ – in all solchen Fragen tut sich die evangelische Kirche mit großer öffentlicher Eindeutigkeit hervor und weist eine bestimmte gesellschaftspolitische Position als „die christliche“ aus. Und dahinein werden dann Geld, Personal und eben Tat und Tatkraft hineingesteckt. –
Wie benannte noch Johannes der Täufer das Sprungbein der Tat? „Bereitet dem Herrn den Weg!“, sagte er. Aber vom „Herrn“ ist bei vielen dieser Aktionen nurmehr wenig bis gar nicht die Rede. Allenfalls spricht man noch von „Gott“, weil da ein paar mehr Menschen beistimmen können. Aber wo geht es bitteschön darum, etwas zu tun, damit der Herr Jesus Christus unter uns Platz greifen kann? Unsere Landeskirche setzt derzeit 150 Mio. Euro daran, den Betonblock Bayreuther Str. 1 umzubauen und baut gleichzeitig per Landesstellenplan überall Pfarrstellen ab. Mit beidem ist vorweisbar etwas getan. Ja. Aber ob es dem Herrn den Weg bereitet, würde ich schwer anzweifeln. Kurz: Meine Diagnose ist. Das eine Bein lahmt, das andere kann vor Kraft kaum Laufen. Und wenn das Tier jetzt einen Hupfer macht, geht das nicht in die gewollte Richtung, sondern eben schräg zur Seite raus.
Glaube und Tat koordinieren
Jetzt könnte man sagen: Dann machen wir jetzt eben eine Glaubens-Initiative; sowas wie Glaubenskurse, volksmissionarische Projekte, Erwachsenenbildung etc. Aber erstens widerstrebte das schon wieder dem Mainstream, wonach bitte jeder bei seinem Eigenen bleiben und niemand einen anderen von seinem Eigenen überzeugen soll. Überzeugung gilt heute als kolonialistisch! Verrückt, ist aber so. Zum anderen würde ein irgendwie notdürftig aufgepumptes Glaubens-Bein ja noch lange nicht im Gleichtakt mit dem Tat-Bein springen. Das ist aber gerade der – im wahrsten Sinne – „springende“ Punkt an der Heuschrecke: Kopf und Leib setzen die beiden Beine parallel abgestimmt zusammen ein. Die beiden Sprungbeine sind koordiniert: Das Tat-Bein hupft für den Glauben und der Glaube glaubt für die Tat.
Das will der Täufer „internalisieren“ und „multiplizieren“ – und dafür futtert er Heuschrecken. In der wissenschaftlichen Literatur ist diese These noch nicht allzu verbreitet. Aber – würd‘ ich sagen: Wir arbeiten daran [icon name=“smile“ prefix=“far“].
Wie?
Naja wie es der Täufer meint: Du selbst, Du als einzelner Mensch musst beginnen. Natürlich kann man die Kirche kritisieren. Kardinal Marx hat sogar gesagt, seine katholische sei „am Nullpunkt angekommen“. Schlimm. Aber bessern wird sich mit Strukturanalysen nur dann etwas, wenn der und die Einzelne anfängt. Also: Was will Gott von mir? – Tu ich das? – Was steht in den 10 Geboten? Tu ich das? – Wofür ist Jesus eingetreten? Tu ich das? – Ist Gott nur mein Strohhalm in der Not oder handle ich auch in Lust und Freude, wie es Gott gefällt? – Handle ich, um weniger glauben zu müssen? Oder glaube ich, um weniger handeln zu müssen? – Und wenn ich – einen Scherbenhaufen angerichtet habe: Worauf verlasse ich mich dann? Nur auf meine Kraft, um alles wieder gerade zu biegen? Oder lasse ich mir beide Sprungbeine abbrechen und resigniere? Oder: weiß ich eben, dass ich getauft bin zur Vergebung meiner Sünden? Erinnere ich mich rechtzeitig, dass ich ja das Glaubensbein habe und voll Vertrauen an‘s Kreuz Jesu hüpfen könnte? Zugegeben ein groteskes, schon lustiges Bild. Aber das wäre wahrhaft christlich: Mit beiden Beinen ans Kreuz hüpfen! Und immer nur von dort aus – mitten hinein in die Welt.
Also das ist die Lehre Johannes des Täufers an uns: Kehren wir um zum Prinzip Heuschrecke! So gierig wie eine Heuschrecke frisst, so gierig sollten wir das Prinzip Heuschrecke fressen, also Glauben plus Tun im Doppelsprung. Und was hilft da besser, als selbst Heuschrecken zu essen. Rezept! – ich hab’s ausprobiert: Öl erhitzen, Heuschrecke sanft hineingleiten oder –hupfen lassen. Sie hupft dann noch einmal, dann ist Ruhe. Schön knusprig braun braten. Dann herausnehmen und mit einer gesalzenen Curry-Mischung bestreuen. Nochmal kurz durchs Öl ziehen und in gerösteten Sesamkörnern wälzen. Die Beine natürlich mitessen. – Die knuschpern so schön.
Amen.
Dr. Matthias Dreher, Pfarrer