Predigt zum Sonntag Reminiszere

Von Pfarrerin Gabriele Edelmann-Richter am 13.03.2022 in der Stephanuskirche in Gebersdorf zu Matthäus 26,36-46

Liebe Gemeinde,
geht es Ihnen auch manchmal so, dass Sie stundenlang wachliegen und einfach nicht einschlafen können?
Aufregende Tage bescheren uns solche Situationen.
Zu viele ungelöste Fragen, zu große Probleme verfolgen uns nicht selten bis in die Nacht hinein. 
In den letzten beiden Wochen haben mir Menschen aus unserer Gemeinde immer wieder gesagt, dass sie seit Beginn der russischen Angriffe auf die Ukraine von großen Ängsten geplagt werden.
Für etliche Gebersdorfer ist es fast wie ein Dejavu, wenn sie die Bilder der Überraschungsangriffe, die Bilder der brutalen Zerstörung und die Bilder der Flüchtlingsströme in den Nachrichten sehen. 

In unserer Gemeinde leben Menschen, die so eine Katastrophe noch selbst miterlebt haben. Kein Wunder, wenn man da nicht einschlafen kann.
Ohnmächtig sind wir grad momentan.

Viele Menschen in Deutschland versuchen mit Spenden oder auch mit der Aufnahme von Flüchtlingen irgendwas zu tun, um die Anspannung zu lösen. Denn nichts ist schlimmer, als in der Schockstarre zu verharren und der Katastrophe ins Auge blicken zu müssen.

Schließlich hilft auch beten, sonst hält man es nicht aus.
Unser heutiger Predigttext passt sehr gut zu unserer momentanen Lage: 
Da geht es auch um einen, der wach liegt, nicht schlafen kann, weil er nicht weiß, wie es weitergeht, weil er spürt, dass sich Schlimmes anbahnt.

Da kam Jesus mit ihnen zu einem Garten, der hieß Gethsemane, und sprach zu den Jüngern: Setzt euch hierher, solange ich dorthin gehe und bete. Und er nahm mit sich Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus und fing an zu trauern und zu zagen. Jesus sprach zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wachet mit mir! Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst! Und er kam zurück zu seinen Jüngern und fand sie schlafend und sprach zu Petrus: Konntet ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen? Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt!
Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach. Zum zweiten Mal ging er wieder hin, betete und sprach: Mein Vater, ist’s nicht möglich, dass dieser Kelch vorübergehe, ohne dass ich ihn trinke, so geschehe dein Wille! Und Jesus kam zurück und fand sie wieder schlafend, und ihre Augen waren voller Schlaf. Und er ließ sie und ging abermals hin und betete zum dritten Mal und redete abermals dieselben Worte. Dann kam er zu den Jüngern und sprach zu ihnen: Ach, wollt ihr weiterschlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist da, dass der Menschensohn in die Hände der Sünder überantwortet wird. Steht auf, lasst uns gehen! Siehe, er ist da, der mich verrät.

Mt. 26,36-46

Liebe Gemeinde,

diese Geschichte trifft mich ins Herz, sooft ich sie höre.
Sie macht mich traurig und wütend zugleich. 
Denn Jesus, der für seine Freunde alles gab, was möglich war, wird in der höchsten Not allein gelassen. In seiner Angst und Einsamkeit bleibt ihm nur noch das Gebet zu seinem himmlischen Vater.
Wenige Tage vorher wurde Jesus noch gefeiert, sein Einzug nach Jerusalem hat die Menschen begeistert. Dank und Freundlichkeit kamen ihm, dem Prediger, dem Hoffnungsbringer, dem Wundertäter entgegen. 
Dann tags drauf sein Auftreten im Tempel. Da hat er den Geldwechslern und Händlern mit Worten und Taten seine Meinung kundgetan. Ein starker Jesus, ein furchtloser Jesus!
Und dann – nach dem Passahabendmahl mit seinen Jüngern, der Gang hinaus zum Garten Gethsemane – diese Einsamkeit!

Jesus ahnte, was auf ihn zukommt. Die Uhr tickte. Nur elf seiner Jünger kamen mit hinaus in den Garten. Judas hatte anderes zu tun…
Gerne hätte Jesus Rückendeckung von seinen Freunden gehabt. „Wachet und betet mit mir!“, so hat er zu ihnen gesagt.
Doch die Jünger sind zu müde, zu schwach. Sie schlafen ein. Jesus hadert mit seinem Schicksal. 
Schließlich hadert er auch mit Gott. Sollte sein irdischer Auftrag schon beendet sein? 
Jesus kämpft um die Einsicht zu dem, was nun auf ihn zukommt.
Schließlich ist er bereit, den schweren Weg zu gehen: Er spricht: „Wenn es nicht möglich ist, dass dieser Kelch an mir vorübergeht, dann werde ich ihn trinken. Gottes Wille soll geschehen!“

Liebe Gemeinde,
Sie alle wissen, wie die Geschichte weitergeht.
Jesus stellt sich souverän den römischen Soldaten. Er vermeidet einen Kampf, heilt sogar noch das Ohr des Malchus und lässt sich abführen. 

Welch‘ eine Geschichte! 
Weshalb hat sie Matthäus in sein Evangelium aufgenommen? 

Ich denke, es ist eine dramaturgische Notwendigkeit!
Denn nur wenn wir Leser und Hörer des Wortes diese schlaflose Nacht Jesu vor Augen haben, wird uns klar, welche Bedeutung der Karfreitag für uns hat, wie nah uns Gott im Leiden kommt. 
Und dann können wir auch verstehen, welch‘ große Kraft schließlich vom Ostergeschehen ausgeht, von diesem Geschehen, das dem Tod und der Finsternis alle Macht nimmt:
Jesus steht an unserer Seite. Auch er kennt Angst, Sorgen und Zweifel. All das, was uns im Alltag begleitet. 

Im Gebet dürfen wir darauf vertrauen, dass er uns versteht, dass er unsere Gedanken kennt, ehe wir sie aussprechen.
Wir wissen gerade nicht, wie es weitergehen wird mit dem Krieg in der Ukraine, was den Menschen dort noch alles bevorsteht. Wir wissen auch nicht, welche Auswirkungen dieser Krieg auf unsere Zukunft hier in Deutschland haben wird. 
Eigentlich bräuchten wir alle eine Rückkehr zur Normalität, die uns wegen Corona schon seit zwei Jahren versagt ist. Aber schon wieder steht die nächste Herausforderung vor der Tür.
Woher sollen wir die Kraft nehmen, das alles zu schaffen?

Liebe Gemeinde,
wohl dem, der Freunde hat, die nicht schlafen, sondern wachen, die bereit sind, mit anzupacken und in der Not zu helfen.
Und wenn uns dann die Einsamkeit und auch die Hilflosigkeit überkommt? 
Dann tut es gut, sich Jesus anzuvertrauen, sich Gott zuzuwenden und zu sagen: 

„Dein Wille geschehe! Wie im Himmel so auf Erden!“

Darum – lasst uns stark bleiben im Glauben daran, dass Krieg niemals eine Lösung ist!
Lasst uns stark bleiben im Glauben daran, dass Gott unsere Gebete erhört und uns die Kraft gibt, Zeichen des Friedens in unserer Welt weiterzugeben!

Weder Dunkelheit noch Krieg dürfen unsere Welt beherrschen!

Denn unser Gott ist ein Gott des Friedens, des Lebens und des Lichts!

Amen.

Gabriele Edelmann-Richter, Pfarrerin

Predigt zum Sonntag Reminiszere

Von Pfarrer Dr. Matthias Dreher am 28.02.2021 in der Stephanuskirche in Gebersdorf

Symbolfoto: Weinberg

Das Lied vom unfruchtbaren Weinberg

„Wohlan, ich will meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte. Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg! Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte? Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er verwüstet werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde. Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen. Des Herrn Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing.
Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war blutiger Rechtsbruch; und auf Gerechtigkeit, siehe, da war schreiende Schlechtigkeit.“

Jesaja 5,1-7

Liebe Mitchristen hier in Gebersdorf,

Dieses Lied ist in seiner Härte und in seiner berechnenden Konsequenz ein gefährliches Wort der Heiligen Schrift. Denn in ihm klingen vertraute und belastende Erfahrungen von uns allen an, – ja vielleicht sind es sogar Grunderfahrungen nicht nur eines reifen sondern auch eines jungen Lebens. Es spiegeln sich in ihm Verhaltensweisen und Erfahrungen, die wir selber als Kinder
schon erlebt und gefürchtet haben, und die wir, so vermute ich, unseren eigenen Kindern, unseren Freunden, Arbeitskollegen, ja auch gerade den Menschen, die wir lieben, nicht ersparen, nämlich die Strafe durch Liebesentzug: Liebesentzug und Schweigen, Abbruch der Beziehung, die unser Das ein Tag für Tag trägt. Davon singt Jesaja hier. Kalte Abwendung, Preisgabe an das zerstörerische Chaos, das kennen wir eigentlich alle, selbst wenn wir es nicht so konsequent machen wie manche Familien
noch heute, die ihre Kinder, Jungen und Mädchen, gnadenlos fallen lassen, wenn sie den Wünschen der Eltern nicht entsprechen, oder wie manche ehemals Liebende, die einander erbarmungslos bekriegen, nachdem ihre Liebe wodurch auch immer abgestorben ist. Selbst wenn wir nur kurzfristig unsere Liebe entziehen, oder Liebe entzogen bekamen, – das Modell dieser Art von Erziehung ist uns allen sicher vertraut, seine Logik sitzt tief in unserer Seele. Sie treibt in Anpassung, in Unfreiheit und in Angst! Gefährlich.

Aber auch die anderen Erfahrungen, die dem Liebesentzug vorausgehen, kennen wir alle, nämlich die Erfahrungen von Vergeblichkeit und vom Umsonst unserer Mühe, von Anstrengungen ohne Erfolg. Im Beruf, in den Beziehungen der Liebe, in der Erziehung unserer Kinder, in der Arbeit in und an der Kirche, in Gesellschaft und Politik – alles umsonst, alles vergeblich. Lebensträume scheitern und lassen uns dann verbittert zurück. Ein Sohn, eine Tochter bricht ihre Ausbildung ab, Kinder finden sich im Leben nicht zurecht, obwohl wir alles für sie getan haben, – oder schon in der Jugend: der Freude der gerade erwachten Liebe folgt ihr schneller Tod. – Trotz allem, was man investiert hat, implodieren Freundschaften, und der Vorrat an Vertrauen reicht nicht. Alles, was wir an Liebeskraft, an Zeit, auch an Geld und Energie investiert haben – es war umsonst.

Gefährlich ist dieses sogenannte „Weinberglied“, weil es diesen Schmerz, diese Kränkung, diesen Frust, und v.a. die Strafe auch bei Gott sieht. Nicht nur wir kennen das Umsonst, nicht nur wir strafen mit dem Entzug unserer Liebe, nicht nur wir geben den Menschen preis, der unsere Zuwendung ausschlug, nicht nur wir pochen darauf, dass Leistung sich lohnen muss, sondern Gott selber tut es. Hat Gott diese Form des strafenden Rückzuges, diese Logik selber seiner Schöpfung eingegeben, so dass es nicht nur ein menschliches Verhalten ist, sondern sogar ein schöpfungsgemäßes Grundgesetz des Lebens? Dann wäre all dies Verhalten von Gott sogar so gewollt, sozusagen sanktioniert. Dann könnte ich mich, wenn ich mich so verhalte, immer auf Gott selbst berufen. Und umso leichter kann ich es gegen mich wenden und verstehen, dass ich schutzlos mir selbst überlassen bleiben muss, wenn ich mich Gott widersetze und seine Reaktion auf mein Tun provoziere. Gefährlich in nochmal anderem Sinn ist dieses Lied, wenn wir es deuten auf die Schwierigkeiten unserer Kirche: den immensen Traditionsabbruch, – oder unser dramatisches Kleinerwerden. Steckt hier in Jesajas Lied vom enttäuschten Weingärtner der Schlüssel zur Antwort auf unsere Fragen zur Misere und Zukunft der Kirche:

  • Warum muss gerade unsere Generation so stark abbauen, einschränken, zurücknehmen, auflösen, umstrukturieren? Ich sage nur PUK.
  • Was haben wir falsch gemacht?
  • Sind wir vielleicht nicht glaubwürdig genug, als Pfarrer, als Kirchenvorstand, als Gemeinde, als Kirchenleitung?
  • Trifft uns daher Gottes Zorn?
  • Hat Gott uns preisgegeben und pflegt er seine Kirche nicht mehr?

Der verstorbene hessische Kirchenpräsident Peter Steinacker, bei dem ich noch studiert habe, hat zu diesen Fragen angesichts unseres Weinberg-Lieds ein beeindruckendes Zeugnis gegeben. Er schreibt:

„Ich gestehe, dass ich mich von diesem Text, den ich kenne und liebe, seit ich ihn im Theologiestudium in der Jesaja-Vorlesung gehört habe, oft verführen ließ. Ich habe in Situationen meines Lebens, in denen mich die Reue über Schuld, Fehlverhalten und Angst vor Folgen und Liebesentzug sowieso schon niederdrückte, diesen Eiseshauch als verdiente Reaktion Gottes geglaubt. Nicht nur meine Schuld, auch der Rückzug meines Gottes, dessen liebevolles, mich stets tragendes Erbarmen mir dann auch noch entschwand, das drohte mir dann den Boden unter den Füßen völlig wegzuziehen. Ich nahm meine Verzweiflung über mich und mein Fehlverhalten, über meine Kirche, mein Umsonst-aller-Mühe als logische Folge der strafenden Abwendung Gottes, der meinen Hochmut dämpft und meine Sorglosigkeit einfach nicht hinnimmt.“

So würde dieses Weinberglied eine destruktive, zynische Wirkung entfalten. Darin liegt seine Gefahr. Die Botschaft wäre dann das, was man heute schwarze Pädagogik nennt. Steinacker wollte das Lied dann so nicht mehr verstehen und auch wir haben alles Recht, es schöner zu verstehen, weil es sonst auch nicht in die Gesamtbotschaft Jesajas passen würde – und der Bibel schon gar nicht. –

Gut, immerhin, es bleibt dabei: Dieses Lied zeigt uns Gott nicht als lieben Gott. Hier redet kein gefühlloser, unberührbarer Gott, keiner, der unser Harmoniebedürfnis kosmisch befriedigt. Der Gott des Weinbergliedes kennt Angst, Sorge, Verletzung, Wut und Enttäuschung, denn er ist einer, der Antwort haben will, der unser Schweigen, unseren Lebens-Unsinn nicht erträgt. Ein Gott, dessen Liebe enttäuscht wird und der darauf reagiert – auch mit Strafe. Immer wieder höre ich den Satz: Wir haben keinen strafenden Gott mehr. Also wer das Alte Testament stehen lässt, hat den strafenden Gott noch. Und vorhin hörten wir aus dem Johannesevangelium (Joh 3,14-21), dass auch Jesus das Gericht verkündet. Aber gerade dort wurde deutlich, dass das Gericht eine Folge von Gottes Liebe ist. Gott will nicht richten, sondern retten. Gott ist aber ebensowenig ein Rettungs-Automat wie er kein Straf-Automat ist. Wer sich seiner Barmherzigkeit entzieht, landet im existentiellen Chaos. Ja, aber es gibt immer die Tür zurück, den Weg in die rettende Liebe. Auch als Richter kennt Gott nicht den Triumph des: „Da hast Du’s! Das hast du dir selbst zuzuschreiben. Schau, wie du da wieder rauskommst.“

Und auch im Weinberglied geht es eigentlich nur um die Liebe. Auch die zornige Reaktion Gottes ist eingerahmt in die Liebe. Man sieht es an der Wendung: „die Männer Judas sind seine Pflanzung, an der sein Herz hing“. Jesaja singt ein Liebeslied. Er singt vom Schmerz der Liebe Gottes.

Ein Liebeslied?

Es ist sogar ein Liebeslied mit eindeutig erotischem Unterton. Der Weinberg, das ist ein allen Zuhörern vertrautes Bild für die Braut. An vielen Stellen der Bibel, besonders im Hohen Lied, ist der Vergleich des Weinbergs mit der erotisch Geliebten gewählt. Als Kostprobe lese ich Hoheslied 7: Er fängt an:

„Wie schön und wie lieblich bist du, du Liebe voller Wonne! Dein Wuchs ist hoch wie ein Palmbaum, deine Brüste gleichen den Weintrauben. Ich sprach: Ich will auf den Palmbaum steigen und seine Zweige ergreifen. Lass deine Brüste sein wie Trauben am Weinstock und den Duft deines Atems wie Äpfel“. – Und sie antwortet: „Meinem Freund gehöre ich, und nach mir steht sein Verlangen. Komm, mein Freund, lass uns aufs Feld hinausgehen und unter Zyperblumen die Nacht verbringen, dass wir früh aufbrechen zu den Weinbergen und sehen, ob der Weinstock sproßt und seine Blüten aufgehen, ob die Granatbäume blühen. Da will ich dir meine Liebe schenken.“

Hld 7,7-9.11-13

Das ist der Ton, in dem Jesajas Hörer normalerweise vom Weinberg hören. Gott scheut sich also nicht, sein Verhältnis zu uns sogar in erotischen Bildern zu beschreiben. So wie einem enttäuschten Bräutigam mit seiner treulosen und seiner Liebe nicht würdigen Braut geht es Gott mit uns. Dennoch: Es geht bei allem Vergleich mit unserer Liebe um die Liebe Gottes. Und von Gott verkündet uns ein anderer Prophet den entscheidenden Unterschied zwischen der erotischen Liebe unter uns und der Liebe Gottes: „Ich bin Gott und kein Mann!“, heißt es beim Propheten Hosea (Hos 11, 9). Das heißt, auch wenn seine Liebe nicht erwidert wird, pocht Gott nicht auf sein Recht und holt – etwa bei Hosea – sein Volk nach Hause. Gott ist eben „kein Vertilger“. Seine Enttäuschung führt nicht automatisch zu Vergeltung und ewigem Hass. Anders herum ist es: Gott lässt sich so auf uns ein, dass er in all seiner Allmacht eingestehen muss: „Auch ich kann hier nichts mehr tun. Sie haben meine Liebe enttäuscht. Aber wenn ich sie jetzt zwingen würde, würde ich die Liebe auch noch von meiner Seite aus zerstören. Das will ich nicht.“

Und wie es Gott jetzt geht, auch das kennen wir von uns: Es gibt Phasen auch in unserem Leben, in denen wir vom Leben und von anderen so enttäuscht sind, dass wir nur noch uns selber haben. Dann warten wir vergeblich darauf, angesprochen zu werden, angesehen und herausgeholt zu werden aus unserer Menschen- und Gottverschlossenheit. Wüste, Dornen und Disteln, auch das gehört zu unserem Leben, auch zu unseren Glaubenserfahrungen als Gotteserfahrungen. Zur Liebe und zum Glauben, das lehrt uns das Weinberglied, gehört auch die Passion: das Leiden aus Leidenschaft.

Und hier möchte ich den eigentlichen Schlüssel zum Lied von Gott, dem enttäuschten Liebhaber seiner Braut finden. Gott selber ist in das Gelingen seiner Liebe unwiderruflich verliebt. Darum geht er trotz Rechtsanspruchs und Enttäuschung in seine große Passion – uns zum Heil.

So dienen sein Zorn, seine eiskalte Abwendung, seine Emotionen letztlich auch wieder nur dazu, den Bann der bitteren Erfolglosigkeit zu brechen. Gott, der uns von Jesus als die unsterbliche Liebe ins Herz gesenkt wurde, Gott geht selber den Passionsweg der Liebe, deren „Umsonst“ nicht endgültig ist, weil es für Gottes Gnade kein Aus und Vorbei gibt. Das zeigt der Kreuzweg. Jesus zeigt uns, dass Gottes Liebe ins Gelingen verliebt ist, dass er selber sich ins Leid der Welt begibt, damit der Schatten des Umsonst und des vernichtenden Zorns, die Dornen und die Wüste unseres kleinen Lebens und des ungeheuren Leides der Welt nicht das letzte Wort haben.

Niemand hat das welt- und lebenserfahrener beschreiben können als Martin Luther. Seine Worte weisen den Weg aus dem Umsonst und der Angst – zur dankbaren Freude an unserem hilfreichen Hirten. Damit schließe ich:

„Wenn du diesen Hirten kennst, so kannst du wider Teufel und Tod dich schützen und sagen: Ich habe ja leider Gottes Gebote nicht gehalten; aber ich krieche dieser lieben Henne, meinem lieben Herrn Christo, unter ihre Flügel und glaube, dass er ist mein lieber Hirte, Bischof und Mittler vor Gott, der mich deckt und schützt mit seiner Unschuld und schenkt mir seine Gerechtigkeit; denn was ich nicht gehalten habe, das hat er gehalten, ja, was ich gesündigt habe, das hat er mit seinem Blute bezahlt. Sintemal er ist nicht für sich, sondern für mich gestorben und auferstanden, wie er denn … spricht: Er lasse sein Leben nicht für sich, sondern für die Schafe. Also bist du denn sicher, und muss dich der Teufel mit seiner Hölle zufrieden lassen; denn er wird freilich Christo nichts anhaben können, der ihn schon überwunden [hat] und dich, so du an ihn glaubst, schützt und erhält.“

Amen.

Wesentliche Anregungen zu dieser Predigt stammen von Prof. Dr. Peter Steinacker (†)

Dr. Matthias Dreher, Pfarrer