Barmherzig – oder was?

Die Jahreslosung für 2021 lautet: „Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ 

Das erste Wort, welches mir ins Auge springt ist „BARMHERZIGKEIT“.
So oft gehört, gelesen, selbst verwendet – doch auch angewendet? 

Was bedeutet Barmherzigkeit? 

Sprachlich stammt es vom lateinischen Wort „misericordia“ ab. 
Synonym kann man „Güte, Erbarmen und Mitgefühl“ setzen.
Diese drei Worte umschreiben das große Wort Barmherzigkeit und lassen verschiedene Bilder und Ideen dazu entstehen.

2016 gab es in der katholischen Kirche das Jahr der Barmherzigkeit. Im Bistum Eichstätt haben sich junge Menschen Gedanken zur Barmherzigkeit gemacht. Hör mal kurz rein und lass dich inspirieren. 

Und, was denkst Du? Was bedeutet für dich dieses Wort? 

Für mich ist Barmherzigkeit zu einer Lebensaufgabe geworden. Sowohl in der Umsetzung als auch in der Intensität. Aus meiner Sicht ist Barmherzigkeit nichts, was man lernen kann und sobald man es einmal verstanden hat, kann man es –  immer und überall, egal in welcher Situation man steckt. Es ist nicht wie Fahrrad fahren oder schwimmen. Einmal gelernt, ist es im motorischen Gedächtnis eingebrannt und wir können es zu jeder Zeit abrufen.
Für mich ist Barmherzigkeit vielmehr wie Kochen. Die Grundzutaten der Barmherzigkeit: Güte, Vergebung, Mitgefühl – habe ich kennen gelernt und kann sie in mir sehr gut vertrauten Situationen anwenden. Doch hin und wieder stecke ich auch in Momente in welchen mir die Barmherzigkeit nicht gelingt, obwohl ich die Zutaten kenne. Das hat verschiedene Gründe. Da gibt es zum Beispiel persönliche Verletzungen oder noch unklare Emotionen, die mich hindern. Ich denke, dass ich im Recht bin und mein Gegenüber unrecht hat – dabei wäre das gerade gar nicht wichtig, doch das erkenne ich nicht. Vieles mehr ließe sich an dieser Stelle noch aufführen, doch ist das zur Weiterführung gar nicht nötig. Jeder von uns weiß um seine ganz eigenen Gründe, warum es mit der Barmherzigkeit hin und wieder nicht gelingt.

Viel wichtiger ist mir dabei die Frage geworden, ob es mir als Christ passieren darf, dass es mir nicht gelingt. Meine Antwort darauf lautet: JA – darf es und das ist in Ordnung. Schließlich geht es auch bei der Barmherzigkeit nicht darum sie perfekt und in jeder Situation zu leben. Als Mensch bin ich nicht fehlerfrei, sondern scheitere hin und wieder – mal mehr, mal weniger…
Gott begegnet mir hier, so glaube ich, mit seiner Barmherzigkeit – durch andere Menschen. Sie entwickeln Verständnis für mich und meine Situation, begegnen mir mit Güte und Milde und fühlen sich ein – in Mich.
Aus meiner Sicht ist Barmherzigkeit ein gegenseitiges Geben und geschenkt bekommen – zwischen uns Menschen und Gott.
Erlebe ich selbst Barmherzigkeit als Gebende und Beschenkte, so ist das für mich ein ganz besonderer, ein heiliger Moment.
Dafür bin ich dankbar.

Michael Patrick Kelly hat das in diesem wunderschönen Lied zum Ausdruck gebracht: 

Liebe Grüße,

Eure/Ihre Christina Höpfner

Predigt zur Jahreslosung 2021

Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ Lk 6,36

von Pfarrerin Gabriele Edelmann-Richter

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

wieder stehen wir am Beginn eines neuen Jahres!
Bestimmt haben Sie heute im Laufe des Tages viele Neujahrswünsche erhalten und auch selbst ausgesprochen.
Die Neujahrswünsche, die wir uns gegenseitig zusagen, haben in diesem Jahr bei den meisten in erster Linie die Gesundheit im Blick, sie ist angesichts der Pandemie das zentrale Thema unserer Hoffnungen.

Ich möchte heute mit Ihnen einen Blick auf die Jahreslosung für das neue Jahr werfen. Sie lässt unseren Blick noch weiter kreisen.
Der Evangelist Lukas hat die Worte Jesu aufgeschrieben:

„Jesus Christus spricht:
seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“

„Barmherzigkeit“ – was für ein althergebrachter Begriff!
Kaum einer von uns verwendet dieses Wort im Alltag.
Und doch berührt uns das Wort „Barmherzigkeit“ im Innersten.

Vielen von uns kommt sogleich die biblische Erzählung vom barmherzigen Samariter in den Sinn.
Sie erinnern sich: das war der Wanderer, der auf seinem Weg einem Überfallenen, einem übel zugerichteten und ausgeraubten Mann geholfen hat.
Jesus erzählt seinen Zuhörern dieses Gleichnis auf ihre Frage hin, wie man sich seinem Nächsten gegenüber verhalten soll.
Und typisch für Jesus … er verpackt seine Antwort in eine Geschichte.

Mit dieser Geschichte provoziert er seine Zuhörer, damit diese die Antwort begreifen, ja selbst finden.

Jesus erzählt, dass an dem Überfallenen zuerst ein Priester vorbeizieht; dieser darf sich aufgrund der Priestergesetze nicht mit Unreinem in Verbindung bringen. Dann kommt ein Levit daher; auch er kennt alle Kultvorschriften genau und er hat es eilig, um rechtzeitig zum Tempeldienst zu kommen.
Schließlich sieht ein Samariter den Mann am Boden liegen. Der Samariter handelt ohne zu überlegen, ohne lang zu fragen, ob er das darf, ob er sich dabei beschmutzt, ob es ihn seine Zeit und natürlich auch sein Geld kostet.

Provokant für Jesu Zuhörer ist die Geschichte deshalb, weil sie einem Samariter das barmherzige Handeln niemals zugetraut hätten. Hatten doch die Samariter keinen guten Ruf und galten als sektiererisch in dem Sinne, dass sie sich nicht streng an die jüdische Gesetzgebung hielten.
Doch Jesu Zuhörern wird dadurch klar:
Unser Nächster ist der, der unsere Hilfe braucht!
Diese Aussage sitzt!

Trotz Kontaktbeschränkungen konnte ich in den vergangenen Wochen viele Menschen zumindest zwischen Tür und Angel besuchen. Manchmal konnten wir auch nur vom Gehweg zum Fenster hin ein kurzes Gespräch führen. Was mich dabei geschmerzt hat, war die Aussichtslosigkeit, von der vor allem die älteren Menschen erzählten.
Die Sorge und die Angst vor dem Virus paarte sich mit einer großen Sehnsucht nach Nähe, nach einem Gespräch, nach Kontakt.  Der Lebenssinn schien nicht selten verlorengegangen zu sein.

Ein befreundeter Pfarrer schickte mir vor einigen Tagen ein Zitat Martin Luthers, das passender zur gesamten Situation nicht sein könnte:
„Wenn Gott tödliche Seuchen schickt, will ich Gott bitten, gnädig zu sein und der Seuche zu wehren. Dann will ich das Haus räuchern und lüften, Arznei geben und nehmen, Orte meiden, wo man mich nicht braucht, damit ich nicht andere vergifte und anstecke und ihnen durch meine Nachlässigkeit eine Ursache zum Tode werde. Wenn mein Nächster mich aber braucht, so will ich weder Ort noch Person meiden, sondern frei zu ihm gehen und helfen. Siehe, das ist ein gottesfürchtiger Glaube, der nicht tollkühn und dumm und dreist ist und Gott nicht versucht.“

Das ist es!
Wir sind barmherzig im Sinne Jesu, wenn wir die Not eines anderen zum Besseren wenden!

Voraussetzung dafür ist aber, dass wir mit uns selbst im Reinen sind. Nur wenn wir uns mit allen Fehlern und Macken selbst akzeptieren, können wir auch für andere ein großes Herz haben.
Wie kann uns das gelingen, unser eigenes Herz geschmeidig werden zu lassen?
Eine Portion Humor mit sich herumzutragen, kann oftmals schon der erste Schritt für eine Entspannung sein.
Und der zweite Schritt, der in die richtige Richtung führt, ist eigentlich ein Schritt zurück. Ein Blick in mein Innerstes.
Was mache ich aus meinem Leben. Welche Gaben habe ich von meinem Schöpfer bekommen? Was macht mich stark?

An Weihnachten haben wir uns an das schönste Geschenk Gottes erinnert.
Da fiel unser Blick auf den, der aus der Weite des Himmels als Kind zu uns kam, Gott wurde Mensch, mit allen Herausforderungen und Befindlichkeiten, die es in einem Menschenleben gibt.
Auch Jesus haderte mit sich und der Welt.
Aber er war sich seines göttlichen Auftrags bewusst, die Welt besser zu machen.
Die innerste Ergriffenheit und Überzeugung wollte er auch seinen Zuhörern zuteilwerden lassen.
Er gab ihnen damals vor 2000 Jahren und gibt uns für das Jahr 2021 die Richtung vor:

„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“

Amen.