Wer hat die Religion erfunden?

Symbolbild: Bibel

Religionswissenschaftler sagen: Die Weltreligionen gehen auf Religionsgründer zurück, auf Buddha, Jesus, Mohammed. Gläubige sehen das etwas anders. Nicht erst Buddha, Jesus und Mohammed hätten ihre Botschaften erdacht. Was sie verkündigten, sei vielmehr ewig gültig, seit Anbeginn der Welt. Buddhisten sagen: Buddha habe das Mitgefühl mit anderen leidenden Lebewesen entdeckt, nicht erfunden. Christen sagen: Jesus habe mit seiner Liebe und Opferbereitschaft deutlich gemacht, wozu der Mensch erschaffen sei – weshalb die ersten Christen Jesus „Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ nannten und in ihm das „Mensch gewordene Wort Gottes“ erkannten, das schon an der Schöpfung mitwirkte. Muslime sagen: Den Koran, der dem Propheten Mohammed offenbart worden sei, habe es schon von Anbeginn der Welt gegeben.

Heute mag das zeitlos Gültige der Weltreligionen, die Vision von persönlicher Reife und friedlichem und gerechtem Miteinander, schwer vermittelbar sein. Daran sind keinesfalls die Religionskritiker und Spötter schuld. Es sind ihre selbst ernannten Wächter, die Religion wie etwas schlecht Ausgedachtes erscheinen lassen: fanatische Mönche, die gegen muslimische Rohingyas hetzen; bärtige Männer, die „Allahu akbar“ schreien und unschuldige Menschen niedermachen; biedere Evangelikale, die einen egomanen Ex-Präsidenten verehren, weil er Fremde ausgegrenzt und konservative Richter ernannt hat. Sie alle entstellen bis zur Unkenntlichkeit, was sie angeblich beschützen wollen.

Ihnen gelten die Worte Nathans des Weisen. In seinem Theaterstück lässt Gotthold Ephraim Lessing seine jüdische Hauptfigur eine Parabel über den Wahrheitsanspruch der Religionen erzählen. Nathan erzählt von einem Ring, der vor Gott und den Menschen angenehm macht. Dieser Ring kommt in den Besitz eines Vaters von drei Söhnen, die er gleich gern hat. Um den Ring an alle vererben zu können, muss er zwei identische Nachbildungen anfertigen. Nun streiten die Söhne, wer den wahren Ring hat. Schließlich rät ein weiser Richter: Wenn der Ring die Kraft habe, vor Gott und den Menschen angenehm zu machen, dann möge doch ein jeder danach trachten, die Kraft des Rings an den Tag zu legen.

Niemand hat die Religion erfunden. Sie war da, seitdem es Menschen gibt. Und wenn die Weltreligionen wirklich Wissen in sich tragen, das überzeitlich ist und vor Gott und den Menschen angenehm macht – dann wäre es schön, wenn sich Menschen aller Religionen zusammentäten, um ihre Schätze gemeinsam zu heben.

Burkhard Weitz
Aus: „chrismon“, das Monatsmagazin der evangelischen Kirche. www.chrismon.de