Platz für Hoffnung

Symbolbild: Bibel

„Kann ich trotz der ganzen Katastrophen glauben?“ Die Antwort auf unsere Frage finden wir am Frankfurter Flughafen. Es gibt dort eine Art Haftanstalt, wohin unter anderem Menschen gebracht werden, die hier ohne gültige Papiere landen. In einem Schnellverfahren wird entschieden, ob der Asylantrag Chancen hat und der Mensch nach Deutschland einreisen darf. In vielen Fällen ist die Antwort: nein. So ging es auch Frau Dube, die eigentlich anders heißt. Ihre Geschichte ist wahr, aber anonymisiert.

Ein paar Tage nach der Entscheidung sah ein Mitarbeiter Frau Dube. Sie lächelte. In so einer Situation lächeln zu können, das sei bewundernswert. Sie habe wirklich Kraft. Sie sagte in Anlehnung an ein Jesuswort: „Gott kümmert sich um uns. Wenn er sich um die Vögel am Himmel und die Blumen auf der Erde kümmern kann, warum dann nicht auch um uns.“ Frau Dube konnte trotz der Katastrophen in ihrem Leben glauben. Glauben entsteht nicht, weil es einem Menschen so gut geht oder weil die Welt so paradiesisch wäre. Im Gegenteil wirkt Glauben oft dann besonders stark, wenn alles schlecht und bedrohlich ist. Glauben ist trotzig.

Auch die Jüngerinnen und Jünger Jesu waren trotzig. Jesu Tod am Kreuz hat sie nicht endgültig abgeschreckt. Sie haben trotzdem geglaubt. Gut, er ist ihnen als Auferstandener erschienen. Aber wie lesen wir diese Geschichten heute? Wir Menschen haben die Fähigkeit, trotz aller Katastrophen zu glauben. Die Jünger und Jüngerinnen waren erst einmal in sich zusammengebrochen, doch sie gaben nicht auf und ließen den Tod nicht das Ende sein. Jesus war tot und ist es bis heute. Die Christen nennen ihn den Auferstandenen, trotzdem.

Warum manche glauben und andere nicht, ist ein Geheimnis. Traditionell finden Menschen durch Verkündigung (Predigt) und Sakramente (Taufe und Abendmahl) zum Glauben. Aber auch ohne die Kirche können wir Menschen daran arbeiten, dass andere glauben. Es ist wie bei der Erziehung von Kindern: Vorleben führt zu Nachahmung, Geborgenheit führt zu Zutrauen in die Welt.

Dass wir Menschen so etwas wie Glauben empfinden können, ist ein evolutionärer Vorteil. Wie sonst sollten wir uns motivieren, immer wieder aufzustehen? Katastrophen sind allgegenwärtig. Auch ein glückliches Leben endet in der Katastrophe des Todes, führt dazu, dass wir irgendwann nicht mehr aufstehen können. Es ist nicht nur möglich, trotz Katastrophen zu glauben, sondern auch nötig. Ansonsten lassen wir der Katastrophe das letzte Wort.

Konstantin Sacher
Aus: „chrismon“, das Monatsmagazin der evangelischen Kirche. www.chrismon.de

Wie kann Glaube trösten?

Symbolbild: Bibel

Wenn man Schlimmes erlebt hat, dauert es, bis man wieder auf die Füße kommt. Was man da nicht braucht, sind fromme Sprüche und falsche Versprechen. Not lehrt nicht automatisch beten, sondern oft fluchen oder verstummen. Wenn es schier unerträglich geworden ist, wird nicht selten nach einem Tröster gerufen, der mit einem mächtigen Wort die Angst vertreibt und Hoffnung schenkt. Doch aus guten Gründen hat sich die christliche Seelsorge vor Jahrzehnten von solch einem autoritären Verständnis verabschiedet.

Den Theologen ist klar geworden: Trösten ist weniger eine Sache des Zusprechens als des Zuhörens, des Dabeiseins und Dabeibleibens. Trost zu finden kann bedeuten, dass man das Unvermeidliche annimmt. In der Not geraten viele Menschen ins Straucheln und verlieren ihre Kraft und Initiative. Trösten kann man jemanden in solch einer Lage nur, wenn man sich ihm ohne Vorbehalte zuwendet, seine Not wahrnimmt, sie ernst nimmt, sie auch klar und realistisch anschaut. Trost zu finden muss nicht heißen, sofort wieder festen Halt zu spüren. Es kann auch bedeuten, dass man das Unvermeidliche annimmt und sich ihm ergibt.

„Ergebung“ ist ein wichtiges Wort in der christlichen Tradition. Wenn ich mich „ergebe“, bin ich in meiner Not angekommen, erkenne ich meine Lage, halte ich mich nicht für stärker, als ich bin, werde ich bereit, nach einem neuen Weg zu suchen. Doch diesen zu finden, dauert seine Zeit. Deshalb gehört neben der Ergebung auch die Geduld zu einem echten Trost. Man muss warten und ausharren, manchmal sehr lange. Das macht das Trösten in einer Zeit, die auf Schnelligkeit und Effizienz ausgerichtet ist, so schwer. Wer getröstet ist, hat sich selbst wiedergefunden. Dafür muss man nicht gläubig sein. Aber die Sprache der Bibel und die christliche Bilderwelt stellen Worte bereit, die die eigene Angst und die eigenen Schmerzen fassbar machen, sie mitteilbar machen.

Und wer Worte für die eigene Not hat, kann sie mit anderen teilen. Biblische Metaphern sind poetisch und damit offen. Es sind kollektive Bilder, ein geteilter Schatz an Erfahrungen und Erzählungen. Ihre Kraft entfalten sie am ehesten, wenn man sie miteinander teilt, im Gespräch mit der Pfarrerin oder dem Pfarrer, im Gottesdienst, manchmal auch im privaten Gespräch. Und es kann sich etwas entwickeln, an dessen Ende keiner recht zu sagen weiß, wer hier wem geholfen hat. Das nennt man dann Seelsorge.

Johann Hinrich Claussen
Aus: „chrismon“, das Monatsmagazin der evangelischen Kirche. www.chrismon.de

Wozu sind Predigten da?

Symbolbild: Bibel

Es ginge ja auch ohne – So selbstverständlich ist es gar nicht, dass in der Mitte eines Gottesdienstes eine Person in einem Talar auf eine Kanzel steigt und vor der Gemeinde eine Rede hält. Andere Religionen wie Hinduismus und Buddhismus kommen ohne so etwas aus und stellen Ritus und Meditation in den Mittelpunkt. Auch bei den orthodoxen Kirchen des Ostens und Südostens geht es im Gottesdienst vor allem um die Liturgie. Es ist eine Eigentümlichkeit vor allem der Kirchen, die aus den Reformationen des 16. Jahrhunderts hervorgegangen sind, dass sie die Predigt ins Zentrum rücken. Martin Luther hatte erklärt, dass der Glaube aus dem Hören komme.

Damit ein Mensch zum christlichen Glauben findet, muss er die Botschaft der Bibel kennenlernen. Da sich ihr Sinn nicht automatisch erschließt, muss sie ausgelegt werden. Dabei geht es um mehr als bloße Bibelkunde. Die Botschaft eines biblischen Textes soll die Hörenden hier und jetzt erreichen, ein Licht auf ihr persönliches Leben werfen. Das kann kein Unterricht, kein Buch leisten.

Dafür muss man einem anderen Menschen zuhören, der den Sinn eines biblischen Textes mit Blick auf das, was Menschen heute umtreibt, verständlich macht – und dies in einer ansprechenden Sprache, als Teil eines gottesdienstlichen Ganzen mit Musik, Gebet und Stille. Das ist die Aufgabe und die Chance einer Predigt, dass sie einem den Glauben so nahebringt, dass man ihn sich aneignen kann. Doch ist es gar nicht einfach zu sagen, was eine gute Predigt ausmacht. Leichter ist es aufzuzählen, wie man es nicht machen sollte. Indem man zum Beispiel abstrakte theologische Lehren verbreitet oder moralisierende Leitartikel über die Weltpolitik vorliest.

Viel hängt dabei von dem Charakter und der Lebensgeschichte derer ab, die auf der Kanzel stehen. Das führt zu den zwei Hauptanliegen der auf­geklärten Predigt: Lebensweisheit und Empfindsamkeit. Was eine gute Predigt ist, hängt also wesentlich davon ab, was die Predigenden für das Dringlichste halten und was die Predigt­hörenden zu einer bestimmten Zeit vor allem brauchen: Trost oder Zuspruch, Ermutigung oder Empörung oder heilsames Erschrecken.

Angesichts der unüberschaubaren Vielfalt religiösen Redens ist es besonders sinnvoll, sich an die Urszene des christlichen Predigens und Predigthörens zu erinnern. Als nämlich die Hirten die Botschaft der Engel gehört und das neugeborene Kind in der Krippe gesehen hatten, „breiteten sie das Wort aus“. Und alle, die ihre ­Predigten hörten, wunderten sich.

Johann Hinrich Claussen
Aus: „chrismon“, das Monatsmagazin der evangelischen Kirche. www.chrismon.de

Gott wendet sich allen zu

Symbolbild: Bibel

Für viele Menschen ist eine traditionelle kirchliche Bestattung der würdevollste Rahmen für den Abschied von einem geliebten Menschen. Doch weil die Zahl der Kirchenaustritte seit Jahren auf hohem Niveau liegt, steigt auch die Zahl derer, die zwar kirchlich geprägt, aber eben konfessionslos sind – und deren Angehörige gleichwohl religiösen Trost erhoffen.

Eine kirchliche Bestattung ist aber nicht einfach eine Wahlleistung, die Angehörige beim Bestatter nach Gutdünken „zubuchen“ können. Es geht bei einer Bestattung vor allem um den Trost für die Angehörigen. Deshalb ist es letztlich in die Verantwortung der Pfarrerin, des Pfarrers gestellt, ihrer Bitte um eine kirchliche Bestattung zu folgen.

Den Ausschlag dafür könnte geben, dass der aus der Kirche Ausgetretene doch noch eine religiöse Bindung hatte. Ein anderer Grund könnten besonders dramatische Todes­umstände sein, die die Angehörigen tief in Trauer stürzen – etwa eine Gewalttat, ein böser Unfall, ein quälendes Sterben.

Wenn sich Angehörige Trost im christlichen Glauben erhoffen, dann muss eine Pfarrerin, ein Pfarrer schon massive Gründe haben, sich dieser Bitte zu verweigern. Es gehört zu ihrer wichtigsten Aufgabe, an das biblische Versprechen zu erinnern, dass sich Gott den Menschen ohne Ansehen ihrer Person und ihrer religiösen Verdienste zuwendet. Seelsorge an Trauernden und ein würdevoller Abschied vom Toten sind kein strenges Exklusivrecht für Kirchenmitglieder, sondern sollen auch anderen Trauernden offenstehen.

So heißt es zum Beispiel in den „Grund­linien kirchlichen Handelns“ der evangelischen Nordkirche von 2020: „Ein Gottesdienst anlässlich einer Bestattung kann auf Wunsch trauernder Gemeindeglieder als Ausdruck der Seelsorge und Anteilnahme stattfinden – auch dann, wenn die verstorbene Person selbst nicht Mitglied einer Kirche war.“ Aber auch in einem solchen Fall wird die Rede sein von der christlichen Auferstehungshoffnung.

Und was kostet eine Trauerfeier? Auch wenn Pfarrer oder Kirchengemeinde es weder einfordern noch erwarten: Für die kirchliche Bestattung eines Ausgetretenen, der sich Jahre, wenn nicht Jahrzehnte die Kirchensteuer sparte, ist eine finanzielle Anerkennung nicht falsch. Solidarität und Gemeinschaft sind keine Einbahnstraße.
Denn hinter jedem Pfarrer, jeder Pfarrerin stehen eine Gemeinde und zahlreiche Sozialeinrichtungen, eine umfassende Infrastruktur, die Gemeinschaft der Kirchensteuerzahler. Sie alle verdienen Respekt und Anerkennung.


Eduard Kopp
Aus: „chrismon“, das Monatsmagazin der evangelischen Kirche. www.chrismon.de

Soll man sich schuldig fühlen?

Symbolbild: Bibel


Schuldige findet man schnell – für alles Mögliche: Die Religionen und ihre Vertreter sollen schuld sein an Krieg und Gewalt, Zuwanderer an der Ausländerfeindlichkeit und Juden am Antisemitismus. Schon seit alters erfinden Menschen für jede nur erdenkliche Störung die absurdesten Schuldzuweisungen. An der Infektion ist der Kranke schuld, weil er sich angeblich zu leichtsinnig verhielt. Oder die Chinesen oder die Hexen. Das 3. Buch Mose, Kapitel 14, fordert sogar, Schuld zu tilgen, wenn ein Haus von Schimmel befallen ist – wessen Schuld auch immer. Eine biblische Vorschrift aus einer uralten fremden Welt. Die Bibel dokumentiert aber auch, wie die Menschheit die Schuldfrage einzuhegen versuchte: Strafe soll nur den treffen, der sich versündigt hat, fordert das 5. Buch Mose 24,16. Grundsätze wie dieser bestimmen bis heute das Recht.

Der erste Schritt zum Eingeständnis eigener Schuld ist die Bereitschaft, von sich auf andere zu schließen. „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu“, sagt die goldene Regel. Die Eltern oder die eigenen Kinder im Stich lassen, andere verletzen, betrügen, beklauen, belügen: Bei allen anderen ist der Verstoß gegen eines der Zehn Gebote schnell erkannt. Besser, man ginge auch mit sich selbst so streng ins Gericht.

„Schuld“ bezeichnet nicht nur, was man anderen angetan hat. Man kann anderen auch etwas „schuldig“ bleiben: Geld, Dank, Respekt, eine Erklärung, den gebotenen Abstand während einer Pandemie – und dies aus der Perspektive dessen betrachten, dem man es schuldig bleibt. Auch Gott können Menschen etwas schuldig bleiben: die geforderte Feindesliebe, den Verzicht auf Vergeltung, überhaupt den Verzicht darauf, andere zu richten.

Den meisten Opfern tut es gut, wenn Täter sagen: „Ich bin schuld. Ich bitte um Entschuldigung.“ Daher fordert die kirchliche Bußlehre von Sündern echte Reue. Täter, die ihre Opfer um Entschuldigung bitten, machen sich von ihnen abhängig. Ihre Opfer können frei entscheiden, ob sie die Schuld vergeben. Wer gelernt hat, diese Abhängigkeit auszuhalten, erträgt sich auch eher selbst, so wie er ist. Eher als jene, die ihr Unrecht lieber verdrängen.

Mit maßlosem Konsum macht sich die wohlhabendere Hälfte der Menschheit auch schuldig, nämlich an jenen, denen sie die Ressourcen zum Leben entzieht. Eine bittere Wahrheit. Es fällt leichter, diese Wahrheit zu ertragen, um dann nach Auswegen zu suchen, wenn man sich damit jemandem anvertrauen kann. Wenn man einen Adressaten weiß, den man um Vergebung bitten kann – Gott.

Burkhard Weitz
Aus: „chrismon“, das Monatsmagazin der evangelischen Kirche. www.chrismon.de

Ist Gott zu allen Zeiten gleich?

Symbolbild: Bibel


Im Jahr 1938 hatte die evangelische Kirche eine besondere Losung: „Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit“ – ein Bibelvers aus dem Brief an die Hebräer (13,8). Der Vers sollte in dieser historischen Lage den Glauben stärken und die unverrückbare Geltung der christlichen Botschaft betonen: das Vertrauen in die universelle Liebe und Güte Gottes, die der Jude Jesus aus Nazareth gelehrt und vorgelebt hatte. Vom 9. auf den 10. November 1938 setzten Nazitrupps Synagogen und jüdische Versammlungsräume sowie Tausende Geschäfte jüdischer Besitzer in Brand, verwüsteten jüdische Friedhöfe. Sie misshandelten Jüdinnen und Juden, ließen sie verhaften oder gar töten. Die Reaktionen aus den Kirchen waren kläglich: Statt eines weltweit vernehmbaren Aufschreis waren nur vereinzelte, verhaltene Proteste zu hören.

Jesus Christus sei Ebenbild des unsichtbaren Gottes, heißt es in der Bibel (Kolosser 1,15). Wer von Jesus auf Gott zurückschließt, kann Gott nicht auf bestimmte Eigenschaften festlegen, Gott bleibt unsichtbar. Man erkennt aber die Haltung: Auch Gott ist und bleibt den Menschen zugewandt, auch Gott schont sich selbst nicht in seiner Liebe zu ihnen.

Doch der Gott, an den unsere Vorfahren glaubten, machte die Herrschenden stark und die Untertanen schwach. Er zog mit dem Kaiser in den Ersten Weltkrieg. „Gott mit uns“ stand auf preußischen Koppelschlössern. Man glaubte an einen Gott, der nur dem eigenen Volk zugewandt war. Das Gottesbild klammerte jenen Christus aus, der vorbehaltlos alle Menschen annahm, nicht nur Angehörige seines Volkes; der auch Feinde zu lieben lehrte. „ … gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit“: Nicht starres Prinzipiendenken und Besserwisserei sprechen daraus, sondern Vertrauen in die Zukunft und Gelassenheit. Ulrich Fischer (1949–2020), evangelischer Theologieprofessor und badischer Bischof, beschrieb es so: „So wie Jesus Christus damals die Menschen geliebt hat, so liebt er uns heute. So wie er damals vergeben hat, so vergibt er heute. So wie er damals … neue Dimensionen des Lebens eröffnet hat, so tut er dies heute.“

Die Gottesvorstellungen der Menschen unterscheiden sich sehr, so wie sich auch die Hoffnungen der Menschen unterscheiden. Krebskranke hoffen, den Krebs zu besiegen. Politische Gefangene erhoffen sich Freiheit. Gewaltopfer, dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt. Queere Menschen, dass sie genauso respektiert werden wie alle anderen. Aber gemein ist ihnen: Sie können auf diesen immer ansprechbaren, immer zuverlässigen Gott setzen.

Eduard Kopp
Aus: „chrismon“, das Monatsmagazin der evangelischen Kirche. www.chrismon.de

War Judas ein Verräter?

Symbolbild: Bibel

Geldgier, Heimtücke, Falschheit, Verrat: Was hat man dem Judas alles nachgesagt! Der Judaskuss wurde sprichwörtlich: Der Verräter wirft sich Jesus an den Hals, heuchelt ein letztes Mal Zuneigung – ein Gefühl, zu dem er gar nicht fähig ist. Dabei hat er die feindlichen Schergen selbst hergeführt. Für ein paar Silberlinge händigt er den friedlichsten aller Menschen den Mördern aus. Mittelalterliche Darstellungen lassen ihn den Verzweiflungstod am Galgen sterben. Die Gedärme quellen heraus, der Teufel holt sich die verdammte Seele. „Du Judas“, die Floskel hat sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt, selbst bei Menschen, die nicht mal die Geschichte dazu kennen. Antisemiten nutzen die Namensähnlichkeit, um die vermeintliche Geldgier, Heimtücke und Falschheit auf alle Juden zu projizieren. Eine fatale Lüge!

Der wahre Kern? Schon die früheste Christenheit erinnerte in ihren Abendmahlsworten an die „Nacht, in der er (Jesus) verraten wurde“ (1. Korinther 11,23). Das griechische Wort paredídeto heißt wörtlich übersetzt: „Er wurde übergeben, ausgeliefert.“ Wer was genau tat und warum, bleibt offen. Erst später, mehr als 40 Jahre nach Jesu Tod, begann man, die Figur des Judas auszuschmücken. Der Evangelist Johannes (12,6) denunzierte Judas als Dieb. Und der Evangelist Matthäus (26,24) ließ Jesus sogar schimpfen: „Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre.“

Zur Ehrenrettung des Judas spekulieren Bibelinterpreten heute: Judas habe Jesus als Revolutionär missverstanden; er habe einen Aufstand provozieren wollen und Jesus irrtümlich ausgeliefert. Fakt ist: Wir wissen nicht, was geschah. Wir wissen nur: Jemand aus dem Kreis der Vertrauten war an Jesu Auslieferung beteiligt – was die anderen gegen ihn einnahm.

Edward Snowden machte öffentlich, dass britische und US-Geheimdienste die öffentliche Kommunikation weltweit aufzeichnen. Snowden brach die Schweigeverpflichtung seiner Arbeitgeberin, der Firma Booz Allen Hamilton – für ein höheres Gut. Er warnte vor Unrecht. Anders als autokratische Regime schützen Demokratien Privatheit, oder sie sollten es tun. So gesehen war Snowdens „Verrat“ Aufklärung. In einem übertragenen Sinn blies er die Trillerpfeife, weshalb man ihn auch „Whistleblower“ nennt.

Judas bereute seine Tat, berichtet Matthäus 27,3. Er habe die Silberlinge zurückgebracht und gesagt: „Ich habe gesündigt, unschuldiges Blut habe ich ausgeliefert.“ Es sei nie zu spät, Fehler zu bereuen, hat Jesus gelehrt, man finde immer Gottes Gnade. Judas gewiss auch.

Burkhard Weitz
Aus: „chrismon“, das Monatsmagazin der evangelischen Kirche. www.chrismon.de

Altes und Neues Testament

Symbolbild: Bibel

Der erste Teil der christlichen Bibel, das sogenannte Alte Testament, endet tragisch, Gott erwählt sich aus seiner Schöpfung ein Volk und schließt mit ihm folgenden Bund: Gott schenkt ihm fruchtbares Land; im Gegenzug muss sich das Volk an seine Gebote halten. Doch das Volk hält sich nicht daran – und verliert sein Land. Schließlich verheißen Propheten eine bessere Welt, in der nicht nur das auserwählte Volk, sondern alle Völker ihren Platz finden. Juden warten noch immer auf diese verheißene Welt. Christen glauben, sie habe bereits begonnen, mit Jesus von Nazareth und mit denen, die sich von seiner Liebe ergreifen lassen. Das wäre Folge zwei, das Neue Testament.
Der antike Theologe Origenes (185–254 nach Christus) erklärte es etwas anders: Weil Gottes erstes Volk sich nicht an die Gebote hielt, habe Gott einen neuen Bund mit einem anderen Volk geschlossen, der Christenheit. Spätere Christen griffen Origenes’ Worte auf und geiferten, Juden seien das verworfene Volk; im Alten Testament gehe es um Rache, im Neuen um Liebe. Sie begannen, Juden zu schmähen, auszugrenzen, zu verfolgen und sich an ihnen zu bereichern.
Ja, der zweite Teil der Bibel ist die Fortsetzung zum ersten, aber etwas anders, als man es immer sagt. Das Wort „Testament“ steht eigentlich für das hebräische Wort „Bund“. Und wenn man vom „Alten“ und vom „Neuen Testament“ spricht, klingt das so, als gebe es nur einen alten und einen neuen Bund. Das ist aber falsch. Der vordere Teil der christlichen Bibel erzählt von drei Bünden: Den ersten schließt Gott nach der Sintflut mit Noah und seinen Nachkommen, mit der ganzen Menschheit. Gott verspricht, nie wieder die Erde zu zerstören. Im Gegenzug solle die Menschheit Gott und die Schöpfung achten. Leider hält sich die Menschheit nicht daran.
Den zweiten Bund schließt Gott mit Abraham, Urvater der Juden, Christen und Muslime. Doch statt sich als Familie des einen Urvaters unter einem Gott zu verstehen, überziehen Christen, Muslime und Juden einander mit Misstrauen und Gewalt. Erst den dritten Bund schließt Gott mit Israel am Berg Sinai: Land gegen Gesetzestreue. Schon in diesem Bund verlangt Gott von seinem Volk, heilig zu sein, solidarisch, die Nächsten zu lieben. So weit das Alte Testament.
Das Neue Testament erzählt, wie Jesus, der Christus, alle Menschen in diesen Bund Gottes mit Israel einlädt. Alle Menschen sollen seine Christenheit werden. Es geht darum, heilig und solidarisch zu sein und die Nächsten zu lieben. Eine große Verpflichtung, die zu Bescheidenheit mahnt.

Burkhard Weitz
Aus: „chrismon“, das Monatsmagazin der evangelischen Kirche. www.chrismon.de

Darf man mit Spenden prahlen?

Symbolbild: Bibel

Die allermeisten, die ihr Portemonnaie für einen guten Zweck weit öffnen, bleiben lieber unerkannt. Sie geben stillschweigend das Gute zurück, das sie selbst erfahren haben. Oder schweigen über eigenen Großmut, weil Jesus gebot: „Wenn du Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut“ (Matthäus 6,3).

Doch nicht immer ist die anonyme Spende die bessere. Ab 10.000 Euro müssen politische Parteien ihre Herkunft aufdecken. „Sie sollten es schon ab 2.000 Euro tun“, fordern kritische Stimmen. Großspender können auch Probleme bereiten. Die größte Einzelspenderin für die Weltgesundheitsorganisation WHO, die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, erwirtschaftet ihr Vermögen unter anderem, indem sie sich an Konzernen wie Coca-Cola beteiligt. Engagiert sich die WHO gegen übermäßigen Zuckerkonsum, untergräbt sie das Geschäftsmodell ihrer größten Geldgeberin.

Wer sein Geld einer Umwelt- oder Hilfsorganisation anvertraut, will daher sicher sein, dass sie frei von fremden politischen oder wirtschaftlichen Interessen arbeitet. Greenpeace nimmt aus dem Grund keine staatliche Zuwendung an, prüft Eingänge über 1.000 Euro und lehnt jegliche Unternehmensspende ab. Brot für die Welt und Ärzte ohne Grenzen kooperieren nicht mit Unternehmen, die Waffen produzieren, fossile Energie fördern, an Tabak, Alkohol, Sex und Glückspiel verdienen.
Der Theologe und Fundraisingexperte Thomas Kreuzer erklärt sich den Ausspruch Jesu („Lass die linke Hand nicht wissen, was die rechte tut“) so, „dass es darum geht, nicht eitel vor Gott dazustehen. Die Spende soll nicht kalkuliert und rational kommen, sondern von Herzen.“ Jesus selbst hat auch eine Spenderin öffentlich gelobt: die arme Witwe mit ihrem einen Heller. Das bisschen Geld war alles, was sie hatte (Markus 12,41–44). Und als der reumütige Judas den Hohepriestern am Jerusalemer Tempel die Silberlinge für den Verrat an seinem Meister zurückbrachte, nahmen sie das Geld nicht für den Tempelschatz an: „Denn es ist Blutgeld“ (Matthäus 27,6).

Verwerflich ist nicht die öffentliche Spende, sondern die Gabe mit Kalkül und aus
unlauteren Motiven: eigenes Fehlverhalten reinwaschen, statt es abzustellen; Einfluss auf mögliche Kritiker nehmen, sie finanziell abhängig machen; die Spende mit einem Deal verbinden – Geld gegen Einfluss. Es ist nobel, über die eigene Spende zu schweigen. Es gibt auch Gründe, offen über sie zu reden. Das muss nicht gleich Prahlerei sein. Und oft ist es gut zu wissen, von wem das Geld kommt.

Burkhard Weitz
Aus: „chrismon“, das Monatsmagazin der evangelischen Kirche. www.chrismon.de

Schöpfung bewahren

Symbolbild: Bibel


Nicht die Schöpfung ausbeuten, sondern sie gestalten und bewahren – das solle der Mensch tun, bekräftigte 1983 der Ökumenische Rat der Kirchen, eine Art Weltkirchenversammlung. Nicht erst seither streiten Christinnen und Christen in aller Welt für „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“. Die Schöpfung zu bewahren, das bedeutet für die Kirchen nicht nur Arten- und Klimaschutz. Es geht umfassender darum, Lebensgrundlagen und -verhältnisse aller Menschen zu schützen: ob sie vom Regenwald am Amazonas leben oder als Banker in Singapur; ob sie sich Inuit nennen oder in der Lausitz mit dem Kohlebergbau leben.

„Schöpfung bewahren!“, das schreiben sich Schülerinnen von Fridays for Future auf ihre Transparente, ebenso Menschen, die für eine Verkehrswende streiten. Dabei lässt gerade so ein Slogan viele Fragen offen. In welchem Zustand soll die Schöpfung bewahrt werden? Wie sie vor der Industrialisierung war oder in der Antike? Aus den biblischen Schöpfungserzählungen lässt sich jedenfalls kein von Gott gewollter „Urzustand“ der Welt rekonstruieren.

In der Bibel geht es nicht um das, was einmal war. Ihre Schöpfungserzählungen sind nach vorne gerichtete Lehrtexte, die eine positive Lebenseinstellung vermitteln sollen: dass die Schöpfung in den Augen Gottes gut ist. Zugleich vermitteln sie auch ethische Grundwerte. Das Geschöpf Mensch sei Gott zu Dankbarkeit verpflichtet, so Martin Luthers Zusammenfassung im „Kleinen Katechismus“. „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat mit allen Geschöpfen, mit Leib und Seele, Augen, Ohren und allen Gliedern, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält . . . Für all das habe ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein.“
Die biblischen Schöpfungserzählungen sind Glaubensdokumente, zweieinhalb Jahrtausende alt. Sie beschreiben, dass Menschen die Schöpfung Gott verdanken und deshalb für sie Verantwortung übernehmen sollen. Die biblischen Autoren kannten diese Schöpfung anders als wir. Hätten sie geahnt, was in den Jahrhunderten nach ihnen daraus werden würde, es hätte sie zu Tode erschreckt.

Für sie dürften Massentierhaltung und Qualzucht weit entfernt von allem sein, was sie noch für verantwortbares Handeln hielten. Im Vergleich zu diesen Entgleisungen menschlichen Handelns ist die Versuchung, biblische Aussagen politisch zu instrumentalisieren, verzeihlich. Dass so alte Erzählungen überhaupt ihre Kraft behalten haben, spricht für sie.

Eduard Kopp
Aus: „chrismon“, das Monatsmagazin der evangelischen Kirche. www.chrismon.de