Predigt zum Altjahresabend

Von Pfarrerin Gabriele Edelmann-Richter am 31.12.2021 in der Stephanuskirche in Gebersdorf

Liebe Gemeinde,

ich denke, viele von Ihnen kennen das Gebet:

„Gott gib mir Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden!“

Dieses Gebet des amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr, das er während des 2. Welkriegs geschrieben hat,  passt gut zur momentanen Stimmungslage.
Ein im wahrsten Sinn des Wortes verrücktes Jahr liegt zum zweiten Mal hinter uns.
Das Gefühl der Machtlosigkeit beschleicht uns allenthalben.
Unser Land befindet sich zwischen Impfaktionen, Versammlungsvorschriften und immer wieder neuen Wellen mit hohen Inzidenzen aufgrund neuer Virusvarianten.
Diese Pandemie setzt uns allen zu.

Gerne würden wir am Altjahresabend eine positive Bilanz ziehen, was sich im vergangenen Jahr für uns in der Familie oder am Arbeitsplatz verändert hat, welche Reisen wir unternommen haben, wie uns der Umbau der Wohnung gelungen ist, welch schönes Familienfest wir haben feiern können, wie lustig es auf der Kärwa war …
Eigentlich … denn vieles lief ganz anders.
Einige von uns haben auch schmerzliche Abschiede hinnehmen müssen, wurden gar von heimtückischen Krankheiten überfallen.
Und alle leiden wir bis heute unter der Verunsicherung, die Corona mit sich bringt.

 An der Schwelle vom Alten zum Neuen stehen viele Fragen. Wir suchen nach Orientierung:
Wohin wird der Zick-Zack-Kurs führen?
Wann geht es endlich wieder geradeaus?

Gott gib mir Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden!“
Dieses Gebet drückt aus, dass wir Menschen nach Vergewisserung, Halt und Orientierung suchen.
Aus der Psychologie wissen wir, dass wir das allein nicht schaffen.
Wir brauchen Unterstützung.

Kann uns der an Weihnachten menschgewordene Gott weiterhelfen?
Jesus macht uns in einem sehr praktischen Gleichnis einen Vorschlag, den wir vorhin bei der Lesung des Evangeliums (Mt 13,24 – 30) schon gehört haben.
Das neue Jahr wird mit einem Acker verglichen, der im Herbst mit bestem Saatgut bestellt wird:
mit guten Vorsätzen, Hoffnungen, festen Planungen, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich.

Doch der Feind, so nennt Jesus die Widrigkeiten des Lebens, sät still und heimlich Unkrautsamen auf das gut bestellte Feld.
Das wollen wir Menschen uns nicht gefallen lassen und möchten dieses Unkraut möglichst schnell herausziehen:
„Wehret den Anfängen!“

Doch Jesus fordert in seinem Gleichnis Gelassenheit.
Denn emotionsgeladenes Handeln führt nicht selten zu Schaden.

In den vergangenen Wochen kochen die Emotionen buchstäblich über.
Die einen versuchen ihren Unmut über die Coronamaßnahmen lautstark bei Demonstrationen zu äußern.
Andere getrauen sich aus lauter Angst gar nicht mehr aus dem Haus.
Und auch in der Politik lassen sich emotionsgeladene, von Aktionismus geprägte Vorschläge beobachten.
Fast täglich gibt es neue Ideen, wie wir am besten mit der Pandemie umgehen sollen.

„Gott gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“
Das wird wohl eines unserer wichtigsten Gebete im neuen Jahr sein.

Was wir neben gut überlegtem Handeln im neuen Jahr brauchen, um ein Stück von der Weisheit zu erlangen, kann  auch der gute Tipp eines Motivationstrainers sein:
„Erinnere dich an das, was dich in guten Zeiten durchs Leben getragen hat, denke an das, was dich innerlich zufriedengestellt hat!“
Im Bayerischen Rundfunk hatten sie diese Woche die Zuhörer nach ihren schönsten Erlebnissen des Jahres gefragt.
Das hat die Zuhörer angesprochen und die Telefone standen nicht still.
Die Sehnsucht nach Beständigkeit und Sicherheit ist groß.

„Gott gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden.“

Seit dem Heiligen Abend habe ich in meinem Wohnzimmer eine Weihnachtspyramide aus dem Erzgebirge stehen.
Wenn ich zur Ruhe kommen möchte, zünde ich die Kerzen an, stelle die Drehflügel so, dass sich die Pyramide nur langsam dreht. Dann lässt sich sehr schön beobachten, wer und was sich da alles auf den verschiedenen Ebenen bewegt: Die Hirten, die Schafe, die Könige auf den äußeren Ebenen.
In der Mitte auf dem festen ruhenden Gehäuse ganz oben die verkündigenden Engel, weiter unten Maria, Josef und das Kind in der Krippe.

Während ich das Drehen so beobachte, frage ich mich, um welches Zentrum herum ich mich bewege?
Was sorgt in meinem Leben für Beständigkeit?

Da gibt es die Zentrifugalkräfte, die mich – je weiter ich mich von der Mitte entferne – nach außen ziehen und Gefahr laufen lassen, dass ich hinausgeschleudert werde.
Und da gibt es die Fliehkräfte, die mich – je näher ich in der Mitte bin – desto mehr Standhaftigkeit spüren lassen.
Das ist ein schönes Bild für unseren Stand im Leben.
Stets sind wir gefordert, den richtigen Platz einzunehmen, damit wir den Halt unter den Füßen nicht verlieren.

Mit Weihnachten hat es angefangen, da wurde Gott Mensch! Gott teilte mit uns seine große Liebe!
Mit dem Leben und Wirken Jesu wird uns klar, worauf es im Leben ankommt.
Mit seinem Tod und seiner Auferstehung gibt er uns Menschen Hoffnung auch über den Tod hinaus!
Jesus ist für uns Christen die Mitte, der Weg und das Ziel!
So wie wir es bei der Weihnachtspyramide sehen können.
Die Kräfte, die durch diesen Glauben nach innen wirken, sind so stark, dass wir nicht von unserer Lebenspyramide nach außen geschleudert werden, obwohl die Zentrifugalkräfte täglich auf uns einwirken.
Wenn wir auf einem festen Fundament stehen, haben wir das Aufgehen der verschiedenen Saaten gut im Blick, dann können wir das sichtbare Unkraut, das Schlechte, herausziehen und es schließlich verbrennen, sodass es auf unser Leben keinen großen Einfluss nimmt.
Das heimtückische Unkraut, wie Krankheiten oder der Verlust eines geliebten Menschen, gibt unserem irdischen Leben eine andere Richtung, schleudert uns aber nicht aus der Bahn.
Denn der auferstandene Jesus ist der Herr der Zeit – auch der Herr unserer Zeit!

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus! 

 Amen.

Gabriele Edelmann-Richter, Pfarrerin

Lasst uns aufeinander achthaben und einander anspornen zur Liebe und zu guten Werken

Symbolbild: Autos parken dicht gedrängt links und rechts an einer Straße

„Sie haben Ihr Auto zu weit auf den Gehweg gefahren. Da kommt keiner mehr mit dem Kinderwagen durch. Ich finde das unmöglich! Es gibt doch in der Nebenstraße bestimmt Parkplätze.“, fährt mich eine ältere Dame mit zornigem Gesichtsausdruck lautstark an. Einen Tonfall wählt sie dabei, den ich auch schon gewählt habe, wenn ich sehr empört war. Gerade noch war ich froh gewesen, nur zwei Minuten zu spät bei der Krankengymnastik anzukommen. Mit kleinem Kind ist pünktlich zu sein eine Herausforderung. Jetzt schäme ich mich ein bisschen, ärgere mich über die unfreundliche Art der Dame und noch mehr darüber, dass sie mich ertappt hat und sage kleinlaut: „Stimmt, Sie haben recht.“

Recht hatte sie wirklich! So zu parken ist wenig liebevoll. Und trotzdem habe ich es gemacht, weil das Ziel „Pünktlichkeit“ in meinem Denken gerade einen größeren Stellenwert einnahm als „liebevolles Parkverhalten“. Schade eigentlich!

Bedauerlich auch, dass sich die Frau so sehr ärgern musste, dass sie mich nicht freundlich darauf aufmerksam machen konnte, dass ich mein Auto auch geschickter platzieren könnte. Gewirkt hat es trotzdem bislang. Ich denke an ihre Worte, wenn ich überlege, wo ich parke.

„Lasst uns aufeinander achthaben und einander anspornen zur Liebe und zu guten Werken.“

Monatsspruch für den Oktober aus dem Hebräerbrief (Hebr. 10,24)

Angespornt und zurechtgewiesen zu werden sind zweierlei Dinge. Es ist ein schmaler Grat zwischen Besserwisserei und dem Ansporn zu gutem Verhalten,
zwischen aufeinander achthaben und einander kontrollieren. Das merken wir gerade in dieser Zeit zwischen Impfangeboten und Maskenpflicht.

Die frohmachende und befreiende Botschaft kommt für mich schon vor unserem Wochenspruch: Dort steht, dass wir Freimut haben können, weil Jesus uns den freien Zutritt zu Gott ermöglicht hat. Er hat uns „reingewaschen“, wir sind frei von einem bösen Gewissen, sagt der Verfasser des Hebräerbriefes.

Dies gilt von Jesus her. Eine unglaubliche Liebe ist es, die uns da trägt und erträgt
in all unserer Lieblosigkeit. Sie spornt mich an! Auch wenn ich es nicht jedes Mal gut hinbekomme, gut auf andere zu achten. Ich glaube fest daran, dass uns diese Liebe wirklich verändert und merke, wie gut es mir tut, trotz allen Versagens fröhlich in die Arme unseres warmherzigen Gottes kommen zu dürfen.

Haben Sie freien Mut und ein befreites Gewissen, haben Sie auf andere Acht und spornen Sie Ihre Mitmenschen in Liebe an zu allem Guten! Wie könnte ein positiver Ansporn aussehen, wenn Sie sich über das Parkverhalten eines anderen ärgern? Vielleicht erzählen Sie mir davon, wenn wir uns treffen!

Solche Gedankenspiele sind eine gute Übung für den Ernstfall. „Darf ich Ihnen ihr Auto auf den besten Parkplatz der Straße stellen?“, wäre jedenfalls ein Angebot für mich, das ich erfreut annehmen oder das mich trotz guter Laune zum Nachdenken bringen würde!

Juliane Jung, Pfarrerin der Thomaskirche