Predigt zu 1. Thess. 5,1-6 am 08.11.20 in der Stephanuslirche
von Pfarrerin G. Edelmann-Richter
Liebe Gemeinde,
Wie schon in unserer Evangeliumslesung, so geht es auch in unserem heutigen Predigttext um den Tag des Herrn, uns besser bekannt als der Jüngste Tag, mit dem das Reich Gottes beginnen soll.
In früheren Zeiten war dies eine gewichtige und allgegenwärtige Vorstellung, die großen Einfluss auf das Leben und Handeln der Christen hatte.
Vielen Menschen der Moderne sind diese Vorstellungen fremd.
Da will man nicht mehr an den Tag glauben, der alles Dagewesene verändern soll, der wie ein großes Gericht Gottes über alle hereinbricht und schließlich in einem ungeheuren Sturm die Spreu vom Weizen trennt.
Zu fremd und zu alt hergebracht sind doch diese apokalyptischen Vorstellungen, die schon die Propheten des 8.Jahrhunderts vor Christus – allen voran Amos – ausschmückten, oder die Vorstellungen, die wir aus dem letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, kennen.
Dramatische Szenen werden da geschildert, die doch eher an einen Untergang als an einen Neuanfang erinnern.
In etlichen Kinofilmen wurden diese Motive aufgenommen:
So in Tolkiens Ring-Trilogie, in „Armageddon“ oder in der endzeitlichen Schlacht um Hogwards, in der der Widersacher Harry Potters, der böse Lord Voldemort, vernichtend geschlagen wird.
Die Vorlagen zu diesen Endzeitgeschichten finden sich in den apokalyptischen Büchern der Bibel.
Sowohl zu Jesu Lebzeiten als auch zur Zeit des Paulus waren diese Vorstellung vom Ende der alten Welt, vom bald hereinbrechenden Beginn eines neuen Äons, eines neuen Zeitalters, in allen Köpfen.
Das müssen wir wissen, wenn wir den heutigen Predigttext verstehen wollen:
1.Thess. 5,1-6:
„Von diesen Zeiten aber und Stunden, Brüder und Schwestern, ist es nicht nötig, euch zu schreiben, denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommt, wie ein Dieb in der Nacht. Wenn sie sagen: „Friede und Sicherheit“, dann überfällt sie schnell das Verderben wie die Wehen eine schwangere Frau und sie werden nicht entrinnen.
Ihr aber seid nicht in der Finsternis, dass der Tag wie ein Dieb über euch komme. Denn ihr alle seid Kinder des Lichts und Kinder des Tages. Wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis. So lasst uns nun nicht schlafen, wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein.“
Liebe Gemeinde,
Jesus und auch Paulus erwarteten den baldigen Anbruch des Reiches Gottes. Jesus spricht dabei vom Menschensohn, der da kommen wird. Die ersten Christen identifizierten damit ihn selbst. Als dann aber geschichtlich nichts Umwälzendes nach Jesu Tod gekommen ist, nimmt Paulus den Gedanken noch einmal auf und predigt abermals den baldigen Anbruch des Reiches Gottes.
Heute nach über 2000 Jahren wissen wir, dass mit der Hoffnung auf ein neues Zeitalter etwas anderes gemeint sein musste als eine spektakuläre Zeitenwende.
Wir gehen heute davon aus, dass die Zeit immer weiter geht.
Auch wenn sich die Menschheit in den nächsten Jahrhunderten aus Rücksichtslosigkeit gegenüber der Natur selbst die Lebensgrundlagen vernichtet, würde unser Sonnensystem noch Jahrmilliarden weiterbestehen.
Was hat es also mit dem Reich Gottes auf sich?
Jesus bringt es auf den Punkt: „Das Reich Gottes beginnt schon jetzt und ist mitten unter euch“, so sagte er es seinen nicht schlecht staunenden Zuhörern. Und dann erzählte er ihnen Gleichnisse wie das vom Barmherzigen Samariter und Geschichten, wo Menschen von Krankheiten geheilt und von bösen Dämonen befreit werden.
In diesen Handlungen, in diesen Geschehnissen ist Gottes Reich schon angebrochen.
So begegnet Jesus Fanatikern, die selbst Hand anlegen wollen, um das Reich Gottes mit aller Gewalt herbeiführen zu wollen.
Ich denke dabei an Judas, der ihn später verriet, weil er ähnlich den Zeloten das Reich Gottes zügig durchsetzen wollte.
Durch seine Erzählungen rüttelt Jesus auch die Gleichgültigen wach oder auch die Ängstlichen, die sich selber in allem zurückhalten, was für sie gefährlich oder zumindest nicht gleich von Nutzen sein könnte.
Und Paulus – auch er bezähmt die Endzeitfanatiker und bringt die Lethargiker in Schwung, indem er mahnt: „Der Tag des Herrn kommt, wie der Dieb in der Nacht!“
Das sollte heißen: „Ihr müsst ihn nicht herbeizwingen, aber verschlafen sollt ihr ihn auch nicht!“
Liebe Gemeinde,
was also dürfen wir hoffen, wenn es um den Tag des Herrn oder um das Reich Gottes geht?
Wissen wir doch, dass wir Hoffnung brauchen, da wir selbst oft machtlos vor einer Krankheit oder einer existentiellen Krise stehen.
Da stehen Fragen im Raum wie z.B. „werde ich meinen Schulabschluss schaffen?“, „finde ich eine Arbeit, die mir auch gefällt?“, „finde ich den richtigen Lebenspartner?“, „bleibe ich bis ins Alter geistig fit?“ und „wer versorgt mich, wenn ich alt geworden bin?“
Wahrlich, wir sind keine Hellseher und die, die sich als solche ausgeben, sind meist Scharlatane.
Und so hoffen wir alles in allem, dass es gut mit uns wird, dass unser Leben ein Ziel hat, das von Gott festgelegt wurde! Kein Produkt des Zufalls, sondern genauso von Gott gewollt!
Zwar möchten wir vieles planen oder zumindest die Wahrscheinlichkeit dafür ausrechnen, um uns sicherer zu fühlen, aber eigentlich müssen wir bekennen, dass sich der „Faktor Gott“ nicht in solche Pläne und Diagramme zwängen lässt.
Ein altes Sprichwort lautet ja: „der Mensch denkt – und Gott lenkt!“
Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass uns diese Erkenntnis guttut.
Das passt gut zu unserem Predigttext.
Wir sind gefragt, hinzuschauen, anzupacken und einzugreifen, wo unsere Hilfe gebraucht wird, den Jüngsten Tag im wahrsten Sinne des Wortes nicht zu verschlafen, alles aber in der Hoffnung, dass nicht alles Gelingen in unserer Hand liegen muss, sondern wir der Macht und Kraft Gottes Etliches zutrauen können.
Eine Vertröstung auf den „Sanktnimmerleinstag“ wäre also hier völlig fehl am Platz.
Wir dürfen, sollen bereit sein für Spontanes, für Unvorhersehbares, ja sogar für Herausforderndes, weil wir die Zusage Gottes haben, dass er bei uns ist, heute und bis zum Ende aller Tage!
Paulus ging es in seinem Brief an die Thessalonicher um die Kunst des Lebens.
Selbst von Krankheiten gezeichnet, vom Schicksal hart gebeutelt, machte er der von ihm gegründeten Gemeinde Mut, auch mit Widersprüchen leben zu können.
Dem tieferen Sinn des Lebens auf der Spur zu bleiben, trotz des Hin und Her, das Ziel in Verantwortung Gottes gegenüber zu leben, nicht aus den Augen zu verlieren.
Der momentane Blick auf unsere Familien und der Blick nach vorne für unsere Gesellschaft gewinnen dann an Bedeutung, wenn wir unseren Weg als Kinder des Lichts und als Kinder des Tages gehen:
- Nicht über das Vergangene zu lange nachgrübeln.
- Den Krisen nicht zu viel Macht und Raum geben.
- Die Sorgen bewusst vor Gott bringen.
- Bereit sein für die Herausforderungen der Zeit.
Liebe Gemeinde,
Sie sehen, mit den Worten Jesu und den Briefen des Paulus werden die Zuhörer gecoacht!
Die Botschaft ist klar:
Christen dürfen sich umfangen lassen von der auf keine Zeiten festgelegte, unendlichen Liebe Gottes, die stark macht in guten wie in schlechten Zeiten.
AMEN