Angedacht im Dezember

Liebe Leserinnen und Leser,

das gibt es so doch gar nicht! Ich muss den Monatsspruch mehrmals hintereinander lesen, mir die Augen reiben. Das sind unglaubliche Bilder, die der Prophet Jesaja hier beschreibt.

Monatsspruch Dezember:
„Der Wolf findet Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein, Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Junge leitet sie.“

Jesaja 11,6


Jesaja rüttelt mich wach, hält mir vor Augen, wie es sein wird, wenn der himmlische Friedensbringer zu uns Menschen kommt. Damals wie heute sieht es hier auf Erden aber anders aus: Da regiert neben dem Gutem auch das Schlechte, da hat es der Friede schwer, egal ob er auf der kleinen oder auf der großen Bühne gespielt wird. In den Medien jagt eine Katastrophenmeldung die andere. Die Wirtschaft stagniert, die Energiekrise verunsichert uns. Lösungsversuche werden kritisiert anstatt gelobt. Da gönnt der eine dem andern nicht mehr die Butter auf dem Brot. Und auf der großen Bühne können wir seit fast einem Jahr den Krieg in der Ukraine verfolgen, kein Ende in Sicht. Dörfer sind platt gemacht, Menschen getötet, verschleppt oder auf der Flucht. Elend und Krieg sind das Schicksal der Menschheit, sagt der Pessimist.

Doch der Advent erzählt uns eine Geschichte der Hoffnung, der Verwandlung. Jesaja ruft mit lauter Stimme: Kommt heraus aus euren Häusern, der Friede kommt! Die Zeit der Angst, die Zeit des sinnlosen Tötens ist vorbei! Die Gewalt der Mächtigen hat ein Ende, weil Gott selbst nun die Herrschaft übernommen hat! Gott wird Mensch. In einem kleinen Jungen zeigt er sich und lenkt die Geschicke der Welt mit ganz besonderen Mitteln.

Im Adventslied „Macht hoch die Tür“ besingen wir diese besonderen Mittel: „Sanftmütigkeit ist sein Gefährt, sein Königskron‘ ist Heiligkeit, sein Zepter ist Barmherzigkeit, all‘ unsre Not zum End er bringt!“ Wenn uns diese Hoffnungsworte erreichen, machen sie uns zu Friedensboten auf der Erde. Lassen Sie sich mit mir auf diese Verwandlung ein. Jesaja hat es prophezeit: Unglaubliches wird eintreten. Böse Worte werden mit guten Worten erwidert. Diejenigen, die sich gegen Gewalt einsetzen, werden gestärkt. Denjenigen, die von Not und Armut bedroht sind, wird geholfen. Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Advents- und Weihnachtszeit!

Ihre Pfarrerin der Stephanuskirche
Gabriele Edelmann-Richter

Gottes Gericht wird anbrechen

Monatsspruch Dezember 2022:
Der Wolf findet Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Junge leitet sie.
Jesaja 11,6

Ein Wolf, der Schutz beim Lamm findet, die Jungen von Kuh und Bärin, die friedvoll nebeneinander weiden. Ein Löwe, der vom Raubtier zum Pflanzenfresser wird, ein Säugling, für den die Otter keine Gefahr mehr darstellt. Bosheit und Schaden werden verschwunden sein. Es ist schier Unglaubliches, was der Prophet Jesaja seinem Volk verheißt. Eine Vision vom umfassenden Frieden, die man eigentlich kaum glauben kann. So sehr steht sie den Geschehnissen in der gegenwärtigen Welt entgegen, die für unzählige Menschen geprägt ist von Kriegen, Hunger und Leid. Wie kann das sein?

Die Friedensbotschaft von Jesaja ist in einer Zeit der Bedrängnis entstanden. Im 8. Jahrhundert vor Christus stand Israel unter der Belagerung der Assyrer. Verwüstungen und Plünderungen, niedergebrannte Häuser, Tote. All dies Leid hat Jesaja vor Augen. Es ist eine Botschaft der Hoffnung inmitten der Hoffnungslosigkeit.

Es ist kein „billiger Trost“, den Jesaja seinem Volk hier spendet, im Gegenteil. Irgendwann, so beschreibt Jesaja es, wird Gottes Gericht anbrechen. Dort, wo heute Ungerechtigkeit herrscht, wird Gott Recht schaffen. Und dann wird mit Gottes Heilszeit etwas völlig Neues entstehen. Sie wird etwas ganz anderes sein, als wir es bisher kennen oder uns vorstellen können. Aus diesem Wissen nimmt die Botschaft von Jesaja ihre Kraft: Krieg, Leid und Ungerechtigkeit sind nicht das Ende, sondern Gerechtigkeit und Frieden haben das letzte Wort.

Detlef Schneider

Gott spricht uns Gutes zu

Monatsspruch November 2022: Weh denen, die Böses gut und Gutes böse nennen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen, die aus sauer süß und aus süß sauer machen! Jesaja 5,20

Es ist leider an der Tagesordnung: Die eigene Mannschaft spielt schlecht, aber der Trainer redet die Leistung schön. In unserer Volkskirche gibt es handfeste Probleme, aber die Verantwortlichen reden sie klein. Eine Firma verliert durch Missmanagement Milliarden, aber ein Pressesprecher spricht verharmlosend von „Gewinn-Warnung“.

Auch im privaten Bereich werden ernsthafte Schieflagen gerne vertuscht und überspielt. In der Familie, in der Nachbarschaft. Nur damit wir den äußeren Schein wahren und so weitermachen können wie bisher. Es ist klar, dass darauf kein Segen liegen kann.

Der Prophet Jesaja spricht im Namen Gottes gar einen Fluch aus über die Reichen und Mächtigen, weil sie sich auf Kosten der Armen bereichern und die Schwächeren zur Seite drängen – alles unter dem äußeren Schein des Rechts. Warum sind wir nicht ehrlich – wenigstens vor Gott? Vor ihm können wir ohnehin nichts vertuschen. Vor Gott dürfen wir all das ansprechen, was in unserem Leben schiefläuft. Und wir können damit rechnen, dass Gott uns dabei hilft, das Böse wieder gut zu machen. Denn Gott redet uns nicht schlecht. Sondern Gott spricht uns Gutes zu.

„Gutes zusprechen“ – das heißt auf Latei­nisch: „benedicere“. Und das bedeutet auf Deutsch: „segnen“. Wenn der allmächtige und gnädige Gott uns segnet, dann sagt er damit: Ich bin dir gut! Ich helfe dir auf einen guten Weg – auch mit deinen Schattenseiten und Problemen.

Reinhard Ellsel

Eine neue Welt wird entstehen

Monatsspruch Dezember 2021: Freue dich und sei fröhlich, du Tochter Zion! Denn siehe, ich komme und will  bei dir wohnen, spricht der HERR. (Sacharja 2,14)


Freude – sie ist eines der schönsten Gefühle, das Menschen kennen. Bereits die Bibel berichtet vielfach über sie: Anlässe zur Freude sind das Wiedersehen nach einer Trennung, Hochzeiten und andere Feste, Beziehungen zu anderen Menschen sowie die Ernte. Auch Gott selbst, seine Gnade und seine Gerechtigkeit sind Quellen der Freude. „Ich freue mich und bin fröhlich in dir und lobe deinen Namen, du Allerhöchster“, mit diesen Worten beschreibt es der Beter im neunten Psalm.

„Freue dich und sei fröhlich, du Tochter Zion!“ – so ist es auch beim Propheten Sacharja zu lesen. Es ist ein Trostwort, das der Prophet hier an die Einwohner Jerusalems richtet. Denn die Stadt und Gottes Tempel waren zerstört worden – ihre Einwohner standen vor den Trümmern ihrer Häuser. Ein Anlass zur Freude bestand wahrlich nicht – und dennoch verkündet Sacharja sie. „Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen, spricht der HERR.“ Damit drückt er Gottes Zusage auf Vollendung aus. Im Kommen Gottes und dem Anbruch seiner Königsherrschaft wird eine neue Welt entstehen. In ihr ist das Böse besiegt, Krieg, Leid und Ungerechtigkeit werden nicht mehr sein.

Das kommende Reich Gottes ist gekennzeichnet von einer immerwährenden Freude. Beim Propheten Jesaja heißt es dazu: „Die ­Erlösten des HERRN werden wiederkommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen“ (Jesaja 35,10).

Detlef Schneider

Predigt zum 2. Advent

Von Pfarrerin Dr. Judith Lena Böttcher am 05.12.2021 in der Stephanuskirche in Gebersdorf

Adventskranz in der Stephanuskirche Nürnberg Gebersdorf mit zwei brennenden Kerzen zum Gottesdienst am 2. Advent

Liebe Gemeinde,

wieder ist es ein Advent, in dem viele Erwartungen enttäuscht werden. Wieder ist es ein Advent, in dem Veranstaltungen abgesagt werden. In dem wir nicht auf dem Weihnachtsmarkt unbeschwert Glühwein trinken können. Wieder keine betrieblichen Weihnachtsfeiern. Keine dichtgedrängten Kaufhäuser mit süßlicher Weihnachtsmusik, die irgendwie doch an Kindheit erinnert.

Stattdessen werden wir wieder einmal enttäuscht. Und wir leben in Sorge: Wohin soll es gehen? Wie kommen wir raus aus der schier Endlosschleife Pandemie? Wie lange müssen wir das uns, unseren Kindern, unseren Eltern noch zumuten? Wie lange noch währt die Dunkelheit?

„Er kommt, aber anders“ – so las ich auf der Titelseite der Nürnberger Nachrichten Mitte November. Neugierig ging ich näher an den Zeitungsstand. Ich entdeckte, dass es um das Thema Christkindlesmarkt ging. „Er kommt, aber anders“ – diese Zeile ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Wie passend für diesen Advent und wie passend eigentlich für jeden Advent!

Er kommt, aber anders

Ist es nicht eigentlich so, dass Enttäuschung in jedem Advent mitschwingt? Weil es doch nicht so besinnlich und feierlich zugeht, wie wir uns das eigentlich wünschen würden. Weil sich doch wieder Hektik und Stress breitmacht. Enttäuschte Erwartungen gehören wohl eigentlich zu jedem Advent dazu, vielleicht, weil vorher die Hoffnung so groß war, es möge diesmal anders sein.

„Er kommt, aber anders“ – so singt es auch Maria in ihrem berühmten Lied, nachdem ihr von dem Engel verkündet worden war, dass sie schwanger ist und ein Kind gebären wird, das die Welt entscheidend verändern wird. Es wird alles anders werden – das wird ihr blitzartig klar. Gott hat sich offenbart als der, der Veränderung will. Der die Ordnung dieser Welt auf den Kopf stellt und die Spielregeln des Lebens noch einmal ganz neu auslegt. „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.“ Ein solcher Gott kommt in die Welt. Er verzichtet selbst auf alle Macht, Herrlichkeit und Herrschaftsinsignien. Er wird als Baby geboren und lässt sich umsorgen und nähren von einer jungen Mutter.

„Er kommt, aber anders“ – das soll uns auch in diesem Jahr Hoffnung schenken. In unserem Predigttext aus dem Alten Testament wird diese Hoffnung nach Nahbarkeit und Menschlichkeit als Klagelied ausgedrückt.

Predigttext

So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich. Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht.
Du, Herr, bist unser Vater; »Unser Erlöser«, das ist von alters her dein Name. Warum lässt du uns, Herr, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind! Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsre Widersacher haben dein Heiligtum zertreten. Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde.
Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen, wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kundwürde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten, wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten, und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen! Von alters her hat man es nicht vernommen, kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohltut denen, die auf ihn harren.

Jesaja 63,15- 64,3

Hier spricht die Sehnsucht, dass Gott machtvoll in unser Leben eingreift. Dahinter steht das Bild eines strengen Vaters, der über allem steht und mit Donnerwort für Recht und Ordnung sorgen kann: „Schau doch vom Himmel herab, wo du in Heiligkeit und Pracht wohnst! Wo sind deine brennende Liebe und deine Macht?“ Und: „Reiß doch den Himmel auf und komm herab, so dass die Berge vor dir beben!“ Zu wenig spürten die Menschen damals von Gott und seinen Taten. Sie wollten sichtbare, machtvolle Zeichen, dass Gott mit ihnen ist und ihnen zur Seite steht.

Was war damals los, im 6. Jahrhundert vor Christus?

Nach vielen Jahren hatte die Besatzungsmacht Israel verlassen. Familien kehrten aus babylonischer Gefangenschaft heim. Doch was fanden sie vor? Viele Häuser waren zerstört. Felder, Jahrzehnte lang nicht gepflegt, brachten nur geringe Erträge. Gerade so viel wurde geerntet, dass man nicht hungern musste. Was besonders schmerzte: Ihren Tempel in Jerusalem hatten die gegnerischen Soldaten entweiht. Ihr Heiligtum war geschändet. Wo sie sich Gott so nahe fühlten, was ihnen über alles heilig war, – ihre Gegner zogen es in den Schmutz und verhöhnen es. So unter die Räder geraten, so durch und durch geschüttelt, täglich um das Allernotwendigste kämpfen müssen – wenn zudem noch verspottet wird, woran das Herz hängt, dann stellen sich bohrende Fragen. Was habe ich selber falsch gemacht? Haben etwa andere daran Schuld? Hat es gar mit Gott selbst zu tun? Wie kann Gott das ganze Elend zulassen? Geht ihm das nicht nahe? Müsste er nicht eingreifen?

Ich finde  diese Erwartung verständlich. Wie sehr sehne ich mich, und ich denke wir alle, immer wieder nach einem machtvollen Zeichen, dass Gott im Regiment sitzt und alles herrlich regiert. Dass endlich einer für Recht und Gerechtigkeit sorgt. Besingen wir nicht auch an Weihnachten den Gott-Held, den Wunder-Rat, den Friede-Fürst? Und steckt nicht dahinter genau diese Sehnsucht: Dass endlich einer kraftvoll Ordnung schafft?

Bei Jesaja wird diese Erwartung in ein Wort gebündelt: „‘Unser Befreier‘ – das ist von jeher dein Name.“ Beim Wort Befreier wird die Geschichte mit Gott lebendig. Als Israel in Ägypten versklavt war, war es in höchster Bedrängnis. Doch Gott hat es befreit. Daran erinnert Jesaja. Was damals geschehen ist, kann doch wieder geschehen. Gott gibt die Seinen nicht auf.

„Er kommt, aber anders“: Die Geschichte von Maria, Jesu Mutter, lehrt uns, dass wir unsere eigenen Erwartungen immer wieder in Frage stellen sollten.  Er kommt, aber bis es geschah, vergingen noch fünf Jahrhunderte. Als er dann kommt, verzichtet er auf seine unwiderstehliche Macht. Die Berge wanken nicht, und die Völker zittern nicht. Unauffällig kommt er. Er kommt im zarten Gewand eines Kindes, der erst einmal selbst völlig auf Fürsorge und liebevolle Pflege angewiesen ist. Mit dem Kind Jesus beginnt die Befreiung, die Erlösung. In ihm nimmt Gott Wohnung. Er ist nun das neue Heiligtum. Ein kostbarer Tempel, nicht aus toten Steinen erbaut.  Er kommt, und mischt sich unter die Ausgegrenzten und Erniedrigten, die Kranken und Verachteten. „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?“, fragen seine Jünger einmal. Und Jesus antwortete: „Geht hin und sagt (…), was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“ (Matthäus 11,3-5)

Auch in dieser Adventszeit 2021 müssen liebgewonnene Rituale und vertraute Traditionen wegen der Pandemie zumindest zum Teil wieder ausfallen. Vielleicht sollten wir uns nicht ärgern, sondern die Zeit nutzen, Neues zu erwarten. „Er kommt, aber anders“. Ein Literat und Blogger schreibt:

„Jedes Jahr befällt mich in der Adventszeit aufs Neue ein unbestimmtes Gefühl der Erwartung“. Diese Erwartung „blüht (…) jedes Jahr so zuverlässig in mir auf wie im März die Krokusse. (…) Es ist nicht unbedingt ein Gefühl, als würde nun alles besser werden und als würden sich meine Probleme auf wundersame Weise in Luft auflösen – aber doch die stille Hoffnung, zumindest alles in einem anderen Licht [zu] sehen.“

https://rotherbaron.files.wordpress.com/2015/11/text-advent.pdf

Was erwarten Sie von Weihnachten?

Erwartung – das ist laut Duden eine vorausschauende Vermutung, eine Annahme oder Hoffnung. Advent ist das Ineinander von Erwartungen, die zuverlässig aufblühen wie Krokusse im März: die Erwartung, dass ich selbst berührt, verändert werde. Und die Erwartung, dass die Welt eine andere wird. Alle Jahre kehrt die Erwartung wieder – und einmal wird sie für immer erfüllt sein. Denn in der Erwartung liegt bereits die Aussicht auf Vollendung. Darum sagt den verzagten Herzen – und hört es selbst: Fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

Dr. Judith Lena Böttcher, Pfarrerin

Predigt zum Sonntag Reminiszere

Von Pfarrer Dr. Matthias Dreher am 28.02.2021 in der Stephanuskirche in Gebersdorf

Symbolfoto: Weinberg

Das Lied vom unfruchtbaren Weinberg

„Wohlan, ich will meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte. Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg! Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte? Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er verwüstet werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde. Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen. Des Herrn Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing.
Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war blutiger Rechtsbruch; und auf Gerechtigkeit, siehe, da war schreiende Schlechtigkeit.“

Jesaja 5,1-7

Liebe Mitchristen hier in Gebersdorf,

Dieses Lied ist in seiner Härte und in seiner berechnenden Konsequenz ein gefährliches Wort der Heiligen Schrift. Denn in ihm klingen vertraute und belastende Erfahrungen von uns allen an, – ja vielleicht sind es sogar Grunderfahrungen nicht nur eines reifen sondern auch eines jungen Lebens. Es spiegeln sich in ihm Verhaltensweisen und Erfahrungen, die wir selber als Kinder
schon erlebt und gefürchtet haben, und die wir, so vermute ich, unseren eigenen Kindern, unseren Freunden, Arbeitskollegen, ja auch gerade den Menschen, die wir lieben, nicht ersparen, nämlich die Strafe durch Liebesentzug: Liebesentzug und Schweigen, Abbruch der Beziehung, die unser Das ein Tag für Tag trägt. Davon singt Jesaja hier. Kalte Abwendung, Preisgabe an das zerstörerische Chaos, das kennen wir eigentlich alle, selbst wenn wir es nicht so konsequent machen wie manche Familien
noch heute, die ihre Kinder, Jungen und Mädchen, gnadenlos fallen lassen, wenn sie den Wünschen der Eltern nicht entsprechen, oder wie manche ehemals Liebende, die einander erbarmungslos bekriegen, nachdem ihre Liebe wodurch auch immer abgestorben ist. Selbst wenn wir nur kurzfristig unsere Liebe entziehen, oder Liebe entzogen bekamen, – das Modell dieser Art von Erziehung ist uns allen sicher vertraut, seine Logik sitzt tief in unserer Seele. Sie treibt in Anpassung, in Unfreiheit und in Angst! Gefährlich.

Aber auch die anderen Erfahrungen, die dem Liebesentzug vorausgehen, kennen wir alle, nämlich die Erfahrungen von Vergeblichkeit und vom Umsonst unserer Mühe, von Anstrengungen ohne Erfolg. Im Beruf, in den Beziehungen der Liebe, in der Erziehung unserer Kinder, in der Arbeit in und an der Kirche, in Gesellschaft und Politik – alles umsonst, alles vergeblich. Lebensträume scheitern und lassen uns dann verbittert zurück. Ein Sohn, eine Tochter bricht ihre Ausbildung ab, Kinder finden sich im Leben nicht zurecht, obwohl wir alles für sie getan haben, – oder schon in der Jugend: der Freude der gerade erwachten Liebe folgt ihr schneller Tod. – Trotz allem, was man investiert hat, implodieren Freundschaften, und der Vorrat an Vertrauen reicht nicht. Alles, was wir an Liebeskraft, an Zeit, auch an Geld und Energie investiert haben – es war umsonst.

Gefährlich ist dieses sogenannte „Weinberglied“, weil es diesen Schmerz, diese Kränkung, diesen Frust, und v.a. die Strafe auch bei Gott sieht. Nicht nur wir kennen das Umsonst, nicht nur wir strafen mit dem Entzug unserer Liebe, nicht nur wir geben den Menschen preis, der unsere Zuwendung ausschlug, nicht nur wir pochen darauf, dass Leistung sich lohnen muss, sondern Gott selber tut es. Hat Gott diese Form des strafenden Rückzuges, diese Logik selber seiner Schöpfung eingegeben, so dass es nicht nur ein menschliches Verhalten ist, sondern sogar ein schöpfungsgemäßes Grundgesetz des Lebens? Dann wäre all dies Verhalten von Gott sogar so gewollt, sozusagen sanktioniert. Dann könnte ich mich, wenn ich mich so verhalte, immer auf Gott selbst berufen. Und umso leichter kann ich es gegen mich wenden und verstehen, dass ich schutzlos mir selbst überlassen bleiben muss, wenn ich mich Gott widersetze und seine Reaktion auf mein Tun provoziere. Gefährlich in nochmal anderem Sinn ist dieses Lied, wenn wir es deuten auf die Schwierigkeiten unserer Kirche: den immensen Traditionsabbruch, – oder unser dramatisches Kleinerwerden. Steckt hier in Jesajas Lied vom enttäuschten Weingärtner der Schlüssel zur Antwort auf unsere Fragen zur Misere und Zukunft der Kirche:

  • Warum muss gerade unsere Generation so stark abbauen, einschränken, zurücknehmen, auflösen, umstrukturieren? Ich sage nur PUK.
  • Was haben wir falsch gemacht?
  • Sind wir vielleicht nicht glaubwürdig genug, als Pfarrer, als Kirchenvorstand, als Gemeinde, als Kirchenleitung?
  • Trifft uns daher Gottes Zorn?
  • Hat Gott uns preisgegeben und pflegt er seine Kirche nicht mehr?

Der verstorbene hessische Kirchenpräsident Peter Steinacker, bei dem ich noch studiert habe, hat zu diesen Fragen angesichts unseres Weinberg-Lieds ein beeindruckendes Zeugnis gegeben. Er schreibt:

„Ich gestehe, dass ich mich von diesem Text, den ich kenne und liebe, seit ich ihn im Theologiestudium in der Jesaja-Vorlesung gehört habe, oft verführen ließ. Ich habe in Situationen meines Lebens, in denen mich die Reue über Schuld, Fehlverhalten und Angst vor Folgen und Liebesentzug sowieso schon niederdrückte, diesen Eiseshauch als verdiente Reaktion Gottes geglaubt. Nicht nur meine Schuld, auch der Rückzug meines Gottes, dessen liebevolles, mich stets tragendes Erbarmen mir dann auch noch entschwand, das drohte mir dann den Boden unter den Füßen völlig wegzuziehen. Ich nahm meine Verzweiflung über mich und mein Fehlverhalten, über meine Kirche, mein Umsonst-aller-Mühe als logische Folge der strafenden Abwendung Gottes, der meinen Hochmut dämpft und meine Sorglosigkeit einfach nicht hinnimmt.“

So würde dieses Weinberglied eine destruktive, zynische Wirkung entfalten. Darin liegt seine Gefahr. Die Botschaft wäre dann das, was man heute schwarze Pädagogik nennt. Steinacker wollte das Lied dann so nicht mehr verstehen und auch wir haben alles Recht, es schöner zu verstehen, weil es sonst auch nicht in die Gesamtbotschaft Jesajas passen würde – und der Bibel schon gar nicht. –

Gut, immerhin, es bleibt dabei: Dieses Lied zeigt uns Gott nicht als lieben Gott. Hier redet kein gefühlloser, unberührbarer Gott, keiner, der unser Harmoniebedürfnis kosmisch befriedigt. Der Gott des Weinbergliedes kennt Angst, Sorge, Verletzung, Wut und Enttäuschung, denn er ist einer, der Antwort haben will, der unser Schweigen, unseren Lebens-Unsinn nicht erträgt. Ein Gott, dessen Liebe enttäuscht wird und der darauf reagiert – auch mit Strafe. Immer wieder höre ich den Satz: Wir haben keinen strafenden Gott mehr. Also wer das Alte Testament stehen lässt, hat den strafenden Gott noch. Und vorhin hörten wir aus dem Johannesevangelium (Joh 3,14-21), dass auch Jesus das Gericht verkündet. Aber gerade dort wurde deutlich, dass das Gericht eine Folge von Gottes Liebe ist. Gott will nicht richten, sondern retten. Gott ist aber ebensowenig ein Rettungs-Automat wie er kein Straf-Automat ist. Wer sich seiner Barmherzigkeit entzieht, landet im existentiellen Chaos. Ja, aber es gibt immer die Tür zurück, den Weg in die rettende Liebe. Auch als Richter kennt Gott nicht den Triumph des: „Da hast Du’s! Das hast du dir selbst zuzuschreiben. Schau, wie du da wieder rauskommst.“

Und auch im Weinberglied geht es eigentlich nur um die Liebe. Auch die zornige Reaktion Gottes ist eingerahmt in die Liebe. Man sieht es an der Wendung: „die Männer Judas sind seine Pflanzung, an der sein Herz hing“. Jesaja singt ein Liebeslied. Er singt vom Schmerz der Liebe Gottes.

Ein Liebeslied?

Es ist sogar ein Liebeslied mit eindeutig erotischem Unterton. Der Weinberg, das ist ein allen Zuhörern vertrautes Bild für die Braut. An vielen Stellen der Bibel, besonders im Hohen Lied, ist der Vergleich des Weinbergs mit der erotisch Geliebten gewählt. Als Kostprobe lese ich Hoheslied 7: Er fängt an:

„Wie schön und wie lieblich bist du, du Liebe voller Wonne! Dein Wuchs ist hoch wie ein Palmbaum, deine Brüste gleichen den Weintrauben. Ich sprach: Ich will auf den Palmbaum steigen und seine Zweige ergreifen. Lass deine Brüste sein wie Trauben am Weinstock und den Duft deines Atems wie Äpfel“. – Und sie antwortet: „Meinem Freund gehöre ich, und nach mir steht sein Verlangen. Komm, mein Freund, lass uns aufs Feld hinausgehen und unter Zyperblumen die Nacht verbringen, dass wir früh aufbrechen zu den Weinbergen und sehen, ob der Weinstock sproßt und seine Blüten aufgehen, ob die Granatbäume blühen. Da will ich dir meine Liebe schenken.“

Hld 7,7-9.11-13

Das ist der Ton, in dem Jesajas Hörer normalerweise vom Weinberg hören. Gott scheut sich also nicht, sein Verhältnis zu uns sogar in erotischen Bildern zu beschreiben. So wie einem enttäuschten Bräutigam mit seiner treulosen und seiner Liebe nicht würdigen Braut geht es Gott mit uns. Dennoch: Es geht bei allem Vergleich mit unserer Liebe um die Liebe Gottes. Und von Gott verkündet uns ein anderer Prophet den entscheidenden Unterschied zwischen der erotischen Liebe unter uns und der Liebe Gottes: „Ich bin Gott und kein Mann!“, heißt es beim Propheten Hosea (Hos 11, 9). Das heißt, auch wenn seine Liebe nicht erwidert wird, pocht Gott nicht auf sein Recht und holt – etwa bei Hosea – sein Volk nach Hause. Gott ist eben „kein Vertilger“. Seine Enttäuschung führt nicht automatisch zu Vergeltung und ewigem Hass. Anders herum ist es: Gott lässt sich so auf uns ein, dass er in all seiner Allmacht eingestehen muss: „Auch ich kann hier nichts mehr tun. Sie haben meine Liebe enttäuscht. Aber wenn ich sie jetzt zwingen würde, würde ich die Liebe auch noch von meiner Seite aus zerstören. Das will ich nicht.“

Und wie es Gott jetzt geht, auch das kennen wir von uns: Es gibt Phasen auch in unserem Leben, in denen wir vom Leben und von anderen so enttäuscht sind, dass wir nur noch uns selber haben. Dann warten wir vergeblich darauf, angesprochen zu werden, angesehen und herausgeholt zu werden aus unserer Menschen- und Gottverschlossenheit. Wüste, Dornen und Disteln, auch das gehört zu unserem Leben, auch zu unseren Glaubenserfahrungen als Gotteserfahrungen. Zur Liebe und zum Glauben, das lehrt uns das Weinberglied, gehört auch die Passion: das Leiden aus Leidenschaft.

Und hier möchte ich den eigentlichen Schlüssel zum Lied von Gott, dem enttäuschten Liebhaber seiner Braut finden. Gott selber ist in das Gelingen seiner Liebe unwiderruflich verliebt. Darum geht er trotz Rechtsanspruchs und Enttäuschung in seine große Passion – uns zum Heil.

So dienen sein Zorn, seine eiskalte Abwendung, seine Emotionen letztlich auch wieder nur dazu, den Bann der bitteren Erfolglosigkeit zu brechen. Gott, der uns von Jesus als die unsterbliche Liebe ins Herz gesenkt wurde, Gott geht selber den Passionsweg der Liebe, deren „Umsonst“ nicht endgültig ist, weil es für Gottes Gnade kein Aus und Vorbei gibt. Das zeigt der Kreuzweg. Jesus zeigt uns, dass Gottes Liebe ins Gelingen verliebt ist, dass er selber sich ins Leid der Welt begibt, damit der Schatten des Umsonst und des vernichtenden Zorns, die Dornen und die Wüste unseres kleinen Lebens und des ungeheuren Leides der Welt nicht das letzte Wort haben.

Niemand hat das welt- und lebenserfahrener beschreiben können als Martin Luther. Seine Worte weisen den Weg aus dem Umsonst und der Angst – zur dankbaren Freude an unserem hilfreichen Hirten. Damit schließe ich:

„Wenn du diesen Hirten kennst, so kannst du wider Teufel und Tod dich schützen und sagen: Ich habe ja leider Gottes Gebote nicht gehalten; aber ich krieche dieser lieben Henne, meinem lieben Herrn Christo, unter ihre Flügel und glaube, dass er ist mein lieber Hirte, Bischof und Mittler vor Gott, der mich deckt und schützt mit seiner Unschuld und schenkt mir seine Gerechtigkeit; denn was ich nicht gehalten habe, das hat er gehalten, ja, was ich gesündigt habe, das hat er mit seinem Blute bezahlt. Sintemal er ist nicht für sich, sondern für mich gestorben und auferstanden, wie er denn … spricht: Er lasse sein Leben nicht für sich, sondern für die Schafe. Also bist du denn sicher, und muss dich der Teufel mit seiner Hölle zufrieden lassen; denn er wird freilich Christo nichts anhaben können, der ihn schon überwunden [hat] und dich, so du an ihn glaubst, schützt und erhält.“

Amen.

Wesentliche Anregungen zu dieser Predigt stammen von Prof. Dr. Peter Steinacker (†)

Dr. Matthias Dreher, Pfarrer